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Die Essais des Michel de Montaigne (1533-1591)


Auszug Band I

Unsere Wünsche fliegen immer höher, als wir reichen können

Diejenigen, welche die Menschen beschuldigen, daß sie beständig nach künftigen Dingen gieren, und uns lehren, das Gegenwärtige ergreifen und uns damit genügen, weil wir das Zukünftige ebenso wenig erhaschen als unmöglich das Vergangene festhalten können, berühren solche Irrtümer, die der Menschheit am gewöhnlichsten sind. Wenn sie anders das einen Irrtum zu nennen wagen, worauf die Natur selbst, um ihr Werk zu erhalten, uns leitet, indem sie uns nebst vielen anderen auch diese falsche Einbildung eindrückt, weil sie mehr auf unser Tun als auf unser Wissen abzweckt.

Wir sind niemals bei uns selbst daheim, sondern immer auswärts. Furcht, Verlangen, Hoffnung treiben uns auf die Zukunft und berauben uns des Gefühls und der Schätzung dessen, was ist, um uns mit dem spielen zu lassen, was sein wird, selbst mit dem, was sein wird, wenn wir nicht mehr sind.
(I, 3)

Vom Müßiggang oder der Untätigkeit

So, wie wir an brachliegenden Äckern sehen, daß sie, wenn sie geil und fruchtbar sind, tausenderlei wilde und unnütze Kräuter hervortreiben und, wenn wir sie urbar erhalten wollen, wir sie zu unserem Zweck an gewisse Gesäme binden und gewöhnen müssen: und so wie wir sehen, daß die Weiber für sich allein zwar wohlzusammengewachsene Fleischklumpen hervorbringen, wenn aber die Zeugung gut und natürlich ausfallen soll, es einer anderen Befruchtung bedürfe: ebenso ist es mit dem menschlichen Geiste. Beschäftigt man ihn nicht mit festgesetzten Dingen, die ihn in Zwang und Zaum halten, so schweift er wild umher und verirrt sich ins grenzenlose Feld der Einbildung.

Sicut aquae tremulum Iabris ubi lumen aenis,
sole repercussum aut radianti imagin lunae,
omnia pervolitai late loca, iamque sub auras
erigitur summique ferit Iaquearia tecti.

So wirft das in der Schale noch zitternde Wasser die Strahlen der Sonne oder das schimmernde Bild des Mondes zurück. In weiter Ferne hin schwebt der Glanz und tanzt am hohen Gebälk umher. [Virgil, Aen. VIII, 22]

Und es ist keine Torheit, keine Grille zu erdenken, die er nicht in dieser Tummelei hervorbringen sollte.

Velut aegri somnia, vanae finguntur species.

So wie ein Fiebertraum seltsame Bilder
Und Luftgestalten gaukelt.
[Horaz, ars poet., 7]


Wenn die Seele kein festgesetztes Ziel hat, so verirrt sie sich; denn, wie man zu sagen pflegt: der ist nirgend, der allenthalben ist.

Quisquis ubique habitat,
Maxime, nusquam habitat.

Wer allenthalben wohnt, ist nirgends zu Hause. [Martial, VII, 73.]

Als ich mich letzthin in mein Hauswesen zurückzog, mit dem festen Entschluß, so viel wie möglich mich hinfort mit nichts mehr abzugeben und meine übrige Lebenszeit in stiller Ruhe für mich hinzubringen: da meinte ich, ich könnte meinem Geist nicht gütlicher tun, als wenn ich ihn von aller Beschäftigung befreite, damit er sich mit sich selbst unterhalten, sich selbst genießen und an sich selbst erlaben könne; und ich hoffte, das würde ihm jetzt um so leichter sein, da er mit der Zeit gesetzter und reifer geworden. Aber ich fand das Gegenteil:

(Anmerkung: "lm Jahre des Heils 1571 und im 38. Jahr seines Lebens, am Tag vor den Kalenden des März (28. Februar), am Jahrestage seiner Geburt, zog sich Michel de Montaigne, seit langem vom Dienst der Gerichtshöfe und der öffentlichen Ämter angeekelt, in voller Rüstigkeit in den Schoß der neun gelehrten Jungfrauen zurück", lautete der Anfang einer lateinischen Inschrift im Kabinett neben Montaignes Bibliothek.)

Variam semper dant otia mentem.

Müßiggang ist mancher Grillen Hecknest. [Lucan., IV, 704.]

Wie ein Pferd, das den Reiter abgeworfen hat, galoppiert er noch ärger, bloß für sich, als er sonst für andere tat. Und er heckt aus keiner anderen Ursache so viel Ungeheuer aus und so viele Traumgestalten, ohne alle Ordnung und Schick, als damit ich die gepfuschten Wunderfratzen der Läng' und Breite nach beschauen könne. Ich habe aber angefangen, ihn wieder aufzuschirren, und hoffe ihn mit der Zeit dahin zu bringen, daß er sich des Unfugs selbst schämen soll.
(I, 8)

Philosophieren heißt sterben lernen

Ebenso habe ich mir zur Gewohnheit gemacht, nicht nur den Tod beständig in Gedanken, sondern auch auf der Zunge zu haben. Und nach keiner Sache erkundige ich mich so gerne, als danach, wie ein Mensch gestorben ist: nach seinen letzten Worten, Mienen und Gebärden, die er dabei gemacht hat. Kein Zug in einer Geschichte zieht meine Aufmerksamkeit mehr auf sich, und die häufigen Beispiele, womit ich dies Kapitel spicke, zeigen, wie sehr ich dieser Materie gewogen bin. Wäre ich ein Büchermacher, ich machte ein Register mit Noten von den verschiedenen Arten zu sterben, welche die Menschen lehren sollten, zu sterben, sie lehren sollten, zu leben. Dicaearch (Anmerkung: nach Cicero, de off. II. c. 5) machte eins mit ähnlichem Titel, aber in anderer und weniger nützlicher Absicht. Man wird mir sagen: die Wirklichkeit lasse den Vorsatz weit hinter sich zurück und der beste Kontrafechter vergesse den Gebrauch des Rapiers (Anmerkung: Fechtschuldegen), wenn's mit der Spitze gilt, aber laßt sie sagen! Es ist dennoch gut Ding um die Schule; sie gibt eben wohl große Vorteile. Denn ist es nicht schon viel, daß man wenigstens seinem Gegner ohne Scheu und ohne Fieberwallung unter die Augen tritt? Das ist's aber nicht allein, die Natur selbst reicht uns die Hand und gibt uns Mut. Ist's ein schneller und gewaltsamer Tod, so haben wir keine Zeit, ihn zu fürchten; ist er anders, so merke ich, daß, so wie ich nach und nach mit der Krankheit ringe, ich natürlicherweise gleichgültiger gegen das Leben werde. Ich finde, daß ich mehr Mühe habe, den Entschluß zu sterben, in Saft und Blut zu verdauen, wenn ich gesund bin, als dann, wenn mich das Fieber schüttelt. Je weniger ich an den Gütern des Lebens klebe, weil ich den Gebrauch davon zu verlieren anfange und sie mir kein Vergnügen mehr gewähren, desto weniger schreckhaft wird mir der Anblick des Todes. Das läßt mich hoffen, daß ich, je mehr ich mich von jenem entferne und diesem nähere, ich um so leichter mit dem Tauschhandel zurecht kommen werde.

