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Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer






Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei
mit besonderer Rücksicht auf die Mythologieen und Mysterien des Alterthums
von Dr. Jos. Schauberg, Zürich 1861

B a n d II. - Kapitel XXXVII



Einer der sinnvollsten, erhebendsten und zugleich alterthümlichsten Gebräuche sind die Trauerlogen, welche bald nach dem Absterben eines jeden Bruders zur Feier des Andenkens desselben mit grösseren oder geringeren Feierlichkeiten je nach dem Grade und den besonderen Verdiensten desselben abgehalten zu werden pflegen. Alle Trauerlogen beginnen mit einer Art Gericht über den Verstorbenen, mit einem förmlichen ägyptischen Todtengerichte und erst, nachdem der Verstorbene der Ehre einer Trauerloge für würdig erklärt worden ist, folgt die eigentliche Todtenfeier, welche in drei Haupttheile nicht unsachgemäss getheilt werden dürfte, nämlich die Trauerrede oder die kurze Schilderung des bürgerlichen und maurerischen Lebens des Dahingeschiedenen, - das Anzünden der Lampe vor dem symbolischen Sarkophage des Verewigten und das Schmücken des Sarkophages mit Blumen durch alle anwesenden Brüder in drei Zügen und Umgängen, worauf die ganze Feierlichkeit mit der Bildung der Bruderkette und mit der Ertheilung des Bruderkusses schliesst. In England und Amerika, woselbst überhaupt die Maurerei nicht selten in Prunkaufzügen, in maurerischen Prozessionen in die öffentliche Welt hinaustritt, 1) werden häufig auch die verstorbenen Brüder, besonders wenn dieselben in dem Maurerkreise eine hervorragende




    1) Lenning, Eneyklopädie unter Prozession und Trauerloge.



Stellung eingenommen oder ein wichtiges Logenamt bekleidet haben, maurerisch beerdigt, d. h. ihr Leichnam wird feierlich durch die maurerisch bekleideten Brüder zum Grabe begleitet. Schlözer in seinem Briefwechsel, Thl. V, H. 29, Nro. 38 hat aus dem Tagebuche von dem ersten Feldzuge der Braunschweiger in Canada im J. 1776 eine Beschreibung eines solchen amerikanischen maurerischen Leichenbegängnisses gegeben, wie auch in Prestons oben angeführten Illustrations die Gebräuche der englischen maurerischen Leichenbegängnisse beschrieben sind, von welcher Beschreibung im Magazine für Freimaurer Stk.1, S. 103 bis 115 eine Uebersetzung enthalten ist. Die Schlözer'sche, Beschreibung theilt Mossdorf in dem Artikel "Trauerloge" mit und dieselbe lautet im Auszuge:

"Am 25. September hatte ich in Quebeck Gelegenheit, einen Freimaurer öffentlich begraben zu sehen. Zwei Maurer mit Trauerfahnen eröffneten den Zug. Diesen folgten die Mitglieder der Loge paarweise, nach dem Alter ihrer Aufnahme und nach Massgabe ihrer Logenämter, in ihrem völligen Maurerputz, mit feinen weissen ledernen Schürzen vor den Knieen und mit Maurerkellen an der Brust. Der furchtbare (vorbereitende) Bruder hatte ein entblösstes Schwert in der Hand. Alle Maurer waren schwarz gekleidet; statt der Trauermäntel hatten sie aber eine zwei Hände breite weisse Leibbinde von der rechten Schulter zur linken hangen, und von der rechten Seite des Huts hing ein weisses zusammengefaltetes Tuch, statt eines Flors, auf 1 ½ Ellen herunter. Hinter den Logenmitgliedern gingen zwei englische Prediger in gleichem Traueranzuge. Auf dem Sarge, welchen dienende Brüder trugen, lagen des Verstorbenen Degen und maurerische Bekleidung."

Wenn wir es auch kaum billigen möchten, dass die Maurer einen verstorbenen Bruder in solcher Weise zum Grabe begleiten, sollten es doch jedenfalls alle Maurer als ihre heiligste Pflicht betrachten, dem Leichenbegängnisse eines verstorbenen Bruders beizuwohnen und seinem Sarg dem letzten Gange zu folgen, indem dieses doch wohl nur der geringste Beweis der so gerühmten brüderlichen Liebe und Treue sein möchte. Dass dieses wenigstens geschehe,





darüber sollten alle Stuhlmeister mit Ernst und Strenge wachen.

Der wichtigste Theil der eigentlichen Trauerloge scheint uns das darin enthaltene, aber leider bis auf einige schwache Züge erloschene Todtengericht zu sein, welches wir zugleich entschieden als ägyptischen Ursprunges betrachten. Glädicke, Freimaurer-Lexikon unter Trauerloge, sagt in dieser Beziehung: "Eine solche Loge ist zwar nicht ein vollkommenes Todtengericht, aber sie ist für Jeden, der ihr beiwohnt, sehr rührend und ein starker Antrieb, als Maurer immer so zu handeln, dass die Brüder einmal wirklich Ursache haben, seinen Abschied von der Welt zu beklagen." 1) Diesem Ausspruche Gädicke's stimmen wir nicht blos aus vollem Herzen bei, sondern wünschen dringend, es möchte der richtende Theil der Trauerlogen, welche je nach dem verschiedenen Gebrauche der Logen entweder als eine Gesammttrauerloge, gleichsam als ein Allerseelenfest für alle im Laufe des Jahres verstorbenen Brüder oder, was unbedingt vorzuziehen ist, nur für einen einzelnen oder doch wenigstens nur für einzelne Brüder abgehalten werden, wieder mehr betont und belebt werden. Wo die Leichenreden noch üblich sind, wie besonders bei den Katholiken, gestalten sich auch diese unwillkürlich zu einer Art Todtengericht, da es nicht vermieden werden kann, bei der üblichen Hervorhebung der Tugenden und Verdienste des Abgeschiedenen auch seine Fehler mehr oder weniger zu berühren. Diese Todtengerichte und Leichenreden, recht behandelt, sind weniger der Todten als der Lebenden wegen zu halten, denen sie am ernsten Rande des Todes und des Grabes ein Antrieb zum Guten und eine Warnung vor dem Bösen werden sollen und können, wie Jeder bestätigen wird, der mit fühlendem Herzen Leichenbegängnissen und Trauerlogen angewohnt hat und deren tiefe Eindrücke kennt. In Aegypten frägt noch heute bei jedem Leichenbegängnisse der Iman die Leidtragenden: "Nicht wahr, auch dieser (der Verstorbene) war von den Gerechten?", worauf die Umstehenden in der Regel mit Ja antworten. Braun, Geschichte der Kunst,




    1) Vergl. auch Fessler, Rückblicke, Abth. 1, S. 301 - 312.



I. S. 4, hält diese Leichensitte für einen Ueberrest des uralten ägyptischen Todtengerichtes, was sie leicht sein könnte, zumal die Gerichtsfrage des Iman in einer merkwürdigen Weise mit den ähnlichen maurerischen Fragen bei der Eröffnung der Trauerloge zusammentrifft.

Aus dem Glauben der alten Aegypter an die Fortdauer des Lebens nach dem Tode, an die Unsterblichkeit der Seele und die Bestrafung des Bösen und die Belohnung des Guten in jener Welt, in der Unterwelt erzeugten sich folgende weitere Vorstellungen über das Schicksal der Seele nach dem Tode:

Nach dem Tode steigt die Seele im Westen mit der sinkenden Sonne hinab unter die Erde und der Tod erscheint somit sehr schön und tief bedeutungsvoll nur als ein Sonnenuntergang, dem die Wiederauferstehung folgen soll und gewiss auch wird. Am Thore der Unterwelt oder des Amentes, welcher letztere nach Uhlemann, das Todtengericht bei den alten Aegyptern, Berlin 1854, S. 10, einen dunkelen Ort unter der Erde von den koptischen Wurzeln ham-en-to bezeichnet, sitzt der Wächter oder der Verschlinger der Unterwelt, ein Ungethüm mit weit aufgesperrtem Rachen, als das Symbol des Alles verschlingenden, furchtbaren Todes. In dem Vorhofe der Unterwelt, in dem doppelten Saale der strafenden und lohnenden ewigen Gerechtigkeit, hält Osiris, umgeben von den 42 Todtenrichtern, über die ankommende Seele Gericht; 42 Todtenrichter sind, weil die Aegypter 42 Todsünden annahmen, von welchen allen der Verstorbene sich in dem letzten Gerichte zu reinigen hatte, indem er versicherte, keine Bosheit geübt, nicht gestohlen, Niemanden mit Absicht getödtet zu haben u. s. w. Nachdem der Todte sich auf diese Weise von den 42 Todsünden gereinigt und seine Unschuld betheuert hat, 1) wird sein Herz auf der Wage der Gerechtigkeit gewogen, wobei das Herz, d. h. die guten und die schlechten Thaten des Verstorbenen, in der einen Wagschale und in der andern Wagschale als der prüfende Gewichtstein die Straussfeder des Rechtes und der Wahrheit liegen. An der einen Seite der Todtenwage steht




    1) Vergl, Bunsen, Aegyptens Stelle, Va. S. 549 ff.



Anubis mit dem Kopfe eines Schakals, wohl nur eines anders gestalteten Symbols der grausen Todesmacht, an der andern Seite der spürköpfige Horus, und Thot sitzt mit dem Schreibzeuge dabei, um das Ergebniss der Abwägung und den darauf gegründeten Richterspruch aufzuzeichnen. Ist das Herz des Todten als das Herz eines Sünders auf der Wage der Gerechtigkeit und der Wahrheit zu leicht erfunden worden, wird er aus dem Vorhofe der Unterwelt und des Gerichtes in das Reich der Finsterniss, in die Hölle, an den Ort der Strafe und Vergeltung verwiesen. In dem Grabe Ramses IV. ist diese Hölle der Aegypter dargestellt und trägt hier die Aufschrift: "Diese feindlichen Seelen schauen den Sonnengott nicht, wenn er die Strahlen seiner Scheibe leuchten lässt." Die Hölle der Aegypter hat 75 Abtheilungen für die verschiedenen Klassen der Sünder, welche Zahl der Abtheilungen auffallend ist, indem man nur 42 erwarten sollte nach der Zahl der 42 Todsünden; einer jeden Höllenabtheilung steht ein furchtbarer mit einem Schwerte bewaffneter Dämon vor. Auf den vorhandenen Darstellungen werden die Seelen in der Hölle schwarz abgebildet und sind an Pfähle gebunden, während sie von ihren Wächtern mit Schwertern zerfleischt werden und was dergleichen Bilder der Höllenqualen mehr sind, worin die Priester aller Länder, die christlichen nicht ausgenommen, miteinander wahrhaft wetteifern. Die Seelen Derer, welche im Gerichte des Osiris gerecht erfunden worden sind, erhalten die Straussfeder als Symbol der Gerechtigkeit und die Göttinnen Hathor und Nutpe giessen von ihren Lebensbäumen der Persea und Sykomore das Wasser des ewigen Lebens und der Reinigung auf sie herab. So gestärkt und gereinigt, durchsehreiten sie die Unterwelt gefahrlos an den dort befindlichen, schrecklichsten Thieren und Ungethümen, Schlangen und Krokodillen vorüber, bis sie im Osten in die Gefilde des Sonnengottes Phra gelangen. Die Aufschrift über dem Reiche des Phra in dem Grabe des Ramses lautet: "Diese haben Gnade gefunden vor den Augen des grossen Gottes, sie wohnen in den Wohnungen des Ruhmes, wo das himmlische Leben gelebt wird; die Leiber, welche sie verlassen haben, werden für immer in ihren Gräbern ruhen." -





Wie die Qualen der Hölle bildlich dargestellt werden, so auch die Freuden der Gerechten und der Seligen. Man sieht diese Seelen Korn schneiden auf den Feldern, sie pflücken Blumen und Früchte, lustwandeln in schattigen Laubgängen und baden und schwimmen in einem Bassin. Der Sonnengott spricht zu ihnen: "Nehmet eure Sicheln, erntet die Frucht der Felder, die euer Theil sind, tragt sie in eure Wohnungen und geniesst sie und bringt sie den Göttern als reine Gaben dar von der Frucht des Feldes der Herrlichkeit." 1) Es erhellt, dass die Beschäftigungen und Freuden des Reiches der Seligen bei den Aegyptern denen der Erde vollständig nachgebildet waren und dass sogar im Himmel noch den Göttern geopfert werden musste, was gerade keine erhabenen Vorstellungen sind.

