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Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer






Die Angriffe

August Horneffer

(zitiert aus: "Die Freimaurerei", S. 103 - 122,
August 1948, Reclam Verlag Stuttgart)

Wer unseren Ausführungen bis hierher gefolgt ist, wird den Wunsch haben, ein zusammenfassendes Wort über die Angriffe und Verfolgungen zu hören, denen der Freimaurerbund von seiner Geburtsstunde an bis in die jüngste Gegenwart hinein ausgesetzt gewesen ist. Wie ist es möglich, daß eine Gemeinschaft, für die sich gleich anfangs die Mächtigen der Erde und für deren Grundgedanken sich so viele Große im Reiche des Geistes eingesetzt haben, so erbitterte Feindschaft erregen konnte? Wir sind in unserer Darstellung immer wieder auf diese Feindschaft gestoßen und haben von der Behinderung, Störung oder gänzlichen Ausrottung des Logenlebens in einzelnen Ländern zu erzählen gehabt. Soeben erst haben die Freimaurer in Deutschland, in Österreich, Italien, Spanien und einigen Balkanländern eine Epoche der Unterdrückung und Verfolgung erlebt. Mühsam beginnen sie sich wieder zu sammeln und voller Eifer bemühen sich insbesondere die deutschen Freimaurer, in rückschauenden Bestrahlungen Klarheit über das, was sie erlebt haben, zu gewinnen und ihre eignen Erfahrungen mit denen ihrer Vorfahren zu vergleichen.

Die neue Welle der antifreimaurerischen Bewegung begann mit dem ersten Weltkrieg, Da hieß es, die Ermordung des österreichischen Thronfolgers in Serajewo sei durch die serbische Freimaurerei, die wiederum mit französischen oder englischen Freimaurerkreisen in Beziehung gestanden habe, veranlaßt und finanziert worden. Es fand sich sogar ein deutscher Universitätsprofessor, der Staatsrechtler Kohler, der diesen Unsinn glaubte und vertrat. Dann kam Wichtl und verkündete, daß die Freimaurer eine Weltrepublik vermittelst einer allgemeinen Weltrevolution ins Werk zu setzen beschäftigt seien. Da war es nur noch ein kleiner Schritt bis zum General Ludendorff, der das Bestehen einer festen Allianz zwischen Freimaurern, Juden, Jesuiten konstatierte, mit einem finsteren Ziele, das er allerdings nicht in der Lage war, näher zu erläutern. Statt dessen veröffentlichte er eine Menge von Logenritualen und glaubte dadurch einen glänzenden strategischen Vernichtungsschlag gegen das ganze Freimaurergezücht zu führen. Seine Absicht wurde durch einen Rechtsanwalt Schneider unterstützt, der im Lande herumreiste und durch karikierte Vorführung der Aufnahmebräuche das Freimaurerwesen lächerlich und verächtlich zu machen suchte. Demselben Ziele dienten die sogenannten Freimaurermuseen, die von nationalsozialistischen Laien in mehreren deutschen Städten eingerichtet wurden und freimaurerische Geräte und Dokumente in bunter Zusammenstellung zeigten. Bei Führungen durch diese Museen wurden die Besucher auf das angeblich Unwürdige und Gefährliche dieser Gegenstände hingewiesen.

Der Nationalsozialismus nämlich hatte von Anfang an unter dem Einflusse Rosenbergs den Freimaurern den Krieg erklärt. Nachdem Hitler die Freimaurer als Organe des "Weltjudentums" erkannt hatte, wurde in zahllosen Schriften, Vorträgen, Schulungskursen das Urteil über eine Sache gesprochen, die den meisten Beurteilern gänzlich unbekannt war oder ihnen mindestens unverständlich geblieben war. Als Hitler mit seinen Leuten zur Macht kam, wurde ein Teil der Logen sofort enteignet, andere durch immer stärker werdenden Druck zur Liquidierung gezwungen. Einige von den leitenden Personen sahen wohl das Törichte der ganzen Aktion gegen die Logen ein, suchten auch zu bremsen, wie sie wenigstens versicherten, hatten aber keinen Erfolg. Namentlich seitdem die Geheime Staatspolizei mit ihrem Sicherheitshauptamt die Beseitigung der Freimaurerei zu einer ihrer Hauptaufgaben erkoren hatte, nahmen die Beobachtungen, Bedrohungen und Bedrückungen, Schädigungen und Zurücksetzungen einzelner Logenangehöriger kein Ende. Es wurde eine Kartothek sämtlicher deutschen Logenmitglieder angelegt mit Hilfe der eingeforderten Mitgliederlisten, um auf Grund einer spitzfindigen Klassifizierung diese ehrlichen deutschen Männer unehrlich zu machen, in ihrem Fortkommen zu hindern, unter Umständen auch sie einzukerkern und nur mit Widerstreben wieder freizugeben. Die Archive und Bibliotheken wurden "sichergestellt", wie man es beschönigend nannte, sind aber fast durchweg verschleppt und zerstört, eingestampft oder verbrannt worden, wodurch sehr wertvolles kulturhistorisches Material verloren gegangen ist. Denn zwei Jahrhunderte deutscher Geistesgeschichte und zahlreiche Erinnerungen an große und maßgebende Persönlichkeiten waren in diesen Archiven und Bibliotheken gesammelt und aufbewahrt worden.