Ebenso wie ich bei vielen anderen Gelegenheiten versucht habe, was Cäsar sagt, daß ein Ding von weitem so viel größer aussieht als in der Nähe: so hab' ich auch gemerkt, daß ich bei gesunden Tagen viel größere Scheu vor Krankheiten gehabt habe, als wenn ich an einer oder der anderen darnieder lag. Meines Lebens Fröhlichkeit, Vergnügen und Kräfte lassen mich den entgegengesetzten Zustand so überwiegend bös finden, daß meine Einbildung mir die Ungemächlichkeiten um die Hälfte vergrößert und ich solche für schwerer halte, als ich sie wirklich fühle, wenn ich sie einmal auf den Schultern habe; mit dem Tode hoffe ich, soll es mir ebenso begegnen. Aus den gewöhnlichen Veränderungen und Abwechslungen, die mit uns vorgehen, laßt uns wahrnehmen, wie die Natur uns unsere Abnahme und unser Hinschwinden verbirgt. Was bleibt einem Greise von seinen Jugendkräften und seinem vergangenen Leben übrig?

Heu senibus vitae portio quan a manet?

Ach, wie wenig bleibt dem Greise
Von seinem Teil am Leben übrig!
[Gallus Maximianus oder Pseudo-Galluseleg I, v. 16.]

(I, 19)

Verschiedener Erfolg von einerlei Ratschlüssen

Wir heißen die Ärzte glücklich, wenn sie einmal ihre gute Absicht erreichen; gleichsam weil ihre Kunst sich durch sich selbst nicht unterstützen kann und zu schwach ist, durch ihre eigenen Kräfte etwas auszurichten, und sie so bedürfen, daß ihnen das Glück bei ihren Unternehmungen die Hand biete. Ich halte zwar von ihrer Kunst so viel und so wenig, als man nur Verlangt, denn wir haben, dem Himmel sei Dank, nichts miteinander zu schaffen. Ich bin gerade das Widerspiel von anderen. Denn ich verachte allerdings die Kunst beständig; wenn ich aber krank werde, so beginne ich, anstatt ihre Gunst zu suchen, sie noch mehr zu hassen und zu fürchten und antworte denen, die mir zureden, Arznei zu nehmen, sie sollen doch wenigstens warten, bis ich wieder bei Kräften und ordentlich gesund sei, damit ich doch einigermaßen das Wagestück ihrer Tränke und Pillen bestehen könne. Ich lasse die Natur ihren Gang gehen, ohne sie zu stören, und nehme es für bekannt an, daß sie sich mit Zähnen und Krallen versehen haben, um sich gegen die Angriffe zu wehren, die man auf sie tut, und das Gebäude zu verteidigen, dessen Einsturz ihrer Absicht zuwider ist. Ich besorge, man möchte, da sie eben im ernstlichen Kampfe mit der Krankheit begriffen ist, auf die Seite ihrer Feindin treten und ihr also gar noch neue Händel auf den Hals ziehn.
(I, 23)

Über die Kinderzucht

Dieserwegen ist der Umgang mit Menschen von so außerordentlichem Nutzen! So wie das Besuchen fremder Länder; nicht nur nach der Sitte unserer Noblesse sich zu belehren, wieviele Schritte die Santa Rotonda (Das Pantheon) im Umfang enthält oder wie fein die Leibwäsche der Signora Livia sei oder, wie andere, um aufs genaueste zu wissen, wieviel ein Neronskopf, der in einer Ruine gefunden, breiter oder länger ist, als eben derselbe auf einer ähnlichen Medaille, sondern um vorzüglich den Charakter dieser Nationen, ihre Sitten und Gesetze kennenzulernen, um unser Gehirn an dem ihrigen zu reiben und zu glätten! Ich wollte, daß man damit anfinge, den Zögling von Kindsbeinen an herumzuführen: und zwar zuerst, um zwei Fliegen mit einer Kappe zu schlagen, zu unseren benachbarten Nationen, bei denen die Sprache weit von der unsrigen abweicht, und für welche, wenn man nicht beizeiten dazu tut, die Zunge die Biegsamkeit verliert.

Man flöße ihm eine bescheidene Neugier ein, nach allem zu fragen: alles, was um ihn her sonderbar ist und sich auszeichnet, muß er besehn. Ein Gebäude, einen Springbrunnen, einen Menschen; die Walstätte einer ehemaligen Schlacht, den Zug Cäsars oder Karls des Großen.

Quae tellus sit lenta gelu, quae putris ab aestu,
Ventus in Italiam quis bene vela ferat.

Wo die Erde vom Froste starrt, wo sie staubt von Hitze;
welcher Wind gegen Italien bläst. [Properz IV, 3, 39.]

Er muß sich erkundigen nach den Sitten, den Einkünften und den Verbindungen dieses und jenes Fürsten. Das sind Dinge, die es sehr angenehm zu erfahren und sehr nützlich ist, zu wissen. In diesem Umgang mit Menschen will ich auch, und zwar hauptsächlich jene mit eingeschlossen wissen, die nur noch in den Büchern leben. Vermittelst der Geschichte wird er sich mit den großen Seelen der besten Zeitalter bekannt machen. Es ist ein eitles Studium, wird vielleicht einer oder der andere sagen; es ist aber, richtig genommen, ein Studium von sehr schätzbarem Nutzen und das einzige, welches, wie Plato sagt, die Lakedämonier sich vorbehalten hatten. Welchen Vorteil wird er nicht in diesem Fache vom Lesen der Lebensbeschreibungen unseres Plutarchs ziehen! Aber laß unseren Hofmeister auch nicht vergessen, was eigentlich der Zweck seines Amtes ist, und laß ihn so seinem Untergebenen nicht sowohl Jahr und Tag der Zerstörung von Carthago als die Charaktere Hannibals und Scipios bekannt machen. Nicht sowohl, wo Marcellus starb, sondern warum es nicht mit seiner Pflicht bestand, dort zu sterben. Er lehre ihn nicht sowohl die Begebenheiten selbst, als richtig darüber urteilen.