Dem Gerichte, welches Osiris nach dem Tode eines Verstorbenen in der Unterwelt über die dort ankommenden Seelen desselben hielt und worin Osiris entschied, ob die Seele des Verstorbenen sofort zur ewigen Freude in den Himmel, zu Gott oder Osiris eingehen dürfe, oder welche Strafen, welche Reinigungen und Besserungen die Seele zuvor noch in der Hölle, oder durch weitere Wanderungen auf der Erde zu bestehen habe, ging bei den Aegyptern in spätern Zeiten hier auf Erden ein Gericht, das Todtengericht voraus, worin auf Grundlage des Lebens und Handelns des Verstorbenen geurtheilt wurde, ob der Verstorbene eines ehrenvollen Begräbnisses würdig sei, ob er verdiene, vor den Richterstuhl des Osiris durch die Beerdigung geführt zu werden. Von diesem Todtengerichte der Aegypter hat unter den ältern Schriftstellern Diodor, I. 76, eine ausführliche Beschreibung hinterlassen und unter den neuern Schriftstellern findet man die besten Mittheilungen bei Heeren, ldeen II. S. 682, - Beck , Anleitung, Thl. I. 1. S. 717 und 759, - Creuzer, Symbolik, I. S. 411, 416 und 425; Uhlemann in der oben genannten Rehabilitationsrede über das Todtengericht bei den alten Aegyptern,




    1) Dunker, Geschichte des Alterthums, I. 8. 61 ff.; Röth, Geschichte unserer abendländischen Philosophie, I. S. 176 ff.; Uhlemann, ägypt. Alterthumskunde, II. S. 224 ff.; Mühlhause, Urreligion des deutschen Volkes, S. 326.



ferner in seinen drei Tagen zu Memphis, S. 50 ff., und ägyptische Alterthumskunde, II. S. 220 ff., - derselbe, Thot, S. 125 ff. Nach der Erzählung des Diodor meldeten, bevor ein Verstorbener bestattet wurde, die Verwandten den Richtern, Verwandten und Freunden desselben den Tag des Begräbnisses mit den Worten: "N. N. will über den See fahren." Darauf versammeln sich die 42 Todtenrichter; dass es so viele waren, ergeben die vielen von dem Todtengerichte auf den Mumien und Mumienkasten vorhandenen Abbildungen, wie sich z. B. in dem brittischen Museum zu London allein 30 Mumienkasten mit verschiedenen Darstellungen des Todtengerichtes und des Todtencultus befinden 1) und wie auch Uhlemann seiner Abhandlung eine solche Darstellung beigegeben hat. Die Richter setzten sich in einen Halbkreis in der Nähe eines Sees (vermuthlich des Sees Moeris in der Nähe von Meinphis, oder des Niles) und das zur Ueberfahrt bestimmte Fahrzeug, dessen Fährmann in ägyptischer Sprache Charon heisst, fährt auf dem See. Bevor aber der Sarg mit dem Leichnam in das Fahrzeug gebracht wurde, stand Jedem gesetzlich frei, den Verstorbenen bei den Richtern, deren Zahl Diodor nur als über 40 betragend nennt, anzuklagen. Konnte Jemand nachweisen, dass derselbe ein schlechtes Leben geführt habe, so gaben die Richter ihr Urtheil ab, und dem Leichnam wurde die gewöhnliche Bestattung versagt; ergab sich dagegen, dass der Kläger den Verstorbenen ungerechter Weise angeklagt habe, so verfiel jener selbst in grosse Strafe ganz übereinstimmend mit dem weltlichen Gericht, wo einen falschen, böswilligen Ankläger die Strafe des erdichteten Verbrechens traf. Meldete sich jedoch überhaupt kein Ankläger oder wurden die vorgebrachten Anklagen grundlos befunden, so legten die Verwandten des Verstorbenen die Trauerkleider ab und hielten Lobgesänge auf ihn, wobei sie nicht die Geburt oder hohe Abkunft desselben, sondern seinen rechtschaffenen und tugendhaften Lebenswandel priesen und die Götter der Unterwelt anflehten, ihn unter die Frommen aufzunehmen. Hierauf, d. h. nach der Lobrede auf den Ver-




    1) H. Meyer, ein Besuch im brit. Museurn, Zürich 1857, S. 130.



storbenen und dem Gebete an die Götter, wurde unter dem Beifallsjauchzen der versammelten Menge der Leichnam des Verstorbenen in dem Erbbegräbnisse der Familie beigesetzt, wozu er in dem geschmückten Todtenschiffe unter feierlicher Begleitung über den See geführt wurde, wie dieses die Abbildungen bei Wilkinson näher zeigen. Wem jedoch in dem Todtengerichte die Ehre des Begräbnisses versagt worden war, der wurde in dem Hause der Nachkommen. oder Verwandten beigesetzt und seine Mumie, in dem Sarge stehend, an die Wand gelehnt. Jedoch stand es später immer den Verwandten oder Kindern des Verstorbenen frei, seine Schulden zu bezahlen oder seine übrigen Vergebungen mit Geld zu sühnen und ihm auf diese Weise die Ehre des Begräbnisses auszuwirken. - Das Todtengericht, die Ehre des Begräbnisses klingt auch noch in den griechischen Todtengebräuchen nach und die Ehre des Begräbnisses wurde bei den Griechen nur Demjenigen versagt, der Verrath am Vaterlande geübt oder eines todwürdigen Verbrechens sich schuldig gemacht hatte. 1) Schon in der homerischen Zeit galt es als der erste Liebesdienst, dem Verstorbenen die Augen und die Lippen zuzudrücken. Den alten attischen Gebrauch, die Erde, welche den Leichnam umhüllte, mit Getreide zu besäen, betrachten wir als ein schönes Symbol des Glaubens an die Unsterblichkeit , an das dem Verstorbenen neu erblühende Leben, während Guhl und Koner sagen: "denn die nährende Erde, mit welcher man den Todten verhüllte und in deren Furche man Getreidekörner warf, sollte, nach dem Glauben der Alten, den vergehenden Leib besänftigen." Bei dem Todtenmahle, welches der Beerdigung folgte, wurde von den Angehörigen der wahre Werth des Verstorbenen gepriesen, derselbe also gerichtet, nam mentiri nefas habebatur. Auch wurde dem Todten ein Obolus als Fährgeld () für den Charon in den Mund gesteckt. In Athen war es eine gesetzliche Bestimmung, dass kein Grabmal prächtiger errichtet werden durfte, als zehn Menschen innerhalb dreier Tage herzustellen vermochten. Zu Athen wurde drei




    1) Guhl und Koner, das Leben der Griechen und Römer, S. 317 ff.



Tage nach der Beerdigung das erste Todtenopfer , am neunten das zweite () am Grabe dargebracht und am dreissigsten Tage beschloss ein drittes Opfer () die Zeit der Trauer, welche mithin ein Trauermonat war. Die Sitte, dem Verstorbenen einen Obolus für den Charon mitzugeben, war auch in dem spätern griechischen oder wiedererbauten Carthago heimisch, jedoch wurde hier der Obolus in eine Grablampe gethan. 1)

Die maurerische Trauerloge ist nun wohl ganz unzweifelhaft das ägyptische Todtengericht oder stammt von demselben her. Diese maurerische Trauerloge mit ihrem ganzen Rituale kann unmöglich ganz neu von den Maurern erfunden, erdacht oder erst in England bei der Entstehung der blos symbolischen Maurerei eingeschoben worden sein, sondern steht gewiss, obwohl es bis jetzt nicht urkundlich nachgewiesen zu werden vermag, im unmittelbaren Zusammenhange mit dem Todtengerichte der alten Aegypter. Es würde ein ganz ausserordentliches und zur Zeit der Stiftung der jetzigen symbolischen Maurerei nach dem damaligen Stande der historischen Forschungen und Wissenschaften, und besonders ehe durch die grosse wissenschaftliche Expedition Napoleons die ägyptischen Tempelruinen, Pyramiden und Gräber zugänglich geworden und geöffnet worden waren, geradezu unmögliches Unternehmen gewesen sein, das noch heute gebräuchliche Ritual der maurerischen Trauerloge neu zu erdenken und zusammenzusetzen. In diesem Rituale klingen Jahrtausende nach, beurkundet sich jedem Denkenden und sachkundig Vergleichenden das alte Todtengericht der Aegypter, worin entschieden wird, ob Verstorbene nach seinen Thaten der Ehre des feierlichen Begräbnisses, der Ehre einer Trauerloge würdig sei. Im höheren Interesse der Wissenschaft ist es zu beklagen, dass dieses Ritual hier nicht mitgetheilt werden darf, obwohl dessen Veröffentlichung wegen des dasselbe durchwehenden höheren Geistes den Freimaurern nur Ehre bringen könnte, auch sonst nicbt der geringste Grund zu dessen Geheimhaltung vorliegt. Wie in Aegypten dem Unwürdigen, dem mit Recht Angeklagten und Schuldig




    1) Beuh, Fouilles de Carthage, S. 47.



Befundenen die Beerdigung, die Ueberfahrt über den See versagt wurde, könnte und sollte auch bei den Maurern dem Unwürdigen die "Ehre" einer Trauerloge versagt werden. Jedoch der Maurer richtet milde, in der Hoffnung nach Schiller's 1) unsterblichem Gedichte, dass Gott über dem Sternenzelte richten werde, wie wir allhier gerichtet. Uebrigens ist es ein höchst erhebender und die Ueberlebenden zu den edelsten Thaten, zur Uebung nur des Guten und zur Vermeidung alles Bösen anspornender Gebrauch, dass nach dem Tode eines Menschen, eines Maurers sein Leben und seine Thaten von uns selbst menschlich, mit milder Strenge und im Bewusstsein der eigenen Schwäche gerichtet und so der Verstorbene uns ein Vorbild oder eine Warnung werde.

Die ägyptische wirkliche Fahrt über den See, welche nur ein Nachklang einer gemeinsamen Vorstellung der Urmenschheit des von der Seele des Verstorbenen zu übersetzenden Wolken- und Himmelmeeres ist, erscheint in der deutschen Mythologie 2) als eine Fahrt des Verstorbenen in der Unterwelt, ähnlich wie dieses auch in der griechischen Mythologie der Fall ist. In der deutschen




    1) Schiller war nicht in eine Loge als Mitglied aufgenommen, also nicht förmlicher Freimaurer, aber er war im Jahr 1784 durch Körner, den Vater des Dichters Körner, in bewundernder Anerkennung seines Dichtergenius von Mannheim nach Leipzig gezogen und von ihm auf das Wärmste in jeder Hinsicht unterstützt worden. Körner war ein ebenso eifriger als wahrer Freimanrer, wie gerade die Unterstützung Schillers aus diesem maurerischen Geiste und aus dieser maurerischen Gesinnung hervorgegangen war. Durch Körner zunächst wurde Schiller mit den Bestrebungen und Grundsätzen der Maurerei bekannt und die unmittelbare Frucht dieser Bekanntschaft war sein herrliches Lied an die Freude, welches aller Vermuthung nach speciell für die Freimaurer gedichtet wurde, wie schon für sich allein die ganze Haltung des Liedes beweist. Noch mehr aber ist der Marquis Posa in dem damals von Schiller zu Leipzig umgearbeiteten Don Carlos das Schiller'sche Bild, die ideale Personification des Freimaurers, des begeisterten Freundes der ganzen Menschheit. Ein zweiter Freimaurer, Br. Göthe, verschaffte Schiller seine Anstellung an der Hochschule zu Jena als Professor der Geschichte und begründete dadurch dessen festes und sorgenloses Leben. Zu Jena schrieb Schiller in dem freimaurerischen Geiste besonders seinen Aufsatz über die ästhetische Erziehung des Menschen.
    2) Simrok, Mythol, S. 299 und 460.



Mythologie fordert der Fährmann, der über den Todtenfluss die Seele setzt, als Fährlohn Hände und Füsse, und deshalb pflegte man Hände und Füsse in den Sarg der Verstorbenen zu legen, damit sie bei der Ueberfahrt den Zoll entrichten könnten. Ueber die die Unterwelt umgebenden Ströme führt nach der deutschen Mythologie 1) eine Brücke, welche durch eine Jungfrau Môdpuhr (Seelenkampf) bewacht wird; den der Unterwelt Nahenden hält diese Jungfrau ihre Werke, ihre guten und bösen Werke gleich einem Spiegel vor und verbietet und erlaubt durch sie den Uebergang über die Brücke, den Eingang in die Unterwelt. Diese die Himmelsbrücke bewachende Jungfrau ist nur eine andere Gestaltung des parsischen, bei der Brücke Chinavat wachehaltenden Hundes und des ägyptischen Todtengerichtes. Auch ist es eine den Baktrern und Indern, den Aegyptern und Juden, Griechen und Römern, Kelten und Germanen gemeinsame Vorstellung, sich die Hölle, den Strafort der Bösen, den baktrischen Duzakh, jüdischen Scheel, ägyptischen Amentes, griechischen Hades und Tartarus u. s. w. als einen er schreckend finsteren und dunkelen Ort tief unter der Erde oder im tiefen Innern der Erde zu denken und den dort sich aufhaltenden Geistern dieselbe Farbe zu ertheilen, während umgekehrt die Wohnung der Gerechten, der Gereinigten und Lichten in das Himmelslicht verlegt wird. So erblickt auch Johannes im dritten Kapitel seiner Offenbarung die mit weissen Röcken Bekleideten im Himmel, und als er sie erschauet und fraget, wer diese seien und woher sie gekommen, wird ihm geantwortet: "Es sind Die, die aus der grossen Trübsal gekommen sind, und ihre Röcke gewaschen, und ihre Kleider mit dem Blute des Lamms weiss gemacht haben." In diesem Sinne spricht Johannes weiter: "So bedenke nun, wie du gelehrt worden und was du gehört hast; und. halte es und thue Busse. So du nun nicht wachen wirst, so werde ich über dich kommen wie ein Dieb und du wirst nicht wissen zu welcher Stunde ich über dich kommen werde. Du hast auch zu Sardes Wenige, welche ihre Kleider nicht besudelt




1) Simrok, a. a. O., S. 351.



haben; und diese werden mit mir in weissen Kleidern wandeln, denn sie sind es werth. Wer überwindet, der wird mit weissen Kleidern bekleidet werden; ich will seinen Namen aus dem Buche des Lebens nicht austilgen, und will seinen Namen vor meinem Vater und seinen Engeln bekennen. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt."