Der Zweck, den man verfolgte, das Logenleben zu beseitigen, wurde also durch diese Maßnahmen vollauf erreicht. Auch im Geheimen haben die zersprengten Bruderkreise ihre Versammlungen nirgends fortgesetzt. Nur in öffentlichen Lokalen traf man sich und sprach ein freundschaftliches Wort miteinander, womit denn freilich der tiefere Zweck dieser neuesten Freimaurerverfolgung schließlich doch vereitelt wurde, nämlich die freimaurerische Gesinnung überhaupt aus der Welt zu schaffen. Gesinnungen lassen sich mit Gewaltmaßnahmen nicht beseitigen, zumal wenn sie durch jahrelange oder gar jahrzehntelange Gewöhnung zu unserem seelischen Eigentum geworden sind.

Nun richtete sich aber die Gegnerschaft der Nationalsozialisten gerade auf die in den Logen heimische Gesinnung. Es sollte überhaupt keine Sonderbünde, keine Verbindungen und Verbrüderungen innerhalb der Gesamtmasse des Volkes mehr geben. Ein Volk, ein Führer! - hieß es, und diesem Prinzip mußten sehr viele Vereine weichen, darunter auch solche, die an sich für harmlos galten. Man bedachte nicht, daß ein natürlicher Organismus nicht aus einer gleichartigen Zusammenfassung von unzähligen Individualwesen besteht, sondern daß Gruppen von Individuen sich an andere Gruppen anschließen, und so ein vielgliedriges Gebilde entsteht, das lebt und wächst vermöge dieser Gruppengestaltungen, dieser ineinandergefügten Ringe. Diese natürliche Entwicklung sollte abgeknickt und umgebogen werden, weil man den "totalen Staat" wollte und hinter allen Sonderbünden, hinter allen freiwilligen Gruppen Verrat an dem Ganzen oder mindestens eine mangelhafte Hingabe an das Ganze argwöhnte. Daher warf man den deutschen Freimaurern vor, daß sie nicht vaterländisch genug seien. Aber sie haben ebenso für ihr Vaterland gearbeitet, gekämpft und gelitten, wie alle ausländischen Freimaurersysteme in den anderen Völkern der Welt, welche mit Unrecht als "international" und "vaterlandslos" gebrandmarkt wurden. Die Freimaurer können nur nicht zugeben, daß der Staat alles und jede freie Sonderentwicklung ein Verbrechen sei. Wie schon Lessing erkannte und vor ihm die englischen Freimaurer mit richtigem Instinkte festlegten, wird ein freigesinnter, seiner Grenzen bewußter Staat die Freimaurerei stets dulden und sogar begünstigen, während der engherzige Polizeistaat sie mißtrauisch verfolgen und, wenn möglich, verbieten wird. Der Staat muß sich damit begnügen, eine Schutzanstalt zu sein. Es ist eine gefährliche Überspannung des Staatszweckes, wenn er auch die Seelen seiner Bürger regieren und dirigieren, also nicht nur die gesamte Erziehung der Jugend, sondern auch das kulturelle Leben der Erwachsenen in seiner Hand halten will. Wenn ihm alles Unkontrollierte und Unkontrollierbare gefährlich erscheint, ist er auf einer falschen Bahn begriffen; denn wahre Bildung und wahre Freude und Erhebung gibt es nur dort, wo keine Kontrolle, sondern Freiheit und Stille ist.