Eine Seele, in welcher die Philosophie ihre Wohnung genommen hat, muß durch ihre Gesundheit auch ihren Körper gesund machen. Sie muß ihre Ruhe und ihr Wohlbehagen selbst von außen scheinen und leuchten lassen; muß das Betragen des Körpers nach dem ihrigen abmessen und es folglich mit einem angenehmen, festen Mute bewaffnen, mit lebhaften, frohen Bewegungen und mit einem zufriedenen und gefälligen Anstande. Der sicherste Stempel der Weisheit ist ein ununterbrochener Frohsinn: ihr Anblick ist wie der Luftraum über dem Monde, beständig heiter. Baroco und Baralipton (Anmerkung: Zwei von den neunzehn Figuren des Syllogismus in der scholastischen Logik) aber machen ihre Leute so schmutzig und räucherig, nicht die Weisheit, denn die kennen sie nur vom Hörensagen. Wie? - Ihr Geschäft ist, die Stürme in der Seele zu legen und Hunger und Fieber lachen zu lehren: nicht durch Täuschung und Vorspiegelung, sondern durch vernünftige, faßliche Gründe. Sie leitet gerade hin zur Tugend, die nicht, wie die Schule lehrt, auf der Spitze eines steilen, schroffen, unzugänglichen Berges gepflanzt ist. Diejenigen, welche bis zu ihr gelangt sind, sagen im Gegenteil, sie wohne in einer fruchtbaren, lieblichen Ebene, von daraus sie zwar alle Dinge in der Tiefe unter sich sieht, zu welcher man aber gleichwohl, wenn man richtige Anweisung hat, durch schattige, von Blumenduft umwehte, leicht sich hebende, eben gebahnte Wege (wie die Wege am Gewölbe des Himmels) gelangen kann. Weil sie keine Bekanntschaft mit dieser erhabenen Tugend gemacht haben, die so schön, so mächtig, so lieblich, so reizend und zugleich so mutvoll, eine offenbare und unversöhnliche Feindin alles Haders, alles Mißvergnügens, aller Furcht und alles Zwanges ist, deren Führer Natur, deren Begleiter Glück und Wonne sind, so haben sie in ihrer Schwachheit sich beigehen lassen, jenes dumme Bild, das so trübselig, zänkisch, hämisch, drohend und grinsend aussieht, zu formen und es auf einem abwärts gelegenen Felsen, zwischen Dornen und Hecken als ein Scheusal aufzustellen, um die Menschen zu schrecken. Mein Edukator, welcher weiß, daß er den Willen seines Zöglings mit ebenso viel oder noch mehr Zuneigung zur Tugend als Ehrerbietung für sie anfüllen muß, wird ihm sagen, daß die Dichter (Anmerkung: Nach Hesiod, Erga, 287), dem Hange des großen Haufens folgen, und wird es ihm einleuchtend machen, daß die Götter den Steig zu den Lauben der Göttin Venus viel beschwerlicher gemacht haben als zum Tempel der Pallas, und wenn der Jüngling beginnt, sich zu fühlen, so wird er ihm Bradamante oder Angelika (Anmerkung: Zwei Heldinnen des Ariost), zu Gegenständen seiner verliebten Sehnsucht vorschlagen: die eine von ungekünstelter Schönheit, Munterkeit und erhabenem Geiste, zwar nicht von männlichem Wuchse, aber doch von männlicher Seele; auf Kosten einer zärtlichen Schönheit, die geziert ist und von erkünsteltem Reize, die eine verkleidet als Jüngling im blanken Helm, die andere verkleidet als Buhlerin, den Haarschmuck mit Perlen durchflochten. Er wird des Zöglings Liebe selbst für männlich erkennen, wenn solcher gerade umgekehrt wählt als jener weibische, phrygische Schäfer (Anmerkung: Paris) Er wird ihm diese neue Lehre beibringen, daß Preis und Würde der wahren Tugend in der Leichtigkeit, Nützlichkeit und Beharrlichkeit bei ihrer Ausübung besteht; so entfernt von aller Schwierigkeit, daß Kinder sowohl als Männer, die Einfältigen sowohl als die Klugen, dazu die Fähigkeit haben. Sie wirkt mehr durch richtige Anwendung der Werkzeuge als durch Stärke. Sokrates, ihr vornehmster Liebling, entsagt wissentlich seiner Stärke, um desto behender und zwangloser in ihr weiter zu kommen. Sie ist die Pflegerin menschlicher Freuden. Sie bestimmt ihr Maß und macht sie dadurch sicher und rein. Sie hält solche in ihren Grenzen und erhält sie dadurch frisch und von lieblichem Geschmack. Sie versagt uns solche, die sie uns verweigern muß, und schärft dadurch unser Verlangen nach jenen, die sie uns vergönnt; und vergönnt uns alle diese in reichem Maße, die die Natur uns nicht verbeut; wo nicht zum Überdruß, doch wie eine gütige Mutter bis zur Sättigung. Da wir doch auch wohl nicht sagen wollen, daß die Mäßigkeit, die dem Säufer vor dem Rausch, dem Fresser vor der Überladung des Magens, dem Wollüstling vor der Glatze noch Einhalt tut, eine Feindin unseres Vergnügens sei. Wenn das gemeine Glück ihr sauer sieht, entflieht sie seinem Dienste, oder weiß sein zu entbehren und schmiedet eines, das ganz nach seinem Sinn und nicht wankend ist und unbeständig. Sie hat den Verstand dazu, reich zu sein und mächtig und auf weichen Polstern zu schlafen. Sie liebt das Leben, sie liebt die Schönheit, den Ruhm und die Gesundheit. Ihr eigentlicher und besonderer Dienst aber besteht darin, daß sie lehrt, diese Dinge zu gebrauchen und ohne Schmerz verlieren. Ein Dienst, der viel edler ist als beschwerlich ohne welchen der ganze Lauf des Lebens Unnatur, Unheil und Unfähigkeit ist, dem man mit Recht Klippen, Dornen und Ungeheuer zuschreiben kann.

Sollte der Zögling von so sonderbarem Gemüt sein, daß er lieber ein Märchen als die Erzählung einer schönen Reise hören möchte oder sonst ein vergnügtes Gespräch, das nicht über seine Begriffe ginge; oder sollte er beim Schall der Trommel, die seine jungen Spießgesellen mit Mut anfällt, auf den Ton einer anderen horchen, die zur Gaukelbude lockt; sollte er etwa nicht mehr Lust und Freude daran finden, bestaubt und als Sieger aus einem Gefechte, als vom Tanz, oder Fechtboden mit den bei diesen Übungen gewöhnlichen Preisen zurückzukommen: nun, so weiß ich keinen besseren Rat, als man tu ihn in irgendeiner Stadt zu einem Pastetenbäcker, und wär's auch der Sohn eines Grafen und Herrn, nach der Lehre des Plato, welcher will, man solle die Kinder nicht nach dem Vermögen ihrer Väter anstellen, sondern nach dem, was ihre eigenen Seelen vermögen.
(I. 26)

Über die Freundschaft

Wenn man in mich dringt, ich soll sagen, warum ich meinen Freund Boetius liebte, so fühle ich wohl, daß sich das nicht anders ausdrücken läßt als wenn ich antworte: Weil's er war, weil ich's war. Es ist dabei etwas, das über meinen Verstand geht; und alles, was ich besonders davon sagen kann, ist, diese Vereinigung ward durch eine unbegreifliche, unwiderstehliche Macht vermittelt. Wir suchten uns, bevor wir uns noch gesehen hatten, und zwar durch Ähnlichkeiten in der Gemütsstimmung, die wir voneinander hörten und welche auf unsre Neigung stärker wirkten als nach ihrem berechneten Verhältnis zu erwarten gestanden hätte; ich glaube, es geschah auf Verordnung des Himmels. Wir umarmten uns durch unsere Namen; und bei unserer ersten Begegnung, die bei einem großen Feste und einer feierlichen Stadtgesellschaft geschah, fanden wir uns so aneinander gezogen, so bekannt miteinander, so verbunden, daß von der Stunde an uns nichts so nahe war als wir uns einer dem andern. Er schrieb eine vortreffliche lateinische Satire, welche gedruckt worden, worin er die Schnelligkeit unseres Einverständnisses, welches so stracks fort zu seiner Vollkommenheit gedieh, entschuldigt und erklärt. Da es nur so kurz von Dauer sein sollte und so spät begonnen hatte (denn wir waren beide schon Männer an Alter und er schon einige Jahre weiter), so hatte es keine Zeit zu verlieren und durfte sich nicht nach dem Muster der schlaffen und regelgerechten Freundschaften richten, wobei so viele Behutsamkeit und so lange vorausgehende Bekanntschaft erfordert wird. Diese hier hat keine andere Idee als von sich selbst und kann sich auf nichts anderes beziehen als auf sich selbst. Es ist nicht eine besonders beabsichtigte Sache dabei, nicht zwei, nicht drei, nicht vier, nicht tausend; es ist, ich weiß nicht was für eine Quintessenz aus all diesem Gemische, welche sich meines ganzen Willens bemächtigt hatte und ihn dahin trieb, sich ganz in den seinigen zu stürzen und sich darin zu verlieren, und der, nachdem er sich völlig des seinigen bemächtigt, denselben gleichfalls antrieb, sich in den meinigen zu stürzen und zu verlieren, von einerlei Hunger getrieben mit ähnlichem Eifer. Ich sage mit Fleiß ineinander verlieren, denn sie behielt sich nicht das geringste als Eigentum vor oder etwas, das sein oder mein gewesen wäre.