Sobald die Sehnsucht nach Unsterblichkeit der Seele, der Glaube an die Fortdauer des Ichs nach dem Tode, bei den Völkern hervortritt, dringt sich ihnen mit Nothwendigkeit auch der Gedanke auf, dass aus dem gegenwärtigen Leben das künftige entstehe, - dieses nur die Fortsetzung und Fortdauer Dessen sei, was der Mensch hier geworden und begonnen habe. Dauert des Menschen Geist als solcher unsterblich fort und ist der Tod nur der Uebergang zum weiteren Leben: dann dauert mit dem unsterblichen und fortlebenden Geiste auch seine gute und böse That, die ihm gegebene Eigenschaft und Natur, der ausgestreute Samen als die reifende Frucht fort. War der Mensch gut und wandelte er auf dem rechten Wege, muss auch das neue und fortgesetzte Leben ein gutes und gerechtes sein, und umgekehrt, wenn der Mensch böse war und handelte. Das das Gute belohnt und das Böse bestraft werde, dass das gegenwärtige Leben das künftige bedinge, dieses zum guten oder schlechten Leben mache, ist die unumgängliche Folgerung aus dem Glauben an die Fortdauer und Unsterblichkeit des Ichs. Der Sterbende vergehet nicht, er wandert nur hinüber zu einem neuen Leben an einem andern Orte; aber dieser Ort oder wenigstens und jedenfalls das daselbst fortzusetzende Leben wird bestimmt durch das diesseitige Leben, - durch das Gute oder Böse, welches der Mensch hier vollbracht, da doch die Fortsetzung sich an den Anfang reihen muss und das begonnene geistige Leben nicht mehr erlöschen soll. Die einfache Grundvorstellung der ältesten Völker und Menschheit ist: dass die Guten oder Reinen. und Lichten zu dem Lichte, zu dem Himmel, in die lichtstrahlenden Höhen zurückkehren und eingehen werden, wo der Ewige thront und woher sie ausgesandt worden sind, - dass sie durch ihre guten Werke wie von Geistern und Engeln zu Gottes





Thron in das ewige Licht und Leben emporgetragen werden. Die Bösen und Schwarzen dagegen werden in die Finsterniss, in die dunkle Unterwelt, in das im Innern der Erde brennende ewige Feuer, in die Hölle verstossen, um dort bestraft und gereinigt zu werden. Himmel und Hölle werden dabei nur im gesteigerten Masse mit den Freuden und Leiden ausgestattet, welche jedes Volk in seinem Lande und auf seiner Bildungsstufe kennt, liebt und fürchtet; Himmel und Hölle sind nur das vergrösserte Spiegelbild des jedesmaligen irdischen Lebens. Die guten und die bösen Thaten schliessen aber an und für sich den Lohn und die Bestrafung, den Himmel und die Hölle in sich; es gibt blos eine Fortdauer, ein Fortleben und damit dauert und lebet Jedem sein Himmel und seine Hölle; der Mensch ist durch seine Thaten sein eigener Richter, Belohner und Bestrafer, und was er hier geworden ist und gesäet hat, wird er jenseits sein und ernten. Der kindliche und dichterische Sinn der ersten Menschheit fasste diesen scharfen Gedanken nicht; obwohl der Zendavesta sagt: "Ihr Lohn wird in ihren Thaten liegen" und Moses: "Dann wird Jeder erhalten, was seine Thaten werth sind." Er löste die Frucht von dem Baume, das Gericht und Urtheil von der That und lässt die That durch einen göttlichen Todtenrichter nach dem Absterben des Menschen bei seiner Ankunft in dem Jenseit oder auf dem Wege dahin gerichtet werden. Das Sterben des Menschen ist nunmehr seine Abberufung und sein Erscheinen vor dem ewigen Richter, vor dem himmlischen Gerichte, um den Lohn und die Strafe seiner Thaten zu hören und zu empfangen; dem letzten Gerichte kann Niemand entgehen, wohin er sich auch wenden und flüchten möge; unerbittlich sind die Todtengötter, weil, was lebt, auch sterben muss, und dieses Schicksal, das Weltgesetz Zeus selbst nicht ändern kann und darf, - die Allmacht der Götter eine gesetzliche ist.

Das sogenannte Zendvolk scheint nach einzelnen Andeutungen des Vendidad angenommen zu haben, dass vor dem Uebergange der Seele in das andere Leben über sie Gericht gehalten, ihre guten und bösen Thaten zur Fällung des entscheidenden Richterspruches gegen einander





abgewogen werden. Der Uebergang in das andere Leben ist das Gericht, ist bei dem Zendvolke das Eingehen in den Himmel über die Brücke Chinavat oder das Herabstürzen von derselben in den unter ihr geöffneten Höllenschlund, den Duzahk. Nach Haug in der Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft, Bd. XI. S. 691, bezeichnet die Brücke cinvat nur die Richterbrücke, über welche der Reine und der Fromme wird ungehindert und ungefährdet gehen können, während der Gottlose sie umgehen und meiden muss, um auf ewig in der Wohnung des Truges und der Lüge zu sein; der Böse hat gleichsam sich selbst um den Himmel betrogen und gelogen. In einer, wenn auch möglicher Weise später beigesetzten Stelle des Vendidad, Farg. X, 14 - 19, wird in dem Gedanken, dass der Mensch nur der Schöpfer seines künftigen Schicksales sei, sich selbst über die Richterbrücke zum Himmel geleite oder von ihr hinab zur Hölle werfe, - dem reinen Verstande oder dem verständigen Denken die Kraft beigelegt, dass er von Sünden reinige, das Herz weit mache und an der Brücke Chinavat Verdienste gewähre, - dass er uns erlangen lasse den Ort, die Reinheit und das Gute des Paradieses. Das nach dem Tode über die Seele des Verstorbenen bei ihrer Ankunft an der Brücke Chinavat gehaltene Gericht wird im Vendidad, Farg. XIX, 89 ff., also geschildert:

  1. "Schöpfer! wo sind diese Gerichte, wo gehen diese Gerichte vor sich, wo versammeln sich diese Gerichte, wo kommen die Gerichte zusammen, welche der Mensch der mit Körper begabten Welt für seine Seele ablegt?"

  2. "Darauf entgegnete Ahura-mazda: Nachdem der Mensch gestorben, nachdem der Mensch hinübergegangen ist, nach dem Weggange wirken die schlechten, Uebles wissenden Daevas."

  3. In der dritten Nacht, nach dem Kommen und Leuchten der Morgenröthe."

  4. "Und wenn auf die Berge mit reinem Glanze der siegreiche Mithra sich setzt."

  5. "Und die glänzende Sonne aufgeht."

  6. Dann führt der Daeva Vîzaresho mit Namen, o heiliger





    Zarathustra, die Seele gebunden, die sündlich lebende der schlechten, die Daevas verehrenden Menschen."

  1. "Zu den Wegen, welche von der Zeit geschaffen sind, kommt, wer für das Gottlose und wer für, das Heilige ist."

  2. "An die Brücke Chinvat kommt er, die von Ahura-mazda geschaffene, wo sie das Lebensbewusstsein und die Seele um den Wandel befragen."

  3. "Den geführten in der mit Körper begabten Welt."

  4. "Diese schöne, wohlgeschaffene, schnelle, wohlgewachsene kommt."

  5. "Mit dem Hund, mit Entscheidung, mit Vieh (?), mit Stärke, mit Tugend."

  6. "Diese bringt die Seelen der Reinen über den Haraberezaiti (Alborj) hinweg."

  7. "Ueber die Brücke Chinvat bringt sie das Heer der himmlischen Yazatas."

  8. "Es steht auf Vohu-manô von seinem goldenen Throne."

  9. "Es spricht Vohu-manô: Wie bist du, o Reiner, hierher gekommen?"

  10. "Aus der vergänglichen Welt zu der unvergänglichen Welt."

  11. "Zufrieden gegen die reinen Seelen."

  12. Zu Ahura-mazdas zu der Amesha-çpenthas Thronen, den goldenen."

  13. "Zum Garo-nemâna, der Wohnung Ahura-mazdas, der Wohnung der Amesha-çpentas, der Wohnung der andern Reinen."

  14. "Der sich reinigende Reine - nach dem Tode fürchten die schlechten, Uebles wissenden Daevas so seineu Geruch."

In diesen gewiss sehr alten Stellen ist der anfängliche Glaube des Zendvolkes über das Schicksal der Seele nach dem Tode enthalten und noch wenig in seinen einzelnen Theilen phantasiereich ausgebildet; in den späteren parsischen Schriften ist dieses geschehen und, wie schon früher berührt, erscheinen dem Frommen auf seinem Wege zum Himmel seine eigenen guten Werke in der Gestalt eines schönen Mädchens und geleiten ihn zum Himmel, wo er





von Vohu-manô (Bahman) aufgenommen wird. Dem Bösen erscheinen die schlechten Thaten in Gestalt eines hässlichen Mädchens, er wird zur tiefsten Hölle geschleppt, wo Agra-mainyus und seine Daevas ihn mit Spottnamen empfangen und durch alle erdenklichen Qualen zu peinigen geloben 1).

Bei den Indern ist Jamas oder Jas, der Sohn der Sonne, in der Unterwelt Jamapuram, der Richter über die Seelen der Todten. Jamas, wörtlich der Bändiger, oder auch Vamanas, der Beruhiger, der Bezähmer, ist die Personification des Todes, - der Beherrscher der Todten, der Geister aller Abgestorbenen, der guten wie der bösen, daher sein Beiname Antakas oder Kritântas, der das Ende Bereitende, - Pretapatis oder Pretarâdschâ, der Todtenkönig, - Guptis, der Verberger, - Dadhnas, der Das, was er hat, festhält, - Dschiwitecas, der Herr des Lebens, - Kâlas, die Zeit oder der Tod. Als Todtenrichter ist Jamas Feind der Bösen und Gott der Gerechtigkeit, wie die Namen Dharmas , Gerechtigkeit, - Dharmarâdschâ, König der Gerechtigkeit, - Kinâças, Zerstörer, der Schlechte, - Bhimaçasanas, dessen Gebote fürchterlich sind, - Samawarti, der Alles Ausgleichende, - Kankas und Karmakaras, der Werkthätige, beweisen. Die Seelen der Verstorbenen werden von den Dienern Jamas' geholt, indem sie dieselben aus den Leichnamen ziehen, mit Stricken binden und fortführen. Bei ganz besonders frommen Menschen holt Jamas die Seele selbst. Wenn die Boten Jamas' nun eine Seele vor den Todtenrichter gebracht haben, so befiehlt dieser seinem ersten Diener oder Schreiber, Namens Tschitraguptas oder Tschandraguptas, das Verzeiehniss aller guten und schlechten Thaten des Verstorbenen, über welche er ein Buch führt, das Ugrasandhâmi genannt wird, vorzulesen, und nach Verhältniss und Art und Weise derselben wird die Seele entweder im Paradiese belohnt oder in eine der Höllen gebracht 2). - Jamas heisst auch Dhamas, der Blasende, welche Benennung vielleicht in Beziehung zu der Idee steht, nach wel-




    1) Spiegel, Avesta. I. S. 248.
    2) Wollheim, Mythol. des alten Indien, S. 105 ff.



cher am Tage der Vergeltung der Richterengel die Posaune bläst, welche Posaune des letzten Gerichtes auch noch in andern Glaubenskreisen, z. B. bei den Juden und Germanen erscheint. Bei den Germanen stösst Heimdall in das Giallarhorn, wenn die dem Weltuntergange unmittelbar vorangehende Götterschlacht beginnt, dass man es durch alle Welten hört. Der Posaunenstoss des Heimdall ist der Donnerschlag, weshalb auch das Giallarhorn unter dem himmelhohen, heiligen Baume, d. h. dem Wetterbaume verborgen ist. 1) Im Evang. Matthäi 24, 31 heisst es: "Und er wird senden seine Engel mit hellen Posaunen und sie werden sammeln seine Auserwählten von den vier Winden , von einem Ende des Himmels zu dem andern." Nach Paulus im ersten Briefe an die Corinther 15, 52 wird zur Zeit der letzten Posaunen die Posaune erschallen und die Todten werden auferstehen unverweslich und wir werden verwandelt werden. Zufolge des ersten Briefes Pauli an die Thessalonicher 4, 16 wird der Herr selbst dereinst mit der Posaune Gottes vom Himmel hernieder kommen und die Todten in Christo werden auferstehen zuerst. Ebenso posaunen in der Vision des Johannes beim letzten Gericht die 7 Engel; "Und der siebente Engel posaunete, und es wurden grosse Stimmen im Himmel, die sprachen: Es sind die Reiche der Welt unseres Herrn und seines Christus geworden, und er wird regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit (11, 15)." Sonst wird in der Genesis, z. B. 45, 29 u. 31, in griechischer Weise von der "Unterwelt" als dem Aufenthaltsorte der Verstorbenen geredet, wohin die Sterbenden zu ihren vorausgegangenen Vätern und Stammgenossen, den Pitris, versammelt werden. Die Unterwelt, hebräisch Sche' ol, griechisch Hades, wird unter der Erde gedacht und dort führen nach volksthümlicher Vorstellung die abgeschiedenen Seelen ein schlafähnliches Dasein.

In der maurerischen Trauerloge folgt dem formellen Todtengerichte, in welchem den Verstorbenen die Ehre einer feierlichen Trauerloge bewilligt wurde, die Trauerrede, welche von einem dem Verstorbenen besonders Nahegestandenen pflegt gehalten zu werden. Diese Trauerrede




    1) Schwartz, Ursprung der Mythol., S. 202.



ist das materielle oder wirkliche Todteingericht und oft selbst ein Gericht über die Lebendigen, wenn der Verstorbene sie durch seine Werke und Tugenden zu beschämen vermag. In die Macht des Trauerredners und seine geschickte Lösung der ihm gestellten Aufgabe ist es besonders gegeben, die Trauerloge zu einem erhebenden, tiefwirkenden Todtengerichte zu machen; wir lassen hier eine solche wirklich gehaltene Trauerrede um so eher folgen, als dieselbe zugleich den Vorzug der Kürze haben dürfte:

"Mit aufrichtiger Bereitwilligkeit habe ich den Auftrag übernommen, an der Stelle des sehr ehrw. Br. BI. dem in den ewigen Osten vorausgegangenen Br. K. die Grabesrede zu halten, die Worte der letzten Erinnerung zu sprechen. Lassen Sie den verstorbenen stillen, aber dennoch äusserst treuen, gerne helfenden und selten fehlenden Br. K. im Geiste wieder in Ihre Mitte zurückkehren und sein Bild lebendig in Ihnen aufleben. Dort in der Mitternachtskolonne sehe ich den guten Br. K. noch sitzen und ganz unvergesslich ist er mir, gedenke ich der Meisterlogen. Unter den wenigen Brüdern, welche den Meisterlogen bei zuwohnen pflegten, befand sich gewiss auch Br. K., weshalb ihm auch regelmässig die Mitbewachung des Sarges übertragen wurde. Vielen Brüdern, welche jetzt den wirklichen Sarg des Br. K. umstehen, bewachte einst Br. K. den symbolischen Sarg; aus dem Sarge hat das Wort des Meisters der Meister, des Ewigen, des Jehovah Sie zum Leben erweckt und wir glauben und hoffen, dass ebenso Br. K. durch die Pforte des Grabes hinübergegangen sei in das Reich des ewigen, Lichtes und Lebens. Die Unsterblichkeit des Geistes, welche die Meisterloge so oft symbolisch dem Br. K. verkündete und versprach, hat er sicher jetzt in der That und Wahrheit gefunden und er ruft aus dem Reiche der Geister beseligt herab: "Deponens aliena, ascendit unus, - wenn der Leib in Staub zerfällt, schwingt sich der Geist zum Himmel auf!"