Es war höchst interessant, in der nationalsozialistischen Literatur und auch in den Maßnahmen der Regierung immer wieder auf halbe Eingeständnisse ihres Irrtums zu stoßen. Auf Einzelheiten können wir nicht eingehen. Wir weisen aber auf die ausführliche Würdigung der freien Bruderschaftsbewegung im europäischen Mittelalter hin, die sich in Rosenbergs "Mythos des 20. Jahrhunderts" findet. Daß diese alten Bruderschaften, diese Orden, Zünfte, Gesellschaften und mannigfache religiöse Gemeinschaften innerlich, wenn auch nicht immer historisch mit der Freimaurerei zusammenhängen, hat insbesondere Ludwig Keller nachgewiesen. Wer dem freichristlichen Bundeswesen derart den Vorzug vor der Kirche gibt, wie es von nationalsozialistischer Seite geschehen ist, der widerspricht sich selber.

Auch haben sie von einem "Deutschen Orden" geredet und "Ordensburgen" gegründet. Aber sie haben bei diesen und anderen Anleihen nicht bedacht, daß Ordensmitglieder Brüder sein müssen und daß eine Gesellschaft von Erwählten und Vorbildlichen nur dann Bestand hat, wenn ihre Mitglieder ein unbedingtes Vertrauen zu einander haben. Der Freimaurerhund ruht auf der Bruderliebe; jene höheren Ordenssysteme im 18. Jahrhundert, von denen ich erzählt habe, sind hauptsächlich daran zugrunde gegangen, daß diese gegenseitige offene und herzliche Harmonie vielfach fehlte. Woher hätte nun erst bei unseren Nationalsozialisten das gegenseitige Vertrauen kommen sollen, da sie voller Haß und Mißtrauen gegen einander waren und in einer Atmosphäre der Verleumdung und des Anstiftens oder Befürchtens von Verrat und Mord lebten!

Der älteste und konsequenteste Gegner der Freimaurerei ist jedoch nicht der Staat gewesen, vielmehr haben sich von Anfang an immer Staatshäupter und Politiker gefunden, welche dem Bunde Vorschub leisteten. Die europäische Entwicklung in den letzten beiden Jahrhunderten zielt eben trotz aller Rückschläge und Gegenbewegungen auf einen Zustand hin, mit dem das Freimaurerwesen nicht nur vereinbar ist, sondern dem es sogar als Stütze zu dienen vermag. Die Angriffe gingen daher meist von gewaltsamen Reaktionären oder Revolutionären aus. Dagegen hat sich die Kirche, insofern sie ein totalitäres System ist, zu allen Zeiten der Freimaurerei feindlich erwiesen. Wie wir erzählten, hat die katholische Kirche sehr bald nach Begründung der englischen Großloge eine französische Schutzvorschrift für die Freimaurer (1738) durch Henkershand verbrennen lassen und gleichzeitig durch eine Bannbulle dem Bunde feierlich und amtlich den Krieg erklärt. Diesen Krieg hat sie, wie wir ebenfalls erwähnt haben, durch eine Reihe von weiteren Bullen in beständig verschärfter Form fortgesetzt. Sie hat in der, unter dem Siegel der Verschwiegenheit vollzogenen Verbrüderung eine Verschwörung feststellen zu müssen geglaubt, und zwar eine Verschwörung gegen die kirchliche Autorität. Die Freimaurer, so lesen wir in den zahllosen katholischen Schriften, Lehrstücken und Artikeln gegen den Bund, haben ein Komplott geschmiedet, um die Kirche zu vernichten, die Altäre umzustürzen und überhaupt alle Autorität, alle Ordnung, alle guten Sitten aus der Welt zu schaffen. Sie sind daher die Feinde des Menschengeschlechts, sie sind die Diener des Satans.