Bei Tische habe ich lieber aufgeweckte als fürsichtige Gäste; im Bette lieber Schönheit des Körpers als Schönheit des Geistes; beim geselligen Gespräch lieber Verstand und Witz als schulgerechte Weisheit und so im übrigen. Gerade so wie derjenige (Anmerkung: Nach Plutarch, Leben des Agesilaos), den man mit seinen Kindern spielend auf einem Stecken reitend antraf, den Mann, der ihn ertappte, bat, er möchte es nicht eher ausbringen, bis er erst selbst Vater geworden wäre, weil er meinte, die väterliche Zärtlichkeit, die alsdann in seiner Seele lebendig werden müßte, würde ihn zum billigen Richter über diese Tat machen, so wünschte ich, mit Leuten zu reden, die das erfahren hätten, wovon ich spreche; allein da ich weiß, wie selten eine solche Freundschaft und wie hoch sie über den gewöhnlichen Brauch der Welt hinaus ist, so erwarte ich darüber keinen guten Richter. Denn selbst die Meinungen, die das Altertum uns über diesen Gegenstand hinterlassen hat, kommen mir, gegen die Gefühle, die ich davon habe, als seicht und flach vor. Und in diesem Punkte übertreffen die Wirkungen die Lehren der Philosophie selbst.

Nil ego contulerim jucundo sanus amico.

Allen Dingen den frohen Genuß eines Freundes vorzuziehen, treibt mich die Vernunft.
[Horaz, Satiren, I, 5, 44.]

(I. 27)

Von der Mäßigung

Der Ehestand ist eine fromme, heilige Verbindung. Das ist der Grund, warum das Vergnügen, welches man daraus zieht, ein bedächtliches, ernsthaftes und mit einiger Strenge vermischtes Vergnügen sein muß. Es muß eine gewissermaßen kluge und gewissenhafte Wollust sein. Und, weil ihr Hauptzweck Erhaltung und Fortpflanzung ist, so gibt es einige, die es in Zweifel ziehen, ob, wann die Beschaffung dieses Endzwecks nicht zu hoffen ist, als z. B. wenn schon die Frau über die Jahre hinaus ist oder bereits ihre Bürde trägt, es erlaubt sei, dann noch diesen Beweis der Liebe zu begehren. Nach dem Plato wäre es ein Menschenmord. Gewisse Nationen (unter andern die muhamedanische) verabscheuen die Vereinigung mit einer Frau, während sie hohen Leibes ist. Verschiedene andre berühren keine Frau, so lange ihr Rosenstock blüht (Anmerkung: Solange die Menstruation währt). Zenobia erlaubte ihrem Ehegemahl nur eine Umarmung, hernach enthielt sie sich von ihm entfernt, die ganze Zeit, bis sie entbunden worden; da sie ihm dann erst wieder gestattete, den Zweck der Fortpflanzung zu bezielen. Ein herrliches, großmütiges Beispiel eines Ehebündnisses!

Plato (Anmerkung: Republik. - Der Dichter ist Homer) hat von einem Dichter, der auf diesen Handel sehr gierig und heißhungrig gewesen sein mag, folgende Erzählung entlehnt: Jupiter erkannte einst seine Juno mit solcher Glut, daß er nicht Geduld genug hatte, sie zu ihrem Liebeslager zu führen, sondern den harten Fußboden zum Thalamo erhob, und über die Freude alle die großen und wichtigen Entschlüsse vergaß, die er mit den übrigen auf dem Olymp versammelten Göttern genommen hatte. Er rühmte dabei, er habe sie diesmal ebenso entzückend befunden, als da er ihr, ihren Eltern unbewußt, das erstemal den Gürtel gelöst.

Die Könige von Persien nahmen ihre Gemahlinnen mit in die Gesellschaft, bei ihren Hoffesten: wenn sie aber fühlten, daß der Wein anfing, sie zu erhitzen, und daß sie die Wollust gar nicht mehr im Zügel halten könnten, so schickten sie solche zurück nach ihren Wohnungen im Innern des Palastes, um sie an ihren unmäßigen Begierden keinen Teil nehmen zu lassen, und ließen dann statt ihrer solche Weibsbilder herbei, führen, denen sie nicht schuldig waren, mit Achtung zu begegnen.
(I. 30)

Über die Einsamkeit

Es ist nicht zu leugnen, der Weise kann allenthalben zufrieden leben; ja selbst im Gedränge der Paläste einsam sein und sich selbst genießen: hat er aber die Wahl, so wird er, sagt die Schule, selbst ihren Anblick fliehen; er wird, wenn es nötig ist, das Erste ertragen; steht's aber bei ihm, so wird er das Letztere wählen. Ihn dünkt, er habe sich noch nicht hinlänglich der Fehler entschlagen, solange er mit den Lastern andrer kämpfen soll. Charondas belegte diejenigen mit Strafen, welche überzeugt wurden, daß sie sich in schlechten Gesellschaften befunden hätten. Nichts in der Welt ist so ungesellig und zugleich so gesellig als der Mensch; das eine durch seine Schuld, und das andre nach seiner Natur.

Da es nun aber unser Vorsatz ist, allein zu leben und der Gesellschaft zu entsagen, so laß es uns auch so anfangen, daß unsre Zufriedenheit nur bei uns stehe. Laß uns auf alle Verbindungen Verzicht tun, welche uns an andre Menschen heften. Wir müssen so viel über uns gewinnen, daß wir mit vollem Wissen und Willen allein leben und daran Behagen finden können. Stilpon war aus der allgemeinen Feuersbrunst seiner Stadt entflohen, worin er Frau, Kinder und Fahr und Habe verloren hatte. Dernetrius Poliorcetes, der ihn nach dieser großen Verwüstung seiner Geburtsstadt mit unerschrockenem Gesicht einhergehen sah, fragte ihn, ob er keinen Schaden erlitten? Er antwortete, nein! und er habe, gottlob! nichts von dem Seinigen verloren. Ebenso angenehm hört sich's, was der Philosoph Antisthenes sagte: der Mensch müsse sich mit solchem Vorrate versorgen, welcher auf dem Wasser schwimmen und solchergestalt mit ihm dem Schiffbruche entgehen könnte. Gewiß, der Mensch von Verstand hat nichts verloren, solang er sich selbst besitzt. Als die Barbaren die Stadt Nola verwüsteten, hatte dabei Paulinus, der daselbst Bischof war, alles das Seinige eingebüßt und war obendrein gefangen genommen. Dennoch betete er folgendermaßen: "Behüte mich, lieber Herr Gott, daß ich diesen Verlust nicht fühle, denn du weißt, daß sie noch nichts von dem berührt haben, was mein ist." - Die Reichtümer, die ihn reich, die Güter, die ihn gut machten, waren noch unangetastet.