Br. Heinrich K. war im J. 1796 zu Illnau von armen Eltern geboren und die Dürftigkeit seiner Eltern, so wie die damaligen politischen Verhältnisse bestimmten, beschränkten und drückten die Schicksale seines Jugendlebens. Seine Schulbildung war höchst mangelhaft und





schon in früher Jugend war Br. K. gezwungen, in dem Handwerke seinem Vater hülfreiche Hand zu leisten. Nachdem Br. K. das väterliche Handwerk erlernt und das Jünglingsalter erreicht hatte, wurden ihm das väterliche Haus und die Heimath bald zu enge und es zog ihn hinaus in fremde Länder und zu andern Menschen. Das nächste Ziel der Reisen des Br. K. war Paris, wo er längere Zeit verweilte und in seinem Berufe sich best möglich vervollkommnete. Von Paris führte den Br. K. seine Wanderlust über das Meer nach London. In London eröffneten dem Br. K. im J. 1824 sein biederer Charakter, sein Fleiss und seine Liebe zur Arbeit die Pforten der dortigen Loge la Confidence und von nun an blieb die Maurerei die freundliche und treue Lebensbegleiterin des Br. K. bis zu seinem Grabe. Aus London kehrte Br. K. über Paris nach Zürich zurück, wo er sich niederliess und verheirathete und ein ebenso braver als zärtlicher Familienvater wurde. Von seiner Gattin wurden dem Br. K. zwei Knaben geboren, von denen jedoch der eine sehr jung verstarb. Die ganze Liebe und Sorgfalt des Vaters wandte sich nun dem überlebenden einzigen Sohne zu und in der Erinnerung an die leider entbehrte bessere Erziehung und Bildung war er unablässig bemüht, jetzt dem Sohne die möglichste Schulbildung zu geben. Durch unermüdlichen Fleiss, langjährige Anstrengung und grosse Sparsamkeit gelang es Br. K., sich ein mässiges Vermögen zu erwerben, welches ihm in spätern Jahren, als Auge und Hand den Dienst zu versagen anfingen, erlaubte, sorgenfrei in bescheidenen Verhältnissen zu leben. Der Abend seines Lebens wurde getrübt durch ein fortwährendes Kränkeln seiner geliebten und getreuen Gattin; der Verlust derselbem erschütterte ihn tief und führte ihn schneller dem eigenen Tode zu. Der einzige Sohn des Br. K. war nach Brasilien gegangen und hatte sich dort, nach dem Wunsche des Vaters, in den Freimaurerbund aufnehmen lassen. Den Sohn und Bruder nochmals zu sehen und zu umarmen, war der letzte und sehnlichste Wunsch. des dem Grabe nahen Vaters und diesen Wunsch hat ihm der allmächtige Baumeister der Welt erfüllt. Der Vater sah den theuren Sohn wieder und war so glücklich, mit dem Sohne und





Bruder im vorigen Jahre in unserm Tempel ein Maurerfest zu feiern. Die schönen Tage und Wochen, welche Br. K. mit seinem Sohne in Liebe und Freundschaft zusammenn verlebte, waren das letzte irdische Geschenk des gütigen Himmels, denn nur wenige Zeit nach der Abreise seines Sohnes begleiteten die BBr. seine Leiche zum Grabe. Tief gerührt hat es den fernen Sohn, zu vernehmen, welche zahlreiche BBr. den Vater zu seiner Ruhestätte gefolgt seien und für ihn das letzte Gebet gebetet haben; um den Brüdern dankbar zu sein und um das maurische Andenken des Vaters zu ehren, sandte der Sohn 100 Franken für den Stiftungsfond verewigter Brüder. Ja, meine Brüder, das Andenken des Br. K. bleibe uns heilig; er war der ganzen Loge und allen einzelnen Brüdern ein treuer Bruder, wie er seiner Gattin und seinem Sohne ein treuer Gatte und Vater gewesen. Er war an seinem schwachen Orte, was er sein sollte und sein konnte; wohl, drei Mal uns, wenn auch über uns einstens der Todtenrichter also urtheilt."

Die Trauerloge ist die geeignetste Stätte und Gelegenheit zum Vortrag der praktischen Tugendlehre oder Ethik, der goldenen Regeln des Pythagoras und der Maurerei, indem wohl das Leben eines jeden Menschen und Maurers lehren wird, welche Tugend mit Erfolg geübt werden könne und welche Fehler vorzüglich zu meiden seien. Das Leben eines jeden Menschen, auch des scheinbar unbedeutendsten, wird nach irgend einer Seite hin sich als eine Lehre von den guten Sitten und Werken betrachten und anwenden lassen. Solch' eine Lehre ist auch ein alter, im J. 1521 erschienener und in dem weimarischen Jahrbuch für deutsche Sprache, III. S. 420 ff. wieder abgedruckter Druck : "wye Eyn weiser man seynem Sun eyn lere geben soll von gutten sitten vnd werken." Darin beisst es unter Anderm:

"bedechte mancher wer er were,
seiner hoffart er wol entbere.
mancher wänt, er sei ein herr:
so ist er von adel eim buben nit ferr.
wer da wänt, dass er der beste sei,
dem wonet fast die narheit bei.
der sich mit hoffart übertreit,
wirt er zu spot, wem ist es leit?





wer sich beruembt grosser kunst,
der hat doch gar ein clein vernunft.
weise wort und dörecht werk
treibent die von Gauchsberk."

ferner:

"Alter on weisheit,
weisbeit on werk,
hoffarth on reichthum,
adel on gut,
reichthum on eere,
herschaft on lant,
stet on gericht,
gewalt on genad,
jugent on forcht,
frauen on scham,
geistlich orden in frenden spil:
die stück bringen ungemachs vil."

Ein alter Erfurter Spruch bei Vrîdank p. 54 lautet:

swer tugende hät, der ist wol geborn
ân tugend ist edele gar verlorn.

Derselbe Vrîdank hat ein ganzes Kapitel S. 164:

ez hânt die übelen zungen
die guoten ûz gedrungen.

Cassel im weimarischen Jahrbuch, I. S. 471, meint, in unserer Zeit sei solche Klage überflüssig, wie man nicht über das schlechte Wetter und die Theurung klage, wenn sie zur Gewissheit geworden sind. Bei Tertullian heisst es in einer Stelle: eum alicujus defuncti recordaris, misellum. Vocas cum, non uti de bono vitae creptum, sed ut poenae et judicio jam adseriptum."

In dem II. Hefte der Freimaurer-Anakekten ist eine vollständige Beschreibung der Todtenfeier Wieland's am 18. Februar 1813 in der Loge Amalia zu Weimar mit allen dabei gesprochenen Reden enthalten, welche Beschreibung auch besonders gedruckt wurde. Goethe hielt bei dieser Feier die Trauerrede, worin er sich aber vorzüglich mit der literarischen Thätigkeit und Bedeutung Wieland's beschäftigte. Ueber das Verhältniss Wieland's zur Maurerei, in welche er sich in seinem 76. Jahre am 4. April 1809 noch hatte aufnehmen lassen, äussert sich





Goethe dahin: "Denn zu unserer Brüderschaft hatte sich in ihm eine vertrauensvolle Neigung aufgethan. Schon als Jüngling mit Demjenigen bekannt, was uns von den Mysterien der Alten historisch überliefert worden, floh er zwar nach seiner heitern, klaren Sinnesart jene trüben Geheimnisse, aber verleugnete sich nicht, dass gerade unter diesen, vielleicht seltsamen Hüllen zuerst unter die rohen und sinnlichen Menschen höhere Begriffe eingeführt, durch ahnungsvolle Symbole mächtige, leuchtende Ideen erweckt, der Glaube an einen über Alles waltenden Gott eingeleitet, die Tugend wünschenswerther dargestellt, und die Hoffnung auf die Fortdauer unseres Daseins sowohl von falschen Schrecknissen eines trüben Aberglaubens, als von den oben so falschen Forderungen: einer lebenslustigen Sinnlichkeit gereinigt worden. Nun als Greis von so vielen Freunden und Zeitgenossen auf der Erde zurückgelassen, sich in manchem Sinne einsam fühlend, näherte er sich unserm theuren Bunde. Wie froh er in denselben getreten, wie anhaltend er unsere Versammlungen besucht, unsern Angelegenheiten seine Aufmerksamkeit gegönnt, sich der Aufnahme vorzüglicher junger Männer erfreut, unsern ehrbaren Gastmahlen beigewohnt, und sich nicht enthalten, über manche wichtige Angelegenheiten seine Gedanken zu eröffnen, davon sind wir alle Zeugen, wir haben es freundlich und dankbar anerkannt. Ja wenn dieser altgegründete und nach manchem Zeitwechsel oft wieder hergestellte Bund eines Zeugnisses bedürfte, so würde hier das vollkommenste bereit sein, indem ein talentreicher Mann, verständig, vorsichtig, umsichtig, erfahren, wohldenkend und mässig, bei uns seines Gleichen zu finden glaubte, sich bei uns in einer Gesellschaft fühlte, die er, der besten gewohnt, als Vollendung seiner menschlichen und geselligen Wünsche so gern anerkannte."

Der Sarg Wieland's wurde auf dem ihm früher angehörenden Gute Osmannstädt bei Weimar am 25. Januar 1813 in Tüchern an Handhaben von 15 Brüdern abwechselnd zum Grabe getragen und dort an der Seite seiner ihm im Tode vorausgegangenen Gattin und einer auch dort beerdigten jüngern Freundin nach einem von ihm ausgesprochenen Wunsche beigesetzt. Auf dem Sarge lag





ein Band von Wieland's Werken, von einem grossen Lorbeerkranze umgeben. Sämmtliche Brüder der Loge Amalia zu Weimar hatten ihm das letzte Geleit gegeben.

Die Trauerloge Wieland's wurde in Anwesenheit des ganzen weimarischen Hofes also eröffnet:

Meister: Ehrw. Br. erster Aufseher, warum ist diese ehrw. und hochachtbare Gesellschaft hier versammelt?

Erster Aufseher: Um das Andenken des theuren verstorbenen Bruders Wieland mit dankbarer Liebe zu feiern.

Meister: Ist um uns her die gehörige Ruhe, und dürfen wir hoffen, dass die feierliche Stimmung unserer Herzen durch keinen Eindruck von aussen gestört werde?

Erster Aufseher: S. E. M.! Alles ist still, wie es die Trauer des Abends und der Anwesenden Würde gebeut.

Dann folgte nachfolgendes Gebet der stehenden Versammlung:

Uns umweh'n des Grabes Schauer!
Mit der Wehmuth tiefer Trauer
Klagen wir ob unsers Bruders Tod;
Der getreu den Maurerpflichten lebte,
Rastlos mit uns nach dein Ziele strebte,
An dem Wahrheit ihren Kranz ihm bot:
Heimgegangen ist er, und kein Sehnen
Bringt ihn wieder unsern stillen Thränen.
Blick herab aus liebter Ferne,
Aus dem schönsten aller Sterne,
Wo die hellre Wahrheit dich umgibt;
Einen Blick noch gönn' uns, Theurer, wieder,
Einen Strahl des Lichtes sende nieder
Auf der Edlen Kreis, die Dich geliebt! -
Dass zum Ziel wir fördern unsere Schritte,
Schwebe freundlich hier in unsrer Mitte.