Dieser letztere Vorwurf, daß die Freimaurer im Bunde mit dem Satan stünden, ist nicht etwa nur bildlich gemeint. Der Teufel ist den streng Kirchengläubigen eine höchst reale Person und die Bündnisse mit dem Teufel sind ihnen furchtbare und unabweisbare Tatsachen. Kaum ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seitdem Leo Taxil der hohen Geistlichkeit auf einem zu diesem Zweck einberufenen Konzil haarsträubende Einzelheiten über diesen freimaurerischen Verkehr mit dem Fürsten der Hölle aufgetischt hat. Er machte sich ein Vergnügen daraus, die Leichtgläubigkeit zu verspotten; aber man sollte den Ernst und die Folgerichtigkeit in solchem Teufelsglauben nicht verkennen, sollte auch an das ehrwürdige Alter der Zauberbeschwörungen und geheimen Bündnisse mit überirdischen Mächten denken, die im Volksglauben, aber auch in den offiziellen Religionen irgendwie ihren Niederschlag gefunden haben. Es fragt sich bei allen solchen Versuchen des Menschen, mit dem Unsichtbaren und doch so Gewaltigen, das wir in und hinter dem Weltlauf verspüren, einen Bund zu schließen, ob es sich dabei um gute oder um böse Mächte handelt, und ob wir sie frevelhaft zu uns zwingen oder uns demütig ihnen hingeben wollen. Zweifellos sind in den liturgischen Handlungen der Freimaurer, die sie in ihren geschlossenen Zusammenkünften vornehmen, Reste alter, vorchristlicher Kulte zu erkennen, aber da die Bibel auf ihrem Altare liegt und Gebete ihre Feiern eröffnen und schließen, kann man getrost annehmen, daß sie Gott und nicht den Teufel in ihren Kreis rufen.

Wenn ein totalitäres System eine unerwünschte Bewegung weder zu unterdrücken noch zu unterjochen vermag, dringt sie auf möglichste Abschließung. So hat sich die Kirche, seitdem sie andere Erziehungs- und Erbauungsmächte neben sich dulden muß, bemüht, jede Berührung mit Andersgläubigen zu vermeiden. Dieses Bestreben wird durch den Freimaurerbund durchkreuzt, denn es liegt ja in seinem Wesen, Menschen jeden Glaubens, also auch fromme und treue Anhänger der Kirche innig zu verbinden. Diese Tendenz der Ignorierung konfessioneller Unterschiede und nicht nur Ignorierung sondern Überbrückung mußte den äußersten Unwillen einer Macht erregen, die außerhalb ihrer Mauern kein Heil, nur Heillosigkeit und ewige Verderbnis sah.

Sie mußte schelten, warnen, auch strafen, wenn sie konnte und die infizierten Glieder abtrennen und ausschließen. Das Ideal, das die Freimaurer auf ihre Fahne geschrieben hatten: die Menschen zu vereinigen, nicht sie zu trennen, über alle Unterschiede und Gegensätze hinweg das Gemeinsame zu suchen und in den Vordergrund zu rücken, dieses Ideal kam wirklich wie aus einer anderen Welt; es leitete eine neue Epoche in der europäischen Geistesentwicklung ein; es ging weit über den Befreiungskampf der Reformation hinaus. Ein Paktieren mit dieser Friedens- und Befreundungsbewegung mußte der konsequenten katholischen Kirche ebenso unmöglich sein wie dem konsequenten Faschismus und Nationalsozialismus.

Ich kann mir nicht versagen, an dieser Stelle eine kurze Ansprache eines der treuesten und anhänglichsten Mitglieder der deutschen Freimaurerbrüderschaft wörtlich anzuführen. Diese Worte hat Blücher im September 1813, also mitten in dem Befreiungskampf gegen Napoleon gesprochen, als die Heere der Verbündeten zu der Entscheidungsschlacht gegen Leipzig vorrückten. Blücher kehrte mit den Offizieren seines Stabes, soweit sie Freimaurer waren, in der Loge in Bautzen ein, um einer freimaurerischen Arbeit beizuwohnen. Sachsen stand noch auf Seiten Napoleons, die. Loge in Bautzen war also eine "feindliche" Loge. Während der Feier erbat Blücher das Wort und sprach folgende Sätze, die ein helles Licht auf die Gesinnung eines alten Kriegsmannes und glühenden Vaterlandsfreundes werfen, der sich von den freimaurerischen Lehren hat durchdringen lassen:

"Ich habe von Jugend auf die Waffen für mein Vaterland geführt und bin darin grau geworden. Ich habe den Tod in seinen fürchterlichsten Gestalten gesehen und sehe ihn noch täglich vor Augen. Ich habe Hütten rauchen und ihre Bewohner nackt und bloß davongehen sehen, und ich konnte nicht helfen. So bringt es das Treiben und Toben der Menschen in ihrem leidenschaftlichen Zustande mit sich. Aber gern sehnt sich der bessere Mensch aus diesem wilden Gedränge heraus, und segnend preise ich die Stunde, wo ich mich im Geiste mit guten treuen Brüdern in jene höheren Regionen versetzen kann, wo ein reineres, helleres Licht uns entgegenstrahlt. Heilig ist mir daher die Maurerei, der ich bis zum Tode treulich anhängen werde, und jeder "Bruder wird meinem Herzen stets teuer und wert sein." (Nach einer Pause, die Hand aufs Herz legend und mit niedergebeugtem Haupte): "Gott sei mir gnädig!"
(Vgl. Taute - Haarhaus: Blücher als Freimaurer. Weitere Zeugnisse aus dem Munde namhafter Männer findet man in dem "Freimaurerischen Lesebuch" von Aug. Horneffer.)

Es kann gar keine bessere Verteidigung gegen die Anklagen mangelnder Vaterlandsliebe, aber auch kirchenfeindlicher Gesinnung, die man den Freimaurern nachsagt, geben, als dieses schlichte Bekenntnis eines Mannes, der ebenso fromm wie tapfer war und der dem Staat nicht weniger als seinem Gotte alles gegeben hat, was er zu geben vermochte, der aber zugleich das "reinere hellere Licht" einer Vereinigung suchte und dankbar verehrte, die das Trennende wiederum zusammen" ziehen und das Feindliche befreunden wollte, Die Humanität spricht hier durch den Mund eines Mannes, der ohne die Freimaurerei gewiß niemals etwas von Humanität gewußt oder verspürt haben würde.

Es hat natürlich auch unter den Anhängern totalitärer Systeme immer Menschen genug gegeben, die unbewußt diese Humanitätsgesinnung in sich getragen haben. Ihre Feindschaft gegen die Freimaurerei beruhte auf Unkenntnis. Ihr Fanatismus hatte nicht ganz das Gefühl für die Zusammengehörigkeit alles dessen, was Menschenantlitz trägt, in ihrem Inneren ertöten können. Sobald aber in einem Menschen das Bewußtsein aufleuchtet, daß hinter den Bergen auch noch Leute wohnen, und daß die Angehörigen anderer Völker, Rassen, Religionen und Hautfarben auch Menschen sind und in den wesentlichsten Punkten uns gleichen, ist das Tor zu dem freimaurerischen Evangelium geöffnet und jenen Exzessen des Fanatismus, die wir in Vergangenheit und Gegenwart mit Grauen haben ihr Haupt erheben sehen, der Boden entzogen.

Zu den katholischen Gegnern der Freimaurerei haben sich mehrfach auch protestantische Kämpfer gesellt. Ihre Argumente waren ähnlich. Da die Freimaurer nicht nur dogmatische Kirchenanhänger in ihre Reihen aufnehmen, da sie es sogar ausdrücklich ablehnen, nach dem Glauben ihrer Mitglieder zu fragen, wirft man ihnen Kirchenfeindschaft vor, warnt vor dem Eintritt, hat auch mehrfach den Pfarrern die Zugehörigkeit zum Bunde verbieten wollen. Aber es sind immer wieder aus der Kirche selber Verteidiger erstanden, welche daran erinnerten, daß alle protestantischen Gemeinden doch eben "protestantische" seien, also aus einem Protest gegen den Anspruch der katholischen Kirche hervorgegangen sind, der allgemeine und allein berechtigte: Weg zum Heile zu sein. Alle Reformatoren waren in diesem einen Punkte einig, daß es verschiedene Wege zu Gott gibt und daß uns keine überlieferte Heilsanstalt mit ihren Priestern von der Aufgabe entbinden kann, den für jeden einzelnen richtigen Weg selber zu suchen. Diese Aufgabe des Suchens, Wählens und Findens aber wird auf das Beste unterstützt durch eine Vereinigung ehrlicher Sucher, die einander gegenseitige Hilfe bei dieser höchsten und schwersten Menschenkunst leisten wollen: bei Gott und Menschen angenehm zu werden und einen Bund zu schließen, der nicht nur die Menschen untereinander, sondern auch den Menschen mit Gott verbindet. Infolgedessen haben sich schon im 18.Jahrhundert, gleich bei Gründung der ersten Londoner Großloge, und dann weiterhin ebenso im 19. und 20. Jahrhundert zahlreiche evangelische Geistliche der Loge angeschlossen. Wir finden sie oft in den leitenden Stellungen als Großmeister, Logenmeister und Redner. Übrigens hat es auch katholische Geistliche gegeben, die sich dem Freimaurerbunde anschlossen. Das war insbesondere in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Fall, als der Jesuitenorden vom Papst aufgehoben wurde und in den Kreisen des höheren und niederen Klerus mehrerer europäischer Länder das Bestreben sich bemerkbar machte, die allgemeine Richtung jener Zeit auf Ausgleich der Weltanschauungsgegensätze mitzumachen. Männer wie der Erzbischof Karl Th. von Dalberg, der mit Herder, Goethe, Wieland und Schiller befreundet war, hat ein schönes freimaurerisches Lied verfaßt ("Maurers Beruf und Pflicht") und sich an der Gründung einer Loge in Erfurt lebhaft beteiligt. Andere Logen gab es damals, welche fast ausschließlich aus Klerikern. bestanden.