Darin eben besteht die Richtigkeit der Wahl der Schätze, die weder Motten noch Rost fressen, und des Orts ihrer Niederlage, wozu niemand gelangen und den niemand verraten kann als wir selbst. Sorge derjenige, der's vermag, daß er Weib, Kinder, Vermögen und vor allen Dingen Gesundheit habe; aber laß ihn seine Seele nicht so fest daran hängen, daß er sein ganzes Glück darauf baue. Man muß ein Hinterstübchen für sich absondern, in welchem man seinen wahren Freiheitssitz und seine Einsiedelei aufschlagen kann. Hier müssen wir vernünftigen Umgang mit uns selbst unterhalten; und zwar so abgesondert, daß darin keine andre Bekanntschaft oder Mitteilung fremder Dinge stattfinde. Hier mache man ernsthafte Überlegungen, und hier lache man, als ob man weder Frau noch Kinder noch Verwandte noch Hausgesinde hätte: damit, wenn der Fall eintreten sollte, daß man sie verlöre, es einem nicht mehr schwer sei, sich ohne sie zu behelfen. Unsre Seele ist ihrer Natur nach für alle Lagen geschickt. Sie ist fähig, sich selbst Gesellschaft zu sein; fähig anzugreifen; fähig sich zu verteidigen, zu empfangen und zu geben; in dieser Einsamkeit haben wir nicht zu besorgen, daß wir vor langweiligem Müßiggange verrosten werden.

Unsre so starken Verbindlichkeiten müssen wir auflösen; dann und wann dies lieben und jenes: aber kein ewiges Band als mit uns selbst knüpfen; das heißt, das übrige sei unser; nur nicht so mit uns verfugt und verleimt, daß es nicht anders voll uns abgetrennt werden könne als daß unsre Haut dran klebe, oder ein Stück von uns selbst daran hängen bleibe. Es ist Zeit, uns von der Gesellschaft loszusagen, weit wir ihr nicht weiter frommen können. Denn wer nicht mehr leihen kann, der muß sich nicht erlauben, auf Borg zu nehmen. Unsere Kräfte schwinden: lag uns davon sparen und zusammen, halten, was noch übrig ist. Wer solch eine Menge Pflichten der Freundschaft und der Geselligkeit durcheinander mengen und in seinem Unvermögen verwechseln und auf sich selbst ziehen kann, der mag es tun. In diesem Unfalle aber, der ihn seinen Freunden unnütz, lästig und beschwerlich macht, mag er sich in acht nehmen, daß er nicht ihm selbst unnütz werde und beschwerlich und lästig. Mag er sich streicheln und lieb, kosen, besonders aber den Zügel anhalten, damit er vor seiner Vernunft und seinem Gewissen die gehörige Ehrfurcht erhalte und sich scheue, in ihrer Gegenwart zu straucheln.

Rarum est enim, ut satis se quisque veretur.

Selten ist der Mann, der nicht vergißt, daß er sich Ehrerbietung schuldig ist.

[Quintilian, X, 7.]

Sokrates sagt: Jünglinge müssen sich belehren lassen, Männer sich üben, richtig zu handeln: die Alten sich aber von allen Kriegs- oder Staatsgeschäften abziehen, nach ihren eigenen Einsichten leben, ohne zu gewissen Pflichten genötigt zu sein! Unter den verschiedenen Temperamenten sind einige nach diesen Vorschriften für die Einsamkeit tauglicher als andre. Diejenigen, welche von langsamem, schlaffem Geiste sind, von so verweichelten Neigungen und verzärteltem Willen, daß sie sich nicht leicht an Steuer und Ruder stellen lassen, worunter ich mit gehöre, sowohl von Natur als aus Überlegung; die werden sich diesem Rate eher fügen als die wirksamen, tätigen Seelen, welche alles umfassen, sich in alles eins lassen, an allem warmen Anteil nehmen; welche ihren Beistand anbieten, herbeieilen und bei jeder Gelegenheit sich hergeben. Man muß sich der zeitlichen Güter, so zufällig und unsicher sie an sich sein mögen, bedienen, solange sie uns Vergnügen machen, aber niemals daraus unsre Hauptstütze machen; das verbieten Natur und Vernunft. Und warum wollten wir, gegen deren Gebot, unsre Zufriedenheit von einer fremden Gewalt abhängig machen? Gegen ihr Gebot schon im voraus die Schläge des Glücks fühlen? Uns der Gemächlichkeiten berauben, die wir in Händen haben, wie solches schon viele aus Andächtelei und einige Philosophen aus Vernünftelei getan haben? - Sich ohne alle Bedienung behelfen? Auf hartem Lager schlafen? Sich selbst die Augen ausstechen? Seine Reichtümer in den Fluß werfen? Sich mit Fleiß Schmerzen machen? - Wenn dies einige tun, um gegen Qualen dieses Lebens die Seligkeiten eines andern einzutauschen, und andre wieder, um, wenn sie sich auf die niedrigste Stufe stellen, gegen einen neuen Sturz um so sicherer zu sein: so sind das Handlungen einer übermäßigen Tugend. Laß andre, die steifer und stärker sind, selbst ihre Abgeschiedenheit von der Welt zum glänzenden Beispiel erheben.

Tuta et parvula laudo,
Cum res deficiunt, satis inter vilia fortis:
Verum, ubi quid melius contingit et unctius, idem
Hos sapere et solos aio bene vivere,
quorum Conspicitur nitidis fundata pecunia villis.

Sichre, kleine Renten lieb ich freilich,
Und fehlten sie mir auch, so lebt ich doch bei Mangel
Zufrieden und vergnügt:
Fiel aber mir ein größres Los,
An reichern Saaten, fettern Weiden,
So sagt ich auch: Nur der ist weise,
Versteht des Lebens Lehren besser,
Der sein Vermögen nützt
Und es auf Land, und Hausbau wendet.
[Horaz, Epist. I, 15, 42.]

Mir wird es schon sauer genug, ohne so weit zu gehen. Mir genügt es schon, wenn ich mich während der Gunst des Glücks auf seine Ungnade vorbereiten kann und mir, solange mir's wohl ist, das künftige widrige Schicksal, soweit meine Einbildung reicht, vorstellen kann: so ungefähr, wie wir uns an Ringen und Fechten gewöhnen und mitten im tiefen Frieden Kriegsspiele treiben. Ich schätze den Philosophen Arcesilaus deswegen nicht minder, weil ich weiß, daß er aus goldnen und silbernen Gefäßen aß und trank, da es ihm seine Glücksumstände verstatteten, und halte ihn um so höher, weil er sich derselben mit Bescheidenheit und Freigebigkeit bediente, als wenn er seinen Reichtum im Kasten verschlossen hätte.