Als am 7. December 1860 zu Leipzig Br. F. L. Meissner, Grossmeister der grossen Landesloge von Sachsen, zu Grabe getragen wurde, gingen zwölf Palmenträger voraus und vier Stuhlmeister, denen Brüder Schaffner mit bekränzten und beflorten Stäben zur Seite gingen, hielten die vier Zipfel des schwarzen Leichentuches. 1) Ebenso




    1) Bauhütte für 1860, 8. 407 b.



hielten bei der neulichen Beerdigung des Königs Friedrich, Wilhelm IV. von Preussen vier Ritter des schwarzen Adlerordens die vier Zipfel des über den Wagen liegenden Leichentuches, zwölf Generalmajore trugen den Baldachin über dem Sarge und vier Generallieutenants die vier Cordons des Baldachins. 1)

An die Trauerrede schliesst sich das Entzünden der im Osten vor dem symbolischen Sarge des Verstorbenen stehenden Spirituslampe zum gläubigen Symbole, dass der Verstorbene in den ewigen Osten, in das ewige Licht und Leben eingehen möge. Sinnvoll beginnt und schliesst mit einer Lichtertheilung das maurerische Leben; das Licht, welches im Leben der Maurer redlich gesucht, hofft er im Tode im Himmel zu finden und wenn das Licht zu finden ist, darf es gewiss zu finden hoffen, wer lichtvoll gelebt hat und lichtvoll gestorben ist. Aber alles Licht und aller Segen kommt aus Osten, kommt von Oben und wird nicht hier, sondern nur dort gefunden, wo keine Dunkelheit mehr ist. Sterben heisst, so hoffen und glauben wir, zum Lichte geführt werden, in das Licht eingehen. Der Vendidad, 5, 68, sagt: "Wie der Mensch rein und des Himmels würdig erschaffen worden, so wird er wieder rein durch das Gesetz der Ormuzddiener, das die Reinigkeit selbst ist, wenn er sich reinigt durch Heiligkeit des Gedankens, durch Heiligkeit des Worts und durch Heiligkeit der That. - Siehe da das Gesetz." - In der Beobachtung des Lichtgesetzes hat der Mensch das Mittel, das Böse und den Tod, - den Ahriman, durch welchen allein nach dem parsischen Glauben das Böse und der Tod in die Welt gekommen, zu überwinden. Der Mensch muss das Böse ablegen, weil es das Böse, ein ihm Fremdes ist und sein Licht verfinstert, - und das Gute üben, weil nur dieses mit seiner frühern und ursprünglichen, an sich reinen und heiligen Natur übereinstimmt. Der Glaube so vieler Völker an eine besondere Hölle als Straf- und Reinigungsort ist nur eine Fortsetzung des Gedankens an ein eignes Todtengericht, ist nur die Personification der Nothwendigkeit für den noch nicht ganz gereinigten und lichtvollen Menschen, sich in




    1) Allgemeine Zeitung für 1861 Nr. 10, S. 147 b.



sich selbst zu reinigen und zu bessern, da es keine andere Reinigung und Besserung an sich geben kann, wie ja das Böse auch nur in uns selbst liegt, nur unser eigenes Werk ist. Eigenthümlich und nur aus der Grundvorstellung eines Todtenrichters, der Strenge und Milde nach Belieben üben kann, entsprungen, ist der Glaube mancher Völker, z. B. der Sinesen, der Inder, der Baktrer und selbst der Katholiken, dass die in der Hölle oder in dem Fegfeuer Befindlichen von ihren Strafen durch die Gebete und frommen Werke ihrer Kinder und anderer Zurückgelassenen befreiet und erlöset zu werden vermögen, weshalb es bei einzelnen Völkern und vorzüglich bei den Indern so wichtig ist, einen Sohn zu hinterlassen, der das Befreiungs- und Erlösungswerk des verstorbenen Vaters übernehme und betreibe. Vor der Vernunft können begreiflich alle diese frommen Todtendienste. nicht bestehen und ein Jeder muss, oder soll sich selbst befreien und erlösen. Der Vendidad, Farg. 5, 178, sagt in diesem Sinne: "Diejenigen, die böse sind, machen den Ort, der für die Schlechten bestimmt ist, - den finstern Ort, der von Finsterniss kommt, - die Finsterniss durch ihre eigenen Thaten und eigenes Gesetz, zum schlechtesten Orte." Die Seelen der Menschen sind zufolge der Auffassung des Zendvolkes gleich dem göttlichen Geiste oder Ormuzd von Ewigkeit her erschaffen, was die spätern griechischen Philosophen, besonders Pythagoras und Platon als die Präexistenz der Seele bezeichneten; da die Seelen Licht sind, nur Ausstrahlungen oder Emanationen des ewigen Lichtes, müssen sie mit diesem gleich ewig und unsterblich sein. Also nicht der Mensch, sondern seine Seele, sein Urbild, sein Ferner, sein Genius ist von Ewigkeit her und der Mensch ist blos unsterblich, indem seine Seele in das ewige Reich, in das Lichtreich wieder zurückkehrt, woher sie zur Erde in den menschlichen Körper herabgestiegen war. 1) Da man in der Seele einen Funken oder ein Theil des ewigen Geistes erblickte, dachte man sich die Menschenseelen als reine Lichtwesen von Urbeginn an von Ormuzd und mit ihm erschaffen, bei ihm im ewigen Lichtreiche auf dem festen Hlimmels-




    1) Röth, a. a. O., I. S. 219 in den Noten.



gewölbe weilend. Die 7 Planeten, die 7 Hauptlichtkörper sind nicht allein die Quellen des wirklichen Lichts, sondern auch als die 7 Amchaspands (Erzengel) Ormuzd, Bahman, Ardibehescht, Schariver, Sapandomad, Kordad und Amardad die Beherrscher, Oberhäupter oder Anführer des Geisterreiches, des Reiches der Seelen, welche die Menschen und alle Lichtschöpfungen durchdringen und beleben. 1) Das Erdenleben einer ewigen Seele beginnt, indem dieselbe von dem Himmel zur Erde herabsteigt und in einen menschlichen Körper sich einkleidet, sich einschliesst; der Mensch wird geboren, sobald die Seele zu dem vollendeten Körper herabgestiegen ist, und insofern wird erst im Augenblick der Geburt nach der Vorstellung des Zendavesta der Mensch beseelt. Es heisst z. B.: "Nachdem der Menschenkörper im Mutterleibe gebildet ist, kommt die Seele vom Himmel und belebt ihn. So lange er durch sie lebt und sich bewegt, begleitet sie ihn unablässig. Wenn der Mensch stirbt, so wird sein Leib Staub und die Seele kehrt in den Himmel zurück." 1) Da nach der Vorstellung des Zendavesta Körperschönheit durch Seelenschönheit bedingt ist oder vielmehr eine jede Seele sich ihren entsprechenden Körper bildet, sollte man eher die Ansicht erwarten, dass die Beseelung des Menschen im Augenblicke der Zeugung erfolge und damit allein die Seele die Möglichkeit erlange, sich ihren Körper zu bilden. Dunkel mag in dem Zendvolke, dessen naturwissenschaftliche und philosophische Kenntnisse sehr beschränkt und unvollkommen waren, die Ansicht gewaltet haben, dass die Beseelung im Augenblicke der Zeugung stattfinde, insofern nach ihm Mithra, d. i. das Licht überhaupt oder nach der spätern besehränktern Auffassung die Sonne, die Aufsicht über die Seelen, Feruers oder Luftgeister bei ihrer Vereinigung mit Körpern führt, d. h. alle Zeugungen in der Thier- und Pflanzenwelt unter seinem besondern Schutze stehen, - alles Erzeugte, Mensch, Thier und Pflanze unter seiner Leitung beseelt wird, einen Feruer erhält. Irrig glaubte Rhode, 3) es sei ursprünglich




    1) Rhode, die heilige Sage des Zendvolkes, S. 174.
    2) Rhode, a. a. O., S. 396.
    3) Vergl. a. a. O., S. 285 u. 289.



27 der Planet Venus Mithra gewesen. Mithra ist der Befruchter der Erde, Quell alles Lebens, Mehrer aller Keime, der Keim der Keime nach dem Zendavesta. 1) Mithra ist übrigens nur die zeugende Seite des Ormuzd, des Ewigen selbst, welcher im Jescht-Ormuzd von sich sagt: "Mein Name ist: Liebe gefragt zu werden; Grund und Mittelpunkt aller Dinge; Reinigkeit; Grundkeim alles Guten in Ormuzd-Geschöpfen; Verstand, höchste Weisheit, Wissenschaft, Geber der Wissenschaft, Herrlichkeit, der Herrlichkeit gibt; Gesundheit, Priester, König, der Grosse, höchster Glanz, höchster Beschützer, Wachthaber, Richter der Gerechtigkeit; der Alles weiss; Grund der Möglichkeit und Wirklichkeit; der nicht trägt und nicht trägen kann, Zerstörer der Weltübel, das Jetzt, Alles und Halter des Alls; Fülle der Seeligkeit, reiner Wille des Guten u. s. w. 2)" Alles dieses ist das Licht im kosmischen und übersinnlichen Sinne und dieses Licht ist auch der Erzeuger Mithra, der indische Sonnengott Savitri.

Das Erdenleben der Seele ist nach dem Zendavesta und auch ähnlich näch dem ägyptischen Glauben die Prüfungszeit derselben, - ihr Wanderleben hier ist ihre Entfernung aus dem glücklichen und seligen Leben im Himmel: daher die unauslöschliche Sehnsucht der Seele zurück nach dem heimathlichen Himmel und ihre Freude, wenn die Fesseln des Körpers brechen und der Leib in Staub zerfällt. Die Seele als Lichtschöpfung des Ormuzd ist rein und steigt rein von dem Himmel zur Erde in den menschlichen Körper nieder, weshalb insofern alle Menschen rein und gut geboren sind. Nicht immer aber ist der Mensch er selbst, folgt seiner reinen und guten Seele (Feruer); Ahriman betrügt, belügt und verlockt ihn und der Mensch gibt diesem fremden Einflusse sich hin, der Mensch wird gleichsam zu einem widerspruchsvollen Doppelwesen, theilt sich zwischen Ormuzd und Ahriman, zwischen Licht und Finsterniss, zwischen der himmlischen Seele und zwischen den irdischen und sinnlichen Verführungen, zwischen seinem guten und bösen. Ich, Feruer oder Genius.




    1) Rhode, S. 340, vgl. mit S. 173 ff.
    2) Rhode, S. 327.



Darauf beruht es, dass, obwohl der Mensch und seine gute Seele (göttliche Vernunft), sein Schutzgeist, sonst dieselben und nicht von einander verschieden sind, sie jetzt doch von einander getrennt und die gute Seele mit der bösen um den Menschen sich streitend gedacht werden. Aber dieser Streit des Ormuzd und Ahriman, zwischen den beiden Genien ist nur ein Bild des Kampfes, welchen der Mensch in dem eigenen Innern zwischen dem Guten und Bösen kämpfet und der hier kaum endet, da er auch noch jenseits wird fortgerungen werden müssen, wenigstens von Denen, die hier diesen Kampf nicht siegreichdurchgekämpft haben.

Auch nach dem brahmanischen Religionssystem, wie dasselbe in den durch Hollwohl bekannt gemachten Fragmenten des Schasta enthalten ist, sind alle Seelen der Menschen und Thiere ursprünglich gefallene Geister, der jetzige Zustand der Menschen ist daher nur eine Folge einer in der Geisterwelt vorausgegangenen Uebertretung, eines Falles in dem himmlischen Reiche. Der Urheber jenes ursprünglichen Falles ist noch jetzt der Hauptfeind und Verführer der Menschen. Zur Wiedererlangung seines verlornen Zustandes bedarf der Mensch des Beistandes höherer Wesen. Zwischen dem Tode und der vollkommenen Wiederherstellung der frühern Reinheit und Göttliehkeit der Seele gibt es noch sieben Perioden der Läuterung. 1)

In dem germanischen Volksglauben spricht sich gleichfalls die Ansicht aus, dass die Menschenseelen aus dem himmlischen Lichte stammen, besonders in den allerwärts verbreiteten Sagen von den Kindsbrunnen; denn diese Kindsbrunnen sind eben nur der Wolkenhimmel, das Wolkenmeer, worin die Kinderseelen auf dem Schosse der Göttin Holda weilen und woher sie der Storch oder der Marienkäfer den gebärenden Müttern zur Geburt auf die Erde herabträgt. 2) Darnach glaubten also auch die Germanen gleich den Baktrern, dass die Beseelung des Menschen erst im Augenblicke der Geburt durch den Eintritt




    1) Claudius Werke, III. (Canstadt 1835) S. 89.
    2) Mannhardt, germanische Mythen, S. 80 u. 255 ff.



einer himmlischen Seele in den menschlichen Körper erfolge. Die Wolkengöttin Holda mit ihren Seelenbrunnen in den Wolken wurde späterhin nach einem besonders in der griechischen und germanischen Mythologie so häufig erscheinenden Vorgange von dem Himmel auf die Erde versetzt, irdisch localisirt, so dass in Deutschland wenigstens noch jetzt fast jede Stadt und jedes Dorf ihren Kindsbrunnen haben, woher die Hebammen die Kinder holen und den gebärenden Müttern zutragen. Zu dem Hergottvögelein (coccinella) wird gesungen:

Hergottsmogggela flieg auf,
flieg mir in den Himmel nauf,
bring a goldis schüssela runder
und a goldis wickelkindla runder.