Welch ein anderes Bild, wenn wir nach dem sonst so freien Amerika in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hinüberschauen und einen Verein, der sich geradezu Antimasons nannte, in einem umfassenden Kampf gegen die Logen begriffen sehen. Die eifrigsten waren puritanische Geistliche: sie riefen zur Entscheidung "zwischen dem Reiche Gottes und der Finsternis" auf und fanden um so weitere Zustimmung, als ein bis heute noch immer nicht ganz aufgeklärtes Ereignis: das Verschwinden eines Freimaurers namens Morgan, der die freimaurerischen Bräuche in einem Buche veröffentlichen wollte, die Gemüter mächtig aufregte. Wenn hier wirklich ein Verbrechen begangen worden ist, so ist natürlich die Entrüstung vollauf berechtigt; aber diesen einzigen, nicht einmal zweifelsfreien Fall gegen den Bund im ganzen ins Feld zu führen, dürfte wohl kaum berechtigt sein. (Über die rapide, nach diesem Rückschlag um so breitere Entwicklung der Freimaurerei in Amerika vergleiche man: Eugen Lennhof: Die Freimaurerei (Wien, 1929)) Wie müßte man dann erst mit anderen großen Organisationen z. B. mit der Kirche ins Gericht gehen, deren zahlreiche Verbrechen gegen Gott und Menschen am Tage liegen! Es ist nun einmal nicht anders: die edelsten Dinge sind am meisten mißbraucht worden, und wenn eine Gemeinschaft das Allerbeste und Allerreinste will, ist sie am meisten der Gefahr ausgesetzt, der menschlichen Schwachheit einen überreichlichen Tribut zahlen zu müssen.

Außer den kirchlichen und den nationalistischen Hauptgegnern der Freimaurerei gibt es noch zahlreiche andere Gegner, denen der Bund aus diesem oder jenem Grunde nicht zusagt. Da gibt es z. B. immer noch Leute, die den Freimaurern zutrauen, daß sie Zauberei treiben, geheimen Schaden stiften, Gold machen könnten u. dgl. Andere werfen ihnen, wie erwähnt, das Haften an veralteten, verschwommenen Idealen, das Spielen mit bedeutungslosen Symbolen, das Pflegen einer allzu üppigen Geselligkeit vor. Wieder andere erklären sie für Feinde des weiblichen Geschlechts. Und endlich kehrt in fast allen mündlichen und schriftlichen Angriffen, mit denen die Freimaurer bedacht werden, der Vorwurf der Geheimtuerei, der Absonderung und der Verschleierung wieder.

Wir wollen hier nur auf die beiden letzten Vorwürfe eingehen. Die anderen sind schon früher zur Sprache gekommen.