Die Weisen lehren uns genug, uns vor der Verräterei unsrer Begierden hüten und die wahren, unverfälschten Freuden von den gemischten und mit allerlei Mühseligkeit aufgefärbten Vergnügen unterscheiden. Denn die meisten Vergnügungen, sagen sie, kitzeln uns und umarmen uns nur, um uns zu er sticken, wie die Räuber taten, welche die Ägypter Phileten (Anmerkung: Nach Seneca, Epist. Montaigne selbst setzt irrtümlich Philistas statt Philetas) nannten; und wenn uns die Kopfschmerzen vor dem Rausche überfielen: so würden wir uns hüten, zuviel zu trinken; da geht aber die Wollust vorauf und verbirgt uns ihr Gefolge. - Die Bücher sind angenehm allerdings; wenn aber der Umgang mit denselben uns zuletzt um unsre Munterkeit und Gesundheit bringt, welche das Beste sind, was wir haben: so laß uns sie weglegen! Ich gehöre zu denen, welche meinen: ihr Nutzen könne diesen Verlust nicht aufwägen. So, wie Menschen, welche sich lange Zeit her von kränklichen Umständen geschwächt fühlen, sich endlich der Kunst des Arztes überlassen und sich Gesundheitsregeln vorschreiben lassen, um solche genau zu befolgen: so muß auch derjenige, der sich, weil er der Dinge satt und müde ist, dem gemeinen Leben entziehen will, die Einsamkeit den Vorschriften der Vernunft unterwerfen und solche im voraus nach reiflicher Überlegung einrichten. Er muß von aller Art Arbeit Abschied genommen haben, unter welcher Gestalt sie sich auch darbiete; und ganz vorzüglich alle Leidenschaften fliehen, welche die Ruhe des Leibes und der Seele stören, und dem Wege folgen, der seiner Sinnesart am besten behagt.
(I., 38)

Das Gefühl für das Gute und Böse hängt größtenteils von der Meinung ab, die wir davon hegen

Die Menschen (sagt eine alte griechische Sentenz) werden von den Meinungen gequält, die sie von den Dingen hegen, und nicht von den Dingen selbst. Man hätte schon einen großen Schritt zur Erleichterung des menschlichen Elendes gewonnen, wenn man diesem wahren Gedanken durchgängig und allenthalben Eingang verschaffen könnte. Denn wenn das Übel keinen andern Eingang bei uns findet als durch unser Urteil, so scheint es in unsrer Macht zu stehen, es zu verachten oder zum besten zu kehren. Wenn die Sachen sich nach unserm Gutachten fügen, warum lenken und beherrschen wir sie nicht zu unserm Vorteile? Wenn das, was wir Übel und Pein nennen, an sich weder Pein noch Übel ist, sondern nur insofern ihm unsre Phantasie diese Eigenschaft gibt, so steht es bei uns, es zu verwandeln? Und da wir die Wahl haben und da nichts uns zwingt, so sind wir ganz sonderbare Toren, uns steif und fest auf der Seite zu halten, die uns den meisten Verdruß macht, und den Krankheiten, der Armut und der Verachtung einen so bitteren, widrigen Geschmack zu geben, wenn wir solchen einen guten geben können? Und wenn das Glück nichts weiter hergibt als die Materie, so ist es unsre Sache, ihr die Form zu geben.

Aber laß sehen, ob der Satz Stich hält, daß das, was wir Übel nennen, an sich kein Übel ist, oder (welches auf eins hinaus läuft) ob wenigstens, so wie es ist, bei uns selbst es stehe, ihm einen andern Geschmack, eine andre Gestalt zu geben? Wenn das ursprüngliche Wesen der Dinge, die wir scheuen, die eigentümliche Macht hätte, sich nach eigner Willkür zu unterwerfen, so würde es diese Willkür über alle Menschen auf einerlei Art behaupten. Denn alle Menschen sind von einerlei Gattung und sind, das Mehr oder Wenigere vorausgesetzt, mit einerlei Werkzeugen und Organen zum Wahrnehmen und Schließen versehen. Nun aber zeigt die Verschiedenheit der Meinungen ganz deutlich, daß sie nur auf Bedingung bei uns einziehen: der eine nimmt sie vielleicht bei sich auf für das, was sie wirklich sind; aber tausend andre geben ihnen bei sich eine neue und ganz verkehrte Beschaffenheit.

Wir halten den Tod, die Armut und körperliche Schmerzen für unsre hauptsächlichsten Feinde. Wer weiß aber nicht, daß dieser Tod, den einige das Schrecklichste aller Schrecknisse nennen, von andern der einzige Hafen gegen die Stürme des Lebens, das höchste Gut der Natur, die einzige Stütze unsrer Freiheit, das allgemeine und schnelle Heilmittel gegen alle Übel genannt wird? Und daß, so wie etliche mit Zittern und Zagen an ihn denken, andre ihn leichter ertragen als das Leben? Jener beklagt sich über seine Leichtigkeit:

Mors utinam pavidos vita subducere nolles,
Sed virtus te sola daret!

Ach, daß der Tod auch Feige
Und nicht allein den Tapfern trifft!
[Lucan, IV, 580.)

Doch nichts mehr von so tapfern Gemütern! Theodorus antwortete dem Lysimachus, der ihn zu töten drohte: Du wirst eine mächtige Tat verüben, wenn du's an Gewalt einer Bremse gleichtust. Unter den Philosophen haben die meisten ihren Tod mit Fleiß beschleunigt, oder sind ihm mit allem Bedacht zuvorgekommen. Wie viele gemeine Menschen sieht man zum Tode führen, und nicht etwa bloß zu einem einfachen Tode, sondern begleitet von Schimpf und Schande und zuweilen von den herbsten Qualen, die mit einer solchen Standhaftigkeit erscheinen, der eine aus Hartnäckigkeit, der andre aus natürlicher Einfalt, daß man keine Veränderung in ihrer gewöhnlichen Fassung wahrnehmen kann. Sie beschicken ihr Haus, soweit sie bedürfen, empfehlen sich ihren Freunden, singen, halten Reden ans Volk und machen gar noch zuweilen Spaß und Scherz zum Lachen. Sie trinken auf das Wohl ihrer Bekannten, so gut wie Sokrates.

Wenn ich hier ein Register von solchen Menschen aufführen wollte, die unter allen Geschlechtern und Ständen, von allen Sekten, in glücklicheren Jahrhunderten den Tod entweder gelassen erwartet oder freiwillig gesucht haben; gesucht, nicht bloß um den Übeln dieses Lebens zu entgehen, sondern einige sogar bloß, um der Sattheit vom Leben ein Ende zu machen, und andre wegen der Hoffnung, sich in einer andern Lage besser zu befinden: so würde ich kein Ende zu finden wissen. Denn die Anzahl derselben ist so groß, daß ich wirklich weniger Mühe hätte, diejenigen aufzuzählen, die ihn gefürchtet haben. Nur dies noch: Pyrrho, der Philosoph, befand sich eines Tages auf einem Schiff in heftigem Sturme und zeigte denjenigen, die er um sich her am ängstlichsten sah, um sie aufzurichten, ein Beispiel an einem Schweine, welches mit auf dem Schiffe war und sich aus dem Ungewitter gar nichts machte. Wollten wir uns wohl getrauen zu sagen, daß der Vorzug der Vernunft, worauf wir uns so viel zugute tun und vermöge dessen wir uns für Herren und Beherrscher der übrigen Schöpfung halten, uns zu unsrer Qual gegeben sei? Was soll uns die Kenntnis der Dinge, wenn wir dadurch nur feiger werden? Wenn wir dadurch die Ruhe und Gelassenheit verlieren, worin wir uns ohne sie befinden würden? Und wenn solche uns in eine kläglichere Fassung setzt als Pyrrhos Schwein? Wollen wir die Verstandeskräfte, die uns zu unserer größten Wohlfahrt gegeben sind, zu unserm Verderben anwenden, indem wir uns gegen die Natur und die allgemeine Ordnung der Dinge auflehnen, welche will, daß jedermann seine Kräfte und Werks zeuge zu seinem Vorteile benutze?