Hieran schliesst sich die von Aristoteles ausdrücklich als orphisch oder pythagoreisch bezeichnete, d. h., wie er sich genau ausdrückt, in dem sog. orphischen Gedichte vorgetragene Vorstellung, dass die Seelen aus dem Weltall von den Winden herbeigetragen und von den Neugebornen aufgenommen werden. Umgekehrt werden nach dem germanischen Volksglauben dann wieder der Neugebornen Sprüche von den vier Winden nach allen Weltgegenden getragen. In diesen Sagenzügen drückt sich nur der allgemeine Glaube an das ätherische Wesen der Seele, - an die Seele als ein nach allen Seiten und also namentlich nach den vier Weltgegenden leuchtendes Lichtwesen aus, wie eben deshalb auch die Licht- und Sonnengötter gewöhnlich auf einem von vier weissen oder auch rothen Rossen gezogenen Wagen an dem Himmel dahinfahren. Nach dem Mihir Yast fährt z. B. Mithra auf einem von vier weissen Rennern gezogenen Wagen. Damit in Uebereinstimmung stehend heisst es dann im Vendidad Farg. 19, 52: "Ich preise den Mithra, der ein grosses Gebiet hat, den Siegreichen, den Glänzendsten der Siegreichen, den Siegreichsten der Siegreichen." Mithra wird der Unbesiegliche auf den Mithradenkmalen genannt, indem dieselben die beständige Aufschrift haben: Deo Soli invicto Mithrae. Unbesieglieh ist Mithra, weil die Finsterniss niemals bleibend das Licht zu überwinden vermag, die anbrechende Morgensonne stets die Nacht verscheucht. Zum





so Symbole hatten mit Hinsicht auf Mithra die Perser einen weissen mit Blumen bekränzten, von vier weissen nisäischen Rossen gezogenen Sonnenwagen. 1) Die vier kleinern Planeten, welche dem Mithra untergeordnet sind, werden in den Zendschriften unter dem Sinnbilde der vier mächtigen und reinen weissen Himmelsvögel mit Goldfüssen dargestellt. Das weisse Pferd war bei den Persern wie bei andern indo-germanischen Völkern der Sonne geweiht und Herodot erzählt, dass Kyrus auf seinem Kriegszuge gegen Babylon heilige weisse Rosse mit sich geführt habe. 2) - Der indische Surya, Suria, der Gott des Lichtes und der Sonne, sowie der ihm verwandte griechische Apollo werden auf einem von vier weissen Rossen gezogenen Wagen dargestellt. Bei den Indern fährt die vedische Ushas, die Göttin der Morgenröthe, auf einem mit rothen Kühen oder Pferden bespannten Wagen, 3) - Agni auf einem von rothen Stuten gezogenen Wagen. 4) Als Sonnengott wird Brahma von den Indern roth dargeetellt. - Wenn der germanische Thôrr in seinen rothen Bart bläst oder ruft, dann hallt die ganze Welt von Gewittergetöse (der Posaune) wieder. In deutschen Sagen erscheint öfter ein Reiter mit rothem Banner auf rothem Ross u. s. w. , den man mit grosser Wahrscheinlichkeit auf Thunar deutet. 5) Wegen ihrer rothen Farbe waren dem Thôrr geheiligt der Fuchs, das Eichhörnchen, das Rothkelchen, - die Donnerziege genannte Schnepfe, deren Flug das Gewitter verkündigte, - der Hirschkäfer, auch Feuerschröter und Donnerpuppe genannt; 6) unter den Bäumen ausser der Eiche die Vogelbeere mit ihren rothen Früchten, - unter den Pflanzen die Hauswurz (Donnerbart), die Donnerdistel mit rothen Blüthen, die Donner- oder Alpenrose mit eben solchen Blüthen u. s. w.

Forschen wir nur nach dem letzten Grunde und Ur-




    1) Kleuker, Zendavesta, Il. S. 264.
    2) Rhode, a. a. O., S. 474 ff,
    3) Lassen, indische Alterthumskunde, I. S. 762.
    4) Lassen, a. a. O., I. S. 760.
    5) Mannhardt, a. a. O., S. 124.
    6) Simrok, Mythol. S. 284; Mannhardt S. 138.



sprunge dieses der Urmenschheit, den Urvölkern gemeinsehaftlichen Glaubens von dem Entstehen der Seelen und ihrem Herabkommen aus dem himmlischen Lichte, wie wir ihn bei den Baktrern und Indern, bei den Griechen und Germanen, bei den Aegyptern u. s. w. treffen, möchte es einfach der unendliche blaue, Alles umfassende Himmelsäther sein, welchen man, besonders in der stillen und sternenerleuchteten Nacht nicht betrachten konnte, ohne darin das Walten und den Sitz höherer Wesen, Gottes und der von ihm von Anbeginn an geschaffenen seligen Geister zu ahnen und zu erkennen. Ormuzd und Ahriman, welche anfänglich unverbunden, d. h. ohne unter einem letzten Urgrunde über ihnen zu stehen, bei den Baktrern erscheinen, sind nichts Anderes als der ewige Wechsel von Tag und Nacht und in weiterer Ausdehnung von Sommer und Winter, welche sich in dem unendlichen Himmelsraume und auf der Erde in niemals endendem Kampfe vollziehen. Erst später bemächtigte sich die philosophische Speculation der ursprünglichen dunkelen und blosen Naturanschauung und suchte sie begrifflich zu gestalten, indem man Zaruana akarana, d. i. das unerschaffene (akarana) Umfassende, das Alles in sich Passende oder die das Weltall räumlich und zeitlich umfassende Unendlichkeit, den unendlichen Raum und die anfangslose Zeit als Dasjenige setzte, welches Ormuzd und Ahriman geschaffen habe, welche dann wieder im Anfange der Dinge die Welt und die Wesen des Lichts und die Welt und die Wesen der Finsterniss hervorgebracht haben. 1) Ein grosser speculativer Fortschritt liegt aber dennoch nicht darin, denn Zaruana akarana ist eigentlich doch nur Ormuzd, das ewige und unendliche. Alles in sich fassende und beseelende Licht, weshalb auch der Begriff der Zaruana akarana dem eigentlichen Volksbewusstsein fremd und mehr nur eine todte Speculation der Priester und ihrer Schriften geblieben ist. An den der Himmelsbetrachtung eutsprungenen zendischen Monotheismus erinnert übrigens bei den Indern im Kreise der vedischen Götter noch sehr lebhaft Varunas, der "Umfassende" als das allesumfassende und umspan-




    1) Röth, a. a. O., I. S. 393.



nende Himmelsgewölbe und zugleich Ursprung des Alles erleuchtenden, durchdringenden und schaffenden Lichtes. Nach dem Rig-Vêda bereitet Varunas der Sonne ihre Pfade, Mond und Sonne wandeln nach seinen Gesetzen, er leitet den Lauf der Monate und der Jahre; in ihm ruhen alle Lebenskeime, er gibt den Pflanzen Luft, Milch den Kühen, den Rossen Kraft, die Seele den Menschen. Varunas ist der griechische Ouranos.

Dass man die Seelen anstatt ursprünglich durch die Lüfte und die Winde herabtragen, durch die Milchstrasse herab- und wieder zurücksteigen liess, wie die Baktrer, Aegypter 1) und Germanen, 2) so dass die Milchstrasse zum förmlichen Seelenwege wurde, welchen Namen ihr auch die Pythagoräer und Finnen wirklich beilegen, 3) ist blos die umgestaltende Wirkung der inzwischen erlangten astronomischen Kenntnisse. Verwandt damit ist es, dass bei den Wallachen der letzte Schimmer der Abendrüthe Sorile morzilor, die Sonne der Todten heisst. 4) Die Phantasie der Urvölker folgte sinnend der Sonne, dem Lichte gleichsam in seinen Ursitz, zu seiner letzten Quelle und hier mussten Gott, die Geister und die Seelen der Verstorbenen wohnen, - von hier mussten die Menschenseelen, wie alles Licht und Leben, ausgehen und ausgegangen sein und hierher mussten sie wieder zurückkehren, wenn sie die Erde verliessen. Das Verbrennen der Leichname hing bei den Germanen, Kelten, Indern, Griechen und Römern u. s. w. gleichfalls mit dem Glauben zusammen, dass die Seelen der Verstorbenen durch die von dem Scheiterhaufen aufsteigenden Rauchsäulen zu dem Himmel emporgewirbelt werden. 5) Auch in der Sage des griechischen Prometheus, welcher die ersten Menschen aus Thon bildete und sie mit dem von dem Himmel geraubten Feuer belebte, ist nur ausgesprochen, dass des Menschen Geist Licht und Feuer sei und von dem Himmel stamme, das Himmels-




    1) Röth, a, a. O., I. S. 176.
    2) Menzel, Odin, S. 151.
    3) Menzel, a. a. O., S, 229.
    4) Menzel, S. 178.
    5) Simrok, Mythologie, S. 367.



feuer, der Geist zur Erde und zur Materie herabgebracht werden müsse, um sie zu beleben und beseelen; Gott ist das Licht, der Geist und das Leben, und was da ist und lebt, muss von dem göttlichen Geiste und Leben erfüllt sein. 1) Der dem Menschen von Gott gegebene Geist soll leben und nimmer vergehen, wenn auch der Leib in Staub zerfällt oder zu Asche verbrannt wird. So kann nach seiner tieferen und höheren Auffassung der Tod nicht schrecken, denn für die himmlische Seele ist er kein Tod und nur die Erlösung von dem Erdenstaube, die Rückkehr in das Himmelsland, auf welchem Gedanken zugleich der Begriff des so vielfach erscheinenden himmlischen Befreiers und Erlösers beruht, da dieser Befreier und Erlöser nur der in die Himmelsheimath zurückgeleitende Tod selbst ist. Das Entzünden der Spiritusflamme vor dem Sarkophage des Verstorbenen bei den Maurern ist blos eine andere Gestalt des Denkmals der Meister, worauf mit Flammenschrift geschrieben steht: Deponens aliena, ascendit unus, - vom Erdenstaub befreiet, schwingt froh der Geist sich zu dem Himmel auf. Und während die Flamme brennt und den freien unsterblichen Geist zurückträgt, legen die Brüder hoffend und glaubend die letzten Blumen auf dem Sarge nieder, denn im Blumenlande, im Lande des ewigen Lebens soll der Verstorbene wieder erwachen.

Die Blume, besonders die Rose und die blühende Akazie sind das vielbedeutendste und tiefsinnigste Symbol der Maurer. Die Blume, die Rose schmücken den Säugling und die holde Braut, aber auch den kalten Leichnam und den schwarzumhüllten Sarg; die Blume, die Rose ist am Johannistage, am höchsten Freudenfeste der theuerste Schmuck des Maurers und dieselbe Blume trägt er als letztes Liebeszeichen trauernd und doch still hoffend zu dem Sarge des abgeschiedenen Bruders. Die Akazie blühet über dem Grabe und über der Wiege des Hiram, - sie ist das Zeichen des Todes, wie des ewigen Lebens, der Unsterblichkeit. So heisst es von den Hyperboreern in der Sage, sie stürzten sich, von langem Leben gesättigt, mit Kränzen umwunden von einem Felsen in das




    1) Görres, Mythol. der asiatischen Welt, I. S. 26.



Meer herab. 1) Ebenso darf hieher der allgemeine, bei den Indern, Griechen und Römern, bei den Germanen u. s. w. übliche Gebrauch gezogen werden, die Opferthiere mit Kränzen geschmückt zum Opfertode zu führen. Ja die Blumenopfer selbst, wie dieselben besonders bei den Brahmanen vorkommen, reihen sich an. In einem Vasengemälde trägt auch der untergehende Stern oder Bruder der Dioskuren einen Kranz. 2)

Bei den Griechen schmückten mit frischen Myrthen- und Epheukränzen liebende Hände das Haupt und die Bahre des Todten, welche verwelkliche Blumengewinde später durch unvergängliche goldene ersetzt wurden. Solche aus dünnem Goldblech gearbeitete Todtenkränze sind denn auch mehrfach in Gräbern aufgefunden worden. Die Ausgrabungen in den Ruinen des alten Pantikapaion haben mehrere höchst zierliche Lorbeer- und Aehrenkränze zu Tage gefördert; ein in Gold nachgebildeter Myrthenkranz wurde in einem Grabe auf Ithaka entdeckt und in manchen unserer Museen werden solche Kränze aufbewahrt. Vor allem aber verdient jener zu Armento, einem Dorfe der Basilicata, gefundene und gegenwärtig in München befindliche goldene Kranz Erwähnung. Ein Eichenzweig bildet hier die Grundlage, zwischen dessen Blättern mit blauem Schmelz ausgefüllte Astern und Convolvolus, sowie Narcissen, Epheu, Rosen und Myrthen sinnig unter einander verschlungen hervorblicken. Dieses Blumengewinde trägt zuoberst eine geflügelte Göttin, über deren mit Gräsern verziertem Haupte auf zartem Stengel eine Rose schwebt. Vier geflügelte männliche und zwei weibliche, in ein Sternengewand gekleidete Genien, welche auf Blumen sich wiegen, zeigen auf die Göttin hin. Diese aber steht auf einem von Blumen getragenen Postamente, welches die Inschrift trägt: 3) - Auch trugen bei den Griechen die Redner, die Sieger in den Wettkämpfen und die Kitharöden stets Kränze,




    1) Müller, Dorier, I. (1844). S. 281,
    2) Welker, a. a. O., IL S. 427.
    3) Guhl und Koner, a. a. O., S. 194 und 195, woselbst auch eine Abbildung des Kranzes gegeben ist.



der Todtenkranz aber darf namentlich ebenfalls als ein Siegeskranz, als das Zeichen des Sieges des Lebens über den Tod betrachtet werden; selbst ein Kitharöde oder Sänger ist der Sterbende, denn er singt sterbend seinen Schwanengesang und das Todtenkleid ist das Festgewand des Kitharöden. - Da die Maurerschürze und andere maurerische Dekorationen auch mit Rosen geschmückt sind, darf behauptet werden, dass nach der ursprünglichen Vorstellung der Maurer nur mit reinen Händen, reinen Kleidern und reinen oder reinigenden Blumen 1) die Loge, den Tempel betreten solle, weshalb bei den Griechen auch der Missethäter von dem Rechte ausgeschlossen war, den Kranz beim Opfer tragen zu dürfen, d. h. an der religiösen Gemeinschaft nicht Antheil nehmen durfte. Mit dem Kranze war bei den Griechen gleichbedeutend die wollene Binde, die maurerische Schürze. Rein und geschmückt wie zum Gottesdienste und zum Opfer sollte nach der allgemeinen Vorstellung des Alterthums der Verstorbene auch in das Grab, in die Ewigkeit eingehen. Aus derselben Ansicht ist die Sitte des Alterthums entsprungen, die Todten am Fusse von Bäumen beizusetzen, wie nach der Genesis 35, 8, verglichen mit I. Könige 31, 13, Debora unter einer Eiche begraben wurde. Der das Grab zierende Baum ist der Todtenkranz, unter dem der Verstorbene dem ewigen Leben entgegenschläft, und ganz dasselbe Symbol sind die Bäume und Blumen auf den Gräbern, die Schmetterlinge und ähnliche Bilder auf den Grabsteinen. Ein blühender Garten, ein Rosengarten und Rosenhain sei die Stätte des Todes. 2) Selbst die bei so vielen Völkern des Alterthums, namentlich auch bei den Juden vorkommenden Felsengräber, wie auch Christus von Joseph von Arimathia ineinem solchen Felsengrabe beigesetzt wurde, 3) mögen die symbolische Bedeutung des ewigen Lebens, der




    1)Vergl. Guhl und Koner, S. 311 und 315.
    2 Vergl. auch über die sinnvolle Lage der Gräberstätte des alten Carthago Beulé, Fouilles de Carthage, S. 124; sie war eine Oase in der Wüste des Lebens, welche nach Beulé Millionen Gräber umschloss.
    3) Beulé a. a. O., S. 126 ff.



erwarteten ewigen Wohnung gehabt haben und hatten dieselbe jedenfalls bei den Aegyptern, indem sie ihr Haus als die vorübergehende, das Grab als die bleibende und ewige Wohnung betrachteten und bauten. Wenn es von dem Sterben in dem alten Testamente 1) und auch anderwärts heisst, zu den Vätern oder auch zu den Vorfahren versammelt werden, heisst dieses zunächst nur in der gemeinsamen Familienfelsengruft bestattet werden.