Der Ausschluß der Frauen vom Bunde muß den Außenstehenden in der Tat eigentümlich berühren. Er erklärt sich zunächst durch die Tradition: fast alle jene freundschaftlichen Geistesbünde, auf die die Freimaurerei als auf ihre Ahnen zurückblickt, waren Männerbünde. Neben ihnen entstanden hier und da weibliche Parallelbünde (man denke etwa an die Mönchs- und Nonnenorden verschiedener Religionen), die es aber meist nicht zu hoher Blüte brachten, weil die weibliche Natur weniger zur kameradschaftlichen Vereinigung mit anderen Frauen als zur treuen Anhänglichkeit an das Familienband neigt. Auch in der Freimaurerei sind zu verschiedenen Zeiten Versuche mit weiblichen Logen, auch Versuche mit gemischten Logen gemacht worden. Aber weder diese noch jene haben sich bis jetzt bewährt. Daß die Mitarbeit der Frauen namentlich bei den sozialen Werken der Freimaurer unentbehrlich ist, und daß eine Geistesbewegung nicht auf eines der beiden Geschlechter beschränkt werden kann, ohne sich eines Teiles ihrer Kraft zu berauben, das empfinden die Freimaurer natürlich selber; es ist nur sehr schwer, die richtige Form zu finden, in der sich diese Mitarbeit vollziehen kann, ohne das traditionelle Logentum zu berühren. Es ist das dieselbe Schwierigkeit, die das Logentum in seiner allen Reformbestrebungen sich widersetzenden Eigentümlichkeit jeder von außen an sie herantretenden Forderung gegenüber macht. Vielleicht wird auch in der Frauenfrage, die neuerdings wieder lebhaft im Bunde erwogen wird, jener Weg beschritten werden, der in Gestalt des "Vereins deutscher Freimaurer" schon manche anderen Lösungen gebracht hat.

Viel ernstlicher als der Vorwurf der Frauenfeindschaft und als jeder andere Vorwurf, der den Freimaurern gemacht wird, ist die letztgenannte: die Geheimnissucht. Warum schließen die Freimaurer sich ab? Warum öffnen sie ihre Tore nicht jedermann? Warum fordern sie von dem Eintretenden das Versprechen der Verschwiegenheit? In diesen Fragen gipfeln alle wie immer gearteten Angriffe; durch den geheimnisvollen Charakter des Bundes werden sie genährt. Darum muß diesem Punkte hier noch eine Betrachtung gewidmet werden.

Die Geheimhaltung ist ein Rest aus der Zeit der Zünfte. Das Bau- und Steinmetzgewerbe hielt einst, wie die anderen Gewerbe auch, seine Künste und Verfahren geheim. Der Gebrauch der feineren Werkzeuge (Zirkel, Winkelmaß usw.), die Kunst des Gewölbebaues und anderes wurde im geschlossenen Kreise, der Zunftgenossen bewahrt und an die nachfolgende Meisterschaft unter heiligen Eiden weitervererbt. Diese Geheimhaltung der alten Werkgenossenschaften behielt die englische Großloge und die von ihr ausgehende allgemeine Freimaurerei bei, weil sie mit ernsten Verfolgungen zu rechnen hatte. Das Verschwiegenheitsgelübde galt nun nicht mehr den Handwerksgeheimnissen; es galt dem gegenseitigen Vertrauensverhältnis, das sich in symbolischen Bräuchen und Erkennungszeichen ausdrückte. In jener Zeit, im 17. und 18. Jahrhundert gab es eine ganze Reihe von Gesellschaften, die auf dieselbe Weise ein verborgenes, gegen die Außenwelt sich verschließendes Leben führten. Daß die heutige Freimaurerei immer noch daran festhält, könnte man mit dem konservativen Zug der Freimaurerei begründen, den wir schon wiederholt festgestellt haben. Aber diese Begründung würde kaum ausreichend sein; denn die Freimaurer müssen doch selber erkennen, wie viel Schaden ihrem Ruf in der zeitgenössischen Welt dies Festhalten an dem Geheimnis tut. Wenn jemand verdächtigt wird, kann er gar nichts Unklügeres tun, als sich zu verstecken und einen Schleier über sein Tun zu breiten. Das lenkt gerade die Aufmerksamkeit auf ihn hin und gewährt den unerhörtesten Gerüchten über seine Schändlichkeit einen Schein von Glaubwürdigkeit.

Die freimaurerische Geheimhaltung liegt im Wesen der geistigen Verbrüderung begründet. Warum haben wohl die Mysterienkulte im alten Griechenland eine so strenge Geheimhaltung geübt? Von Verfolgungen war da keine Rede, und daß sich Männer wie Pindar, Sophokles und viele andere, die zu den Eingeweihten gehörten, für "lichtscheue Dinge" hergegeben hätten, kann man gewiß nicht annehmen. Und warum haben auch die alten Christen in den ersten Jahrhunderten ihre Versammlungen, ihre Symbole und Lehren vor der Öffentlichkeit verborgen? Die theologische Forschung hat festgestellt, daß diese Geheimhaltung der Christengemeinden in einer Zeit fortgesetzt und erst recht ausgebildet wurde, als die Christengemeinden nicht mehr verfolgt wurden. Was mag der Grund gewesen sein? Diese Frage muß man besonders an die katholischen Gegner der Freimaurer richten. Waren denn die alten Christen, waren die großen Kirchenväter, ein Ambrosius, ein Augustinus, ein Origenes, die die Geheimhaltung ausdrücklich gefordert und gebilligt haben, auch ein lichtscheues Gesindel, wie man die Freimaurer so gern tituliert?