Also wollen wir es hier bloß mit den Schmerzen zu tun haben! Ich räume ihnen ein, und zwar sehr gern, daß sie das Schlimmste sind, was uns befallen kann; denn ich bin der Mann, der ihnen so feind ist als jemand auf der Welt und sie um so mehr aufs möglichste vermeide, weil ich bisher, gottlob, keine große Gemeinschaft mit ihnen gehabt habe; aber dennoch sag ich: Es steht bei uns, wo nicht sie zu vertilgen, wenigstens durch Geduld sie zu vermindern; und wenn auch der Körper darunter niederläge, doch die Seele und die Vernunft in ruhiger Fassung zu erhalten. Wenn dem nicht so wäre, was für Wert hätte dann Tugend, Tapferkeit, Stärke, Größe der Seele und männliche Entschlossenheit? Wo wäre der Schauplatz, sich zu zeigen, wenn sie keine Schmerzen mehr zu bekämpfen hätten?

Avida est periculi vir us

Tapferkeit geizt nach Gefahr
[De provid. 4.]

sagt Seneca. Wenn wir nicht mehr auf harter Erde zu schlafen, in voller Waffenrüstung die Mittagshitze zu ertragen, zu Pferde, und Eselsfleische unsre Zuflucht in Hungersnot zu nehmen haben, wenn wir nicht mehr in der Not wären, uns in Stücke zu zerhauen, Kugeln aus den Knochen und Splitter aus den Wunden ziehen, und dies selbst mit der Sonde durchwühlen und beizen und zusammennähen zu lassen, woher wollen wir dann den Vorzug erwerben, den wir über den gemeinen Haufen haben wollen? Es ist bei weitern nicht die Flucht vorm Übel und den Schmerzen, sagen die Weisen, oder ähnliche gute Taten, sondern die sind die wünschenswürdigsten, wobei die größte Gefahr und Mühe ist.

Non enim hilaritate nec lascivia nec risu aut ioco comite levitatis, sed saepe etiam tristes firmitate et constantia sunt beati.

Nicht nur bei Scherz und Spiel, bei Lachen, Zeitvertreib und Wollust,
des Leichtsinns Gefährten, herbergt des Lebens Glück. Denn auch der
Mann von stillem Ernst findet es oft im festen Mute, womit er seine Übel trägt.
[Cicero, de fin. II, 10.]

Und aus diesem Grunde war es unsern Vätern unmöglich, sich überreden zu lassen, daß die Eroberungen durch Macht und Gewalt bei den Gefahren des Krieges nicht ehrenvoller wären als solche, die man bei aller Sicherheit durch listige Anschläge gewönne.

Laetius est, quoties magno sibi constat honestum.

Um so inniger freut die schöne Tat den Mann, je mehr sie ihn gekostet.
[Lucan, IX, 4o4.]

Auch das muß uns um so mehr trösten, daß nach dem Gange der Natur ein Schmerz, der heftig ist, nicht lange anhält, und wenn er lange dauert, leicht ist.

Si gravis, brevis; si longus, levis.

Ist er (der Schmerz) schwer, so ist er kurz; hält seine Dauer aber an, so ist er leicht.
[Cicero, de fin. II, 29.]

Du wirst sie nicht lange fühlen, wenn du sie zu heftig fühlst, sie werden ihnen selbst oder dir ein Ende machen. Und beides läuft auf eins hinaus. Entweder du besiegst die Schmerzen, oder sie besiegen dich.

Memineris maximos morte finiri; parvos multa habere intervalla requietis: mediocrium nos esse dorninos: ut si tolerabiles sint, feramus: sin minus, e vita, quum ea non placeat, tanquam a theatro exeamus?

Vergiß es nicht: die großen Schmerzen heilt der Tod; ihre Zeiten der Ruhe haben die kleinen. Derer zwischen beiden sind wir Herr: sonach ertragen wir, die zu ertragen sind. Ist ihre Last zu schwer, wird uns des Lebens Rolle lästig: wer wehrt uns, von der Bühne zu treten?
[Cicero, de fin. I. 15.]

Das, was uns die Schmerzen so unerträglich macht, ist: wir sind nicht gewöhnt, unsre vornehmste Zufriedenheit in der Seele zu suchen; uns nicht genug auf diese zu stützen, welche die einzige und höchste Gewalt über unsern Zustand hat. Der Körper hat, das Weniger und Mehr vorausgesetzt, nur einen Gang und nur eine Falte. Die Seele weiß sich in alle Lagen zu fügen und hat das Vermögen, allen Empfindungen des Körpers und jeden andern Zufälligkeiten Beziehung auf sich und ihre jedesmalige Fassung zu geben, welche die auch sein möge. Indessen muß man sie studieren und untersuchen und ihre so mächtigen Triebfedern in Wirksamkeit setzen. Gegen ihre Neigung und Wahl richten weder Gründe noch Macht, Sprüche noch Zwang etwas aus, Bei soviel tausend Hilfsmitteln, die ihr zu Gebote stehen, laßt uns ihr eins geben, das für unsre Ruhe und Erhaltung tauglich ist: Und wir werden vermöge desselben nicht bloß vor allen Beleidigungen gedeckt sein, sondern sogar, wenn es ihr so gut deucht, durch die Übel und Beleidigungen, die uns treffen, begünstigt und beschleunigt werden. Sie macht sich alles ohne Unterschied zum Vorteile. Irrtümer und Träume leisten ihr nützliche Dienste, wie andre rechtfertige Materien uns zu beruhigen und zu befriedigen. Es ist leicht zu ersehen, daß das, was uns Leiden und Freuden so innig und tief fühlen läßt; nichts anders sei als der Stachel unseres Verstandes.