Auch gehört hierher, dass bei fast allen Völkern der Erde das Entgegentragen oder Entgegenhalten von grünen Zweigen, z. B. von Palmen, und der weissen Farbe, also von weissen Tüchern, wie in Folge einer allgemeinen Verabredung als ein Zeichen des Friedens und friedlicher Gesinnungen gilt, so dass schon Georg Forster, Geschichte der Seereisen und Entdeckungen im Südmeer, IV. (Berlin 1778) S. 127, die Vermuthung ausgesprochen hat, es möchte die diesfällige allgemeine Uebereinstimmung der Völker vor ihrer Zerstreuung über die Erde entstanden sein. Auch bei den Völkern auf Neu-Seeland und Otahiti, auf den Societätsinseln, auf den freundschaftlichen Inseln u. s. w. traf Forster diese Sitte; auch Gras tragen diese Völker in derselben symbolischen Friedensbedeutung entgegen; 2) auf californischen Inseln wurden Cook als Friedenszeichen auch Federn oder einige Hände voll rothen Staubes oder Pulvers entgegengeworfen. 3) Zugleich ist hieraus zu entnehmen, dass Georg Forster mit Haller, Linné, Buffon, Cuvier, Blumenbach, Kant, Herder, Steffens, Rudolph und Andreas Wagner, Willbrand, Burdach, Swainson, Wisemann, Marcel de Serres, Weber (die Lehre von den Ur- und Racenformen der Schädel und Becken der Menschen, Düsseldorf 1830), A. W. Schlegel (Vorrede zu Prichard's ägyptischer Mythologie, S. VIII), Furtwängler (Idee des Todes, S. XVII oben und S. 104, Anm. unten), Rhode, Kanne, Wollheim da Fonseca (Mythologie des alten Indien, Berlin 1856, S. 2), Alexander von Humboldt (Kosmos, I. S. 379 ff.),




    1) Beulé, S. 137.
    2) Forster, a. a. O., IV. S. 128 und S. 193, S. 283 unten und S. 295 oben, S. 318 und S. 441.
    3) Forster, a. a. O., VII. S. 9 vergl. mit S. 73 und S. 75.



Bailly, Bjönstjerna, Bunsen (Aegyptens Stelle, V. S. 22 ff.), Max Müller, Lepsius, Fr. Schlegel (Philosophie der Geschichte, I. S. 16), Schelling (Einleitung in die Philosophie der Mythologie, Stuttgart 1856, I. S. 97 und 98), Pfaff (Schöpfungsgeschichte mit besonderer Berücksichtigung des biblischen Schöpfungsberichtes , Frankfurt a. M. 1855, Kap. 14 und 25), Lawrence (Lectures on Comparative Anatomy and the Natural History of Man), Prichard und vielen Andern 1) an die Einheit der Abstammung des menschlichen Geschlechts und folgeweise auch an eine Ursprache glaubt. Dass die vergleichende Sprachwissenschaft auf ihrem dermaligen Standpunkte und mit ihren jetzigen Hülfsmitteln die weitere Verwandtschaft mit den übrigen sogenannten schlechthin nichtstammverwandten Sprachen noch nicht aufgefunden hat, liegt blos in ihrer Schwäche und in ihrer Beschränktheit, aber keineswegs in den dennoch verwandten Sprachen und Völkern selbst, welche miteinander verwandt bleiben, obgleich es die vergleichenden Sprachforscher noch nicht nachzuweisen im Stande sind. Niemand kann beweisen , dass es einen Gott gebe, und doch glauben alle Menschen, die guten wie die bösen, und selbst die Gottesleugner an ihn. Es soll damit der vergleichenden Sprachwissenschaft durchaus kein Vorwurf gemacht werden, im Gegentheil wird Jeder bereitwillig anerkennen, welches Ausserordentliche und vor einem Jahrhundert kaum Geahnte diese geleistet und entdeckt habe; aber gerade deshalb kann sie fortschreiten und noch Grösseres leisten, dass das kommende Jahrhundert uns ebenso sehr überragen wird, wie wir das verflossene überragen. Dass jedenfalls die drei Haupt- oder Urstämme der Menschheit, nämlich der indo-germanische, japhetische, oder schöne, weisse, helle, - der semitische oder braune und der chamitische, äthiopische, sonnverbrannte, dunkle oder schwarze, in Sprache und Mythologie urverwandt und auf Hochasien oder Nordasien als ihr gemeinschaftliches Urstammland




    1) Die ältere Literatur über den Ursitz, die gemeinschaftliche Abstammung und die Ursprache des Menschengesehleehts siehe bei Beck, Anleitung zur genauern Kenntniss der allgemeinen Welt- und Völkergeschichte, Thl. I (Leipzig 1813), S. 110 ff.



zurückzuführen seien, möchte aber schon jetzt als feststehend angesehen werden dürfen und somit die Genesis Wahrheit berichten, indem sie (IX, 18 und 19) erzählt: "Die Söhne Noah's, die aus der Arche gingen, sind diese: "Sem, Cham und Japhet. Cham aber ist der Vater Canaans. Das sind die drei Söhne Noah's und von diesen aus ward die ganze Erde bevölkert" und (XI, 1): "Es hatte aber alle Welt Eine Sprache und Einerlei Worte." - Die Sprachverwandtschaft der indo-germanischen Völker zwingt und berechtigt wenigstens, den indo-germanischen Völkern auch gemeinschaftliche Ursitze zuzuschreiben, welche Lassen, a. a. O., I. S. 527, in das Gebiet zwischen dem kaspischen Meere und dem Belustag und Mustag, dem heiligen Berg Berezat (Borg), der in dem Zendavesta als Urquell der Gewässer angerufen wird, verlegt. Erst die sprachlichen Entdeckungen der englischen Gelehrten, besonders eines W. Jones, im Laufe des vorigen Jahrhunderts haben die vergleichende Sprachwissenschaft in den Stand gesetzt, die Einheit der indo-germanischen Sprachen und damit der nördlichen Inder, der Baktrer , Meder, Perser, der Kleinasiaten, 2) Griechen, Römer (Etrusker), Germanen, Slaven, Kimmeriern (Cimbern und Teutonen), Kelten, Thracier, Lithauer u. s. w. unumstösslich nachzuweisen. 3) Ob zu den indo-germanischen Völkern auch die alten Iberer mit den Finnen gehört haben, ist noch bestritten und unentschieden, doch dürften auch sie dahin zu rechnen sein. Jak. Grimm, über die Namen des Donners, Berlin 1855, S. 3, sagt von der Sprache der Finnen: "Ich hebe an mit den Finnen, ihre wohllautige, reiche Sprache steht zwar ausserhalb dem Kreise der uns urver-




    1) Gfrörer, Urgeschichte, I. S. 156 und S. 170.
    2) Vergl. Lassen, über die lykischen Inschriften und die alten Sprachen Kleinasiens, in der Zeitschrift der d. m. Ges., Bd. X. S. 329 ff.
    3) Vergl. Gförer, Urgeschichte, I. S. 68 und S. 158 ff.; Fr. Schlegel, Philosophie der Geschichte, I. S. 206 ff.; Bopp, vergleichende Grammatik des Sanskrit, Zend, Griechischen, Lateinischen, Gothischen und Teutschen, Berlin 1833-37; Pott, etymologische Forschungen auf dem Gebiete der indo-germanischen Sprachen, Lemgo 1833-36, zweite Ausgabe 1856.



wandten, dennoch zu ihnen und namentlich der deutschen in unleugbarer Berührung, deren erste Ursachen noch verhüllt liegen. Wenn unsere und ihre Flexionen auf allen Wegen von einander laufen, erzeigt sich in den Wurzeln der Wörter dafür häufig überraschendes Zusammentreffen, wie es auch der östlichen Grenze finnischer und lappischer Stämme an die gothischen und nordischen angemessen erscheint." Jedenfalls haben auch die Semiten, die mit den Indo-Germanen zur kaukasischen Völkerfamilie gehören, in dem iranischen Hochlande als ihrem gemeinsamen Stammlande zusammengewohnt. 1) Eben so haben genaue Forschungen und strengwissenschaftliche Untersuchungen der Mumien unzweifelhaft ergeben, dass die Aegypter ein Zweig des kankasischen Menschenstammes sind. 2) Jüngst sind weiter die armenische, albanische und nicht blos die Iykische Sprache auf den Urstamm zurückgeführt worden. Es ist sonach die Einheit der menschlichen Sprachen und Völker zu behaupten und anzunehmen, obwohl noch neuerlich Pott in der Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft, Bd. IX. (1855) S. 405, sowie 1856 in einer besonderen Schrift: "Die Ungleichheit menschlicher Raçen, hauptsächlich vom sprachwissenschaftlichen Standpunkte, ein etymologischer Versuch," entgegen Bunsen und Max Müller auszuführen gesucht hat, welches die wahren Kennzeichen der Sprachverwandtschaft seien und dass es unter den bis jetzt bekannten vielleicht tausend menschlichen Sprachen stammverwandte und schlechthin nicht stammverwandte gebe, eine menschliche Ursprache aber so wenig jemals entdeckt werde als ein erstes Menschenpaar. Die Einheit des Alphabets, der ursprünglichen Bilderschrift möchte doch schon jetzt dargethan sein, weshalb auf Lepsius, über die Anordnung und Verwandtschaft des semitischen, indischen, äthiopischen, alt-persischen und alt-ägyptischen Alphabets, Berlin 1836, und auf Böttcher, unseres Alphabetes Ursprünge, Dresden 1860, besonders verwiesen werden darf. Das phönicische oder chaldäische




    1) Lassen, a. a. O., I. S. 528 und 529.
    2) Apostelgeschichte des Geistes, I. S. 95; Ahrens, juristische Encyklopädie, Wien 1835, S. 219.



Alphabet soll nach Seyffarth namentlich auch der ägyptischen hieroglyphischen, hieratischen und demotischen Schrift zu Grunde liegen, 1) wogegen Uhlemann mit allem Rechte den Aegyptern das Verdienst der ersten Erfindung des Alphabets in dem Sinne zuschreibt, dass von den Aegyptern das Alphabet an die Phönicier und Hebräer übergegangen sei. Für diese Ansicht führt Uhlemann an, dass bei den Israeliten vor ihrem Einzuge in Aegypten keine Spur von einer Schrift sich finde, während sie sogleich nach dem Auszuge mit der Schrift bekannt erscheinen und dieselbe gebrauchen. Den semitischen Ursprung des indischen Alphabets hat Weber in der Zeitschrift d. d. m. Gesellschaft Bd. X. S. 389 ff. erwiesen und ebenso Parrat, les tons chinois sont sémitiques, Porentruy 1854, denjenigen des sinesischen. Auch die Assyrier redeten zufolge der neuesten Entzifferungen der Keilinschriften die semitische Sprache. 2) Ganz genau ist der Weg der Arier nach Indien angegeben bei Lassen, a. a. O., I. S. 515, wobei Lassen zugleich erklärt, dass die arischen Inder mit den iranischen oder nach Spiegel eranischen Völkern am längsten in dem gemeinschaftlichen Ursitze zusammengewohnt haben müssen. Kruger, Assyrier, S. 198 ff., betrachtet die Tyrrhener als identisch mit den Turaniern oder es sind dieselben aus Turanien über Lydien nach Italien gezogen. Bunsen, a. a. O., V. S. 37 nimmt folgende Hauptreihe der sprachlichen Bildung an:

  1. Die unorganischen Sprachen, die Wurzelsprache, oder Wortstamm- und Partikelsprache, - der Sinismus;

  2. die ältesten turanischen Bildungen, oder der Tibetanismus;

  3. die ältesten semitisch-iranischen Bildungen, oder der Khamismus (die ägyptische Sprache);

  4. die letzte Vorstufe: die westliche oder der Semitismus, und die östliche, die vorgerückten turanischen Bildungen, der Finnismus;

  5. der Iranismus oder die harmonische Bildung des Sprachorganismus.




    1) Uhlemann, ägyptische Alterthumskunde, I. S. 78 ff. und S. 126, Il. S. 229 ff.
    2) Zeitschrift der d. m. Gesellschaft, X. S. 729 ff.



Diese fünf geschichtlichen Erscheinungen stellen aber wirklich die grossen Knotenpunkte einer einzigen Entwickelung nach Bunsen dar. Die erste, die unorganische Sprache, ist die Wurzel, die allgemeine Grundlage, die Natur oder Substanz, welche vom Geiste verbraucht wird. Die übrigen sind der Stamm mit jenen vier Knotenpunkten.

  1. ist die unorganische, formlose Sprache, in welcher jede Sylbe ein Wort, jedes Wort ein Vollsinn, also ein Satz ist.

  2. ist das Aneinandersetzen solcher Vollworte zur Einheit eines Wortes als Redetheil, wobei der Kern (Nennwort, Zeitwort) unbetheiligt bleibt. Das Lebenszeichen ist also Einheit des Worttones oder Accents.