Nein, diese geschlossenen Gemeinden waren des Glaubens, daß sie ein heiliges Geheimnis zu hüten hätten und ihre Mitglieder nur durch Verschwiegenheit Schritt für Schritt in dies Geheimnis Eingang gewinnen könnten. Derselben Meinung sind auch die Freimaurer.

Wenn man aber fragt, was für ein Geheimnis das sei, so kann die Antwort darauf nur lauten, das läßt sich nicht aussprechen, es läßt sich nur erleben. Die Profanation dieses Geheimnisses ist gar nicht möglich. Wenn auch die Träger und Hilfsmittel des Geheimnisses: die Symbole und Riten aller Welt bekannt sind - was die Freimaurer an solchen Dingen ihr eigen nennen, kann man in zahllosen Verräterschriften in den Buchhandlungen finden -, so bleibt doch der Kern des Geheimnisses verhüllt und nur dem Verstehenden (dem Epopten, wie man in Eleusis sagte) zugänglich.

Wenn die Freimaurerei in unserer nach Öffentlichkeit, nach Massenkultur drängenden Zeit nur die eine Mission erfüllte, das Verständnis für den Wert dieses unaussprechbaren Geheimnisses zu erhalten und neu zu wecken, so hätte sie genug getan, um ihr Dasein zu rechtfertigen. Das Beste in der Welt, liegt nicht auf der Straße, sondern muß im stillen Kämmerlein gesucht werden. Das Schönste im Leben ist nicht Lärm und Öffentlichkeit, sondern Stille und Verschwiegenheit. Nur wo Verschwiegenheit ist, gedeiht das herzliche Vertrauen von Mensch zu Mensch, ohne das alle Bemühungen um eine sittliche und menschliche Regeneration vergeblich sind.

Die Exklusivität der Freimaurer hat also ihren guten Sinn; sie ist nur scheinbar unzeitgemäß, in Wahrheit ist sie ein unentbehrliches Glied in der Erfüllung derjenigen Aufgaben, die der Gegenwart gestellt sind. Es wäre aber irrtümlich, anzunehmen, daß das ganze Wesen der Freimaurerei in dieser Exklusivität sich erschöpfte. Vielmehr wendet sich die Botschaft, die sie zu verkünden hat, an die einfachsten und allgemeinsten Regungen in der Menschenbrust. Ein jeder, der das Herz auf dem rechten Fleck hat, kann und soll sie verstehen. Kein Angriff, wie wohlbegründet er auch scheinen mag, und mit wie großer Machtfülle er auch durchgeführt sein mag, kann auf die Dauer dem Bunde Schaden tun. Das zeigte sich nicht nur in Amerika, wo jener Sturm gegen die Freimaurer, der stark genug war, um einen großen Teil der Logen hinwegzufegen, doch nach wenigen Jahren wieder sich so völlig gelegt hatte, daß das Logenwesen einen weit größeren Umfang gewann als zuvor.

Dasselbe hat sich nach jedem Angriff gezeigt. Ähnlich wie das alte Christentum aus jeder Verfolgung gestärkt und gefestigt hervorging, ist auch dieser Bund der freien Maurer den Verfolgungen immer nur eine Zeitlang und in einem begrenzten Raume erlegen. Er kam wieder wie das Grün im Frühling. Er gewann das verlorene Gebiet zurück und gewann neues Gebiet hinzu.





Dr. August Horneffer, Philosoph, (geb. 5.7.1878 in Treptow a. d. Rega/Pommern - gest. 1955 in Berlin) aufg. 19.3.1911 Loge "Zum aufgehenden Licht an der Isar" in München, Großschriftführer der Großloge Royal York, genannt "Zur Freundschaft" in Berlin, leitete die Herausgabe des Bundesblattes "Am Rauhen Stein" und überarbeitete die Fischer-Katechismen. Er war der erste Großredner der "Vereinigten Großloge der Freimauer von Deutschland" und hielt bei deren Gründung am 19. Juni 1949 in der Paulskirche zu Frankfurt die Festrede.