Die Tiere, deren Verstand im Beschlage liegt, lassen dem Körper seine Empfindungen frei und ungezwungen, und diese sind folglich ungefähr für jede Gattung gleichförmig: so, wie sie es durch ähnliche Anwendung ihrer Bewegungen an den Tag legen. Wenn wir unsern Gliedmaßen die Befugnisse nicht verweigerten, die ihnen hierin gebühren, so würden wir, wie zu glauben ist, besser daran sein; da die Natur ihnen eine richtige und gleichschwebende Temperatur gegen Wollust und Schmerz gegeben hat, welche nicht fehlen kann richtig zu sein, da sie durchgängig und allenthalben gleich abgewogen ist. Nachdem wir uns aber von ihren Regeln losgemacht haben, um uns der ungezähmtesten Freiheit unsrer Phantasie zu überlassen, so laß uns wenigstens das Unsrige tun, diese Phantasie auf die angenehmste Seite zu lenken. Plato fürchtet unsre zu große Empfindlichkeit gegen Schmerz und Wollust deswegen, weil solche die Seele zu fest an den Körper bindet und knüpfet. Ich im Gegenteile, weil diese Empfindlichkeit die Seele zu sehr vom Körper entbindet und ihr gemeinschaftliches Band zu locker macht. Gerade so, wie der Feind durch unsre Flucht nur noch hitziger wird, uns zu verfolgen: so wird der Schmerz noch eingebildeter, wenn er merkt, daß wir vor ihm zittern. Er wird es dem weit wohlfeiler geben, der ihm die Spitze bietet. Man muß sich ihm widersetzen und festen Fuß halten. Wanken wir aber und weichen zurück, so rufen wir ihn herbei und ziehn uns das Verderben, das uns dräute, über den Hals. So wie ein Haufen Krieger dem Angriffe um so fester widersteht, als er seine Glieder geschlossen hält, so ist es auch mit der Seele.

Und ebenso bringen Reichtum, Gesundheit und Ruhm nur gerade soviel Vergnügen und Behagen, als derjenige hinein, legt, der sie besitzt. Jedem ist wohl oder weh, je nachdem er sich darin zu finden weiß. Nicht derjenige ist zufrieden, von dem man es glaubt, sondern derjenige, der es selbst glaubt. Hierin allein gibt sich der Glaube Wesen und Wahrheit.

Das Glück tut uns weder wohl noch übel: es gibt uns dazu bloß den Stoff und den Samen, die unsre Seele, die mächtiger ist als das Glück, nach ihrem Gefallen bearbeitet und anwendet: denn nur sie allein ist Urheberin und Schöpferin ihres glücklichen oder unglücklichen Befindens. Die äußern Zufälligkeiten nehmen Geschmack und Farbe an von der innern Beschaffenheit. So wie die Kleider uns nicht mit ihrer eigenen Wärme erwärmen, sondern mit der unsrigen, welche sie zusammenzuhalten und zu vermehren geschickt sind. (Wer damit einen kalten Körper bedeckte, der würde damit der Kälte eben den Dienst der Vermehrung und Erhaltung tun, denn auf diese Weise erhält man den Schnee und das Eis.) Gewiß (Anmerkung: Von hier bis Ende des Abschnittes übersetzt Montaigne Seneca, Epist. 81), es geht mit allem so zu, wie damit, daß einem Faulen das Studieren eine Plage, dem Trunkenbolde die Enthaltung von starken Getränken peinlich, dem Leckermaule eine mäßige Mahlzeit eine Strafe, und dem Weichlinge Leibesübungen eine Marter sind: so ist es mit allem übrigen. Die Dinge sind an und für sich selbst nicht so schwer, so schmerzhaft, sondern unsere Schwäche und Schlaffheit macht sie dazu. Um über große und erhabene Sachen zu urteilen, wird eine große erhabene Seele erfordert; sonst leihen wir ihnen unsere eigne Kleinheit. Ein gerades Ruder scheint im Wasser gebrochen. Es tut's nicht allein, die Sachen zu sehen, sondern darauf kommt's an, wie man sie ansieht!

Nun aber möcht ich fragen: Warum, nach so vielen Gründen, wodurch man die Menschen auf so mancherlei Weise überredet, den Tod zu verachten und die Schmerzen zu ertragen, wir niemand finden, der beides an unsrer Statt übernehmen will? Und warum unter so manchen Gedanken, um solches andern zu überreden, nicht ein jeder noch einen für sich selbst hinzufüge, der sich für seine Laune schicke? Wenn ein Magen die starke Arznei nicht vertragen kann, die sein Chef an der Wurzel anzugreifen und vorn Grunde aus zu heilen vermag, so gebe man ihm doch wenigstens Lenitive, (Anmerkung: Linderungsmittel) die ihm Linderung schaffen!

Opinio est quaedam effeminata ac levis, nec in dolore magis quam eadem in voluptate: quam quum liquescimus fluimusque mollitia, apis aculeum sine clamore ferre non possumus. Totum in eo est, ut tibi imperes.

Es liegt eine verzärtelte, eitle Einbildung bei unserem Wohl und Wehe zugrunde, die uns so schlaff und weichlich macht, daß wir keinen Bienenstich mit Geduld ertragen können. Das ganze Geheimnis dagegen ist: lerne dich selbst regieren.
[Cicero, tusc. disp. II, 22.]

Übrigens hintergeht man die Philosophie dadurch nicht, daß man die Schmerzen über alle Maßen bitter und der Schwäche der Menschheit unerträglich vorzustellen sucht. Denn man nötigt sie dadurch nur zu dieser unwiderlegbaren Antwort (Anmerkung: Seneca, Epist. 12): Wenn es unerträglich ist, in Not und Elend zu leben, so ist doch wenigstens in Not und Elend zu leben, keine Not vorhanden. Niemand ist lange elend als durch seine eigne Schuld. Wer nicht Herz genug hat, weder das Leben noch den Tod zu ertragen; wer weder fliehen noch widerstehen will, was ist für den zu tun?
(I, 40)

Über die Ungleichheit unter den Menschen

Die Glücksgüter mögen noch so erklecklich sein, so muß man doch das erforderliche Gefühl haben, um ihrer froh zu werden. Der Genuß ist's, nicht der Besitz, der uns glücklich macht.

Non domus et fundus, non aeris acervus ei auri,
Aegroto domini deduxit corpore febres,
Non animo curas: valear possessor oportet,
Si comportatis rebus bene cogitat uti.
Qui cupit, aut metuit, juvat illum sic domus aut res,
Ut lippum pictae tabulae, fomenta podagram.

Was hilft dem Stax sein schönes Landgut,
Was seine prächtigen Häuser, was seiner Schätze Haufen,
Wenn er im Fieber liegt und sein Gemüt an Krücken geht?
Wer reich sein will, der brauche, was er hat,
Sei weise und gesund dabei!
Wen Furcht und Sorge plagt,
Dem nützen Güter nicht ein Haar mehr
Als schöne Bilder blöden Augen,
Und dem von Gicht Gequälten Salb und Pflaster.
[Horaz, Epist. I, 2, 47.]

Er ist ein Narr; sein Geschmack ist stumpf und dumm. Er genießt ihrer ebenso wenig als ein Kränkelnder an Erkältung der Süßigkeit des griechischen Weines oder ein Roß des reichen Geschirrs, womit man es geputzt hat. Gerade so, wie Plato sagt, daß die Gesundheit, die Schönheit, die Stärke, die Reichtümer und alles, was man Schätze dieses Lebens nennt, für den Ungerechten in ebendem Sinne Übel sind wie Güter für den Gerechten, und umgekehrt so mit den Übeln. Und dann, was können diese äußerlichen Vorzüge da helfen, wo sich die Seele und der Körper in schlechtem Zustande befinden? Da der leichteste Nadelstich und das kleinste Leiden der Seele hinreicht, uns das Vergnügen an der Herrschaft über die ganze Welt zu benehmen? Beim ersten Anfalle vom Zipperlein sei er Majestät hin, Majestät her!
(I, 42)



Weiter Auszug Band II