  3. ist das Anfangen der Betheiligung der Wurzel, besonders in der Abwandlung des Eigenschaftsbegriffes der Zeitwörter, mit Vorwalten des nennwörtlichen Ausdruckes, der Copula durch das persönliche Fürwort der dritten Person.

  4. ist die weitere Ausbildung der Betheiligung der Wurzel, besonders in der Abwandlung des Eigenschaftsbegriffes der Zeitwörter, mit Vorwalten des nennwörtlichen Ausdruckes der Copula durch das persönliche Fürwort der dritten Person.

  5. ist der vollständige symmetrische Organismus als Werkzeug des bewusst schaffenden Geistes. Frei von den Fesseln einseitiger Bildung, steigt er zur vollkommensten syntaktischen Satzbildung auf, als der kunstgerechter.en Form des freien, bewussten Gedankens.

Die Sinesen sind das älteste Culturvolk Asiens, dessen staatliche und gewerbliche Bildung mit historischer Sicherheit hoch in das dritte Jahrtausend vor Chr. hinaufreicht und das von Gebirgen aus der Nähe des Zendvolkes, aus dem weissen Turanien nach Osten hinabstieg, um aus einem Hirtenvolke in uralter Zeit ein ackerbautreibendes Volk zu werden, wie noch im sinesischen Kultus der Ackerbau heilig gehalten wird. 1) Die arischen Inder, das Sanskritvolk, zogen erst lange nach den Sinesen, welche zu dem mongolischen Stamme gerechnet werden, von Hochasien




    1) Gfrörer, Urgeschich te, I. S. 211 ff.



nach Süden aus und wohnten nach den erhaltenen ältesten astronomischen Beobachtungen im 14. Jahrhundert vor Chr. im nördlichen Indien, 1) welches sie aber schon von dem schwarzen (dekhanischen) Volksstamme besetzt fanden, den sie allmählig verdrängten oder unterwarfen. 2) Aus dem Ursitze nach Westen wandten sich die semitischen oder aramäischen Völker, also die Völker in Syrien, in Palästina, Mesopotamien, Assyrien, Susiana und Arabien, so wie am frühesten in Aegypten. Bunsen, a. a. O., Va, S. 455 und 462, lässt die Urmenschheit den westlichen Zug nach dem Nilthale aus dem oberen oder unteren Eupratthale machen, jedoch wahrscheinlicher aus dem oberen, durch Aramäa und weiter über Palästina. Gfrörer, a. a. O., I. S. 103 ff., hat wohl kaum die Wahrheit getroffen, wenn er die Chamiten, Schwarzen oder Aethiopen aus Südindien über Caramanien, Babylonien, Arabien, das rothe Meer und Aethiopien nach Aegypten ziehen lässt. Es darf als geschichtlich festgestellt betrachtet werden, dass die ägyptischen Könige schon 4000 vor unserer Zeitrechnung Bauwerke aufgeführt und dieselben mit Hieroglyphen (so alt ist nach Bunsen der Gebrauch dieser Schrift) geschmückt haben. 3) Die Blüthezeit der assyrischen Kunst fällt in das 14. Jahrhundert vor Chr. 4)

Von fiefer Bedeutung ist auch, um wieder zu den Blumen und Kränzen zurückzuwenden, die griechische Mythe, dass, nach Narcissen greifend, die Kore von Aides getäuscht und in die Unterwelt entführt wird; mit Narcissen sind daher auch Kore und ihre Mutter Demeter, die Unterweltsgöttinnen, bekränzt. 5) - Auch zum Zeichen der Unschuld und Reinheit wurde die Rose dargereicht, wie Briedel in seinen Reisen durch Bünden, schweizerisches




    1) Lassen, a. a. O. I. S. 747 vergl. mit S. 511 ff. und mit Gfrörer, I. S. 180 ff.
    2) Vergl. Lassen, I. S. 360 ff.
    3) Die ältere Literatur über den sogenannten äthiopischen Ursprung der Aegypter siehe bei Bock, a. a. O., I. S. 265 ff. und besonders 277; Dunker, Geschichte des Alterthums I. S. 1 ff.
    4) H. Meyer, ein Besuch im britischen Museum, S. 119 ff; Niebuhr, Geschichte Assurs und Babels seit Phul, Berlin 1857.
    5) Welker, a. a. O. II. S. 475.



43 Museum, V. Jahrgang, 12tes Heft, IV. Aufsatz von der alten Sitte der Engadiner erzählt, dass einem Unschuldigangeklagten bei seiner öffentlichen Lossprechung von einem jungen Mädchen eine Rose, die Unschuldsrose genannt, übergeben worden sei, welche Sitte jetzt aufgehört habe. Diese Unschuldsrose ist aber auch nur eine Lebensrose, denn in das Leben geht ein, wer frei und rein von Schuld und Fehle ist. So darf im letzten Blumenschmuck des Maurersarges auch der Glaube und die Hoffnung erblidkt werden, dass den Abgestorbenen. keine schwere Schuld beflecke und drücke und ihm den Weg und Eingang in den himmlischen Blumen- und Rosengarten verschliesse; so streuten mit siebenfachen Händen auch die Aegypter dem Verstorbenen Blumen auf den letzten Weg; selbst das Grab noch decken die Blumen und nur Blumen und Blumenkränze können wir den Abgeschiedenen darbringen. "Schlafe sanft im Blüthengrabe, im Rosenbette!" ist der stets sich erneuernde Nachruf der Ueberlebenden. Die in die Eleusinien Eingeweihten glaubten, dass die Seligen dort in einem Myrthenhaine weilen, und trugen daher schon hier als Symbole ihres Glaubens an ein ewiges Leben, als Symbol der Einweihung Myrthenkränze, 1) wie auch damit die Todten und die Gräber geschmückt wurden. Die Pythagoräer verordneten sterbend, ihren Körper in Myrthen, Oliven und Pappelzweige einzuhüllen; dieser letztere Baum und die Weide bildeten, wie man glaubte, die heiligen Haine der Persephone, nahe bei den Ufern des Styx und des Cocytus. Diejenigen, welche fromm gelebt hatten, lebten auch in der Unterwelt auf Wiesen, prangend in purpurnen Rosen, weshalb auch mit Rosen und andern Blumen von dieser Farbe, ebenso mit Safran die Gräber bestreut wurden. 2) Die eleusinischen Weihen, die durch sie geweckten Gesinnungen und Thaten, sollten der Weg in das ewige Myrthen- und Rosenland sein und wie sich der Zeit ihrer Feier nach die kleinen zu den grossen Eleusinien oder Mysterien gleich der Saat zur Ernte, der Früh-




    1) Sainte-Croix, a. a. O., S. 170 und 171.
    2) Sainte-Croix, S. 173 oben.



ling zu dem Herbst verhielten, sollte das irdische Leben überhaupt die Saatzeit sein, um das ewige Leben, das Mysterium der Mysterien zu ernten und das Räthsel der Räthsel zu lösen, um den Schleier von dem Bilde der Neith zu Sais zu heben.

Es ist ein tiefergreifender und wahrhaft geisterhafter Zug in dem Glauben der Urmenschheit, besonders der indogermanischen Völker, der Baktrer, der Griechen, Kelten, Germanen und Slaven, dass sie in der Sage und in dem Volksliede die Seele der Verstorbenen in Blumen, zumal in die weissen Lilien und Rosen, auch in Reben und Bäume übergehen und in diesen unsterblich fortleben, klagen und lieben lassen, so dass, was das Leben getrennt und geschieden, der Tod in den Blumen und Bäumen des Grabes vereint, und umschlingt. Vor Allem ist hier über die schöne Abhandlung von A. Koberstein: "Ueber die in Sage und Dichtung gangbare Vorstellung von dem Fortleben abgeschiedener menschlicher Seelen in der Pflanzenwelt" in dem weimarischen Jahrbuch für deutsche Sprache, Literatur und Kunst, I. S. 73 ff., nachzulesen. Matthison singt in diesem Sinne des alten Volksliedes:

Einst, o Wunder! entblüht auf meinem Grabe
Eine Blume der Asche meines Herzens;
Deutlich schimmert auf jedem Purpurblättchen!
Adelaide.

Ein altes Volkslied bei Uhland, alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder, I. S. 220 ff., schliesst:

Man legt den Ritter zu ihr inn Sarg,
Begräbt sie wohl unter die Linde,
Da wuchsen nach Dreivierteljahr'n
Aus ihrem Grab drei Lilien.

Das Lied: "Der Herr und die Maid", welches die Wenden in der Lausitz singen, endet:

Und auf dem Blatt da s Schriftlein:
Sie wären beid' im Himmel.




1) Vergl. Sainte-Croix, S. 174 ff. Es verdient hervorge hoben, dass die in die kleinen Mysterien Einzuweihenden zur Reinigung auch auf Felle von Thieren treten mussten, und zwar nach Hesychius, s. v. , nur mit dem linken Fusse.



Dagegen heisst es zu Ende einer verwandten schwedischen Ueberlieferung:

Da wächset eine Lind' auf beider Grab,
Die stehet allda bis zum jüngsten Tag.

Die Linde sie wächst über's Kirchendach,
Das eine Blatt nimmt das andre in Arm.

In dem deutschen, weit verbreiteten Liede vom Grafen Friedrich wird gesagt:

Was wuchs der Braut aus dem Grabe?
Drei Lilien mit goldnen Buchstaben:
Geht, grabt meinen Bräutigam aus,
Bringt ihn zu mir in's Gotteshaus!

Die Fortdauer der treuen Liebe im Tode malt unendlich einfach und anmuthig ein wendisches Lied:

Begrabt nun uns beide
Dort unter der Linde.

Pflanzt auf uns zwei Reben,
Zwei Reben des Weinstocks.

Die Reben sie wuchsen
Und trugen viel Trauben.

Sie liebten sich beide,
In Eines verflochten.

Das schwedische Lied: "Klein Rosa" lässt den dem Bunde der Liebenden entgegen gestandenen Vater und König rufen:

"Und hätt' ich geglaubt ihre Liebe so hold,
In Ehren und Zucht,
Nicht hätt' ich getrennt sie für rothestes Gold."
Es wachsen wohl, es wachsen wohl Lilien und Rosen zusammen.

In einem geistlichen Liede von Benjamin Schmolk ruft die Stimme eines Kindes aus dem Grabe:

Der letzte Frühlingstag wird meine Blätter zeigen,
Da werd' ich voller Glanz im Himmelsgarten stehn,
Wenn eine Blume wird aus meinem Grabe steigen,
Vor der die Rose selbst wird blass und schamroth stehn!

Ein kleines legendeartiges deutsches Gedicht des 13. Jahrhunderts berichtet: Ein Ritter begab sich, als er alt ge-





worden, in ein Kloster. Er konnte nichts mehr erlernen als die einzigen Worte: Ave Maria; sie aber sprach er, wo er ging und stand. Als er starb, wuchs eine Lilie aus seinem Grabe, und auf jedem ihrer Blätter stand mit goldenen Buchstaben: Ave Maria. Man grub nach und fand, dass die Blume im Munde des Todten wurzelte. - In Volksliedern der Lithauer erscheint die Rose entschieden als die Seele der Verstorbenen. Ein Mädchen bricht die Rose auf dem Grabe des Jünglings, und wie sie dieselbe der Mutter bringt, spricht diese:

Das ist ja die Rose nicht!
Ist des Jünglings Seele,
Welchem brach sein Angesicht
Durch den Gram der Liebe.

Koberstein, S. 97, glaubt, dass diesen Sagen offenbar die Vorstellung zu Grunde liege, dass die Seele, die ihren Leib verlässt, in eine Blume, sei es vorübergehend oder dauernd wandere, um darin wie in einem Leibe zu verweilen. In Erweiterung dieses Glaubens verwandelten sich dann, besonders in den griechischen Mythen, die Menschen mit ihrem Leibe und mit ihrer Seele im Gewächse, wie Daphne zum Lorbeer wird, Syrinx zum Rohr, Phaetons Schwestern zu Pappeln, Philemon und Baucis zu Bäumen, Narkissos zu Narzisse u. s. w. In den deutschen Gedichten und Sagen ist es vorzüglich die weisse Lilie und Rose, welche die den Leidenschaften der Menschenwelt entrückte und schuldentsühnte, reine Seele in sich aufnimmt und birgt. Und wer könnte auf dem Grabe seiner Lieben eine Blume brechen, ohne sich von Geisterhauch umweht zu fühlen, - ohne zu denken, dass die Grabesblumen aus dem Seelenreiche herüberreichen. Wenn die Maurer mit blühenden Blumen, mit weissen Lilien und Rosen den Sarg eines dahingeschiedenen Bruders umkleiden, dürfen auch sie den hoffenden Gedanken hegen, dass der Abgeschiedene im ewigen Garten Gottes als eine reine Lilie und Rose erblühen möge und dass auch uns einst vergönnt werde, in diesem Garten zu blühen und nicht mehr zu welken. Der Blumenkranz auf dem Leichname und dem Sarge der Todten soll die Todten mit den Lebenden, den Himmel mit der Erde leuchtend und liebend vereinen.





Zu dem sinnigen Aufsatze von Koberstein hat Reinhold Köhler, a. a. O., S. 479, einen Nachtrag geliefert, woraus wir noch hervorheben: In den bekannten Balladen von William und Margareth und Lord Thomas and fair Anet heisst es:

In der Marienkirche begruben sie ihn
Und sie im Marienchor;
Aus ihrem Grab ein roth Röslein sprosst,
Aus seinem ein Weissdorn hervor.

Die neigten sich, die verzweigten sich,
Wär'n gern einander recht nah;
Dass Jeder es gleich erkennen konnt':
Zwei Liebende ruhten allda.

In einem bretagnischen Volksliede geräth Junker Nann im Walde in eine Feengrotte, die Fee verlangt ihn zum Gatten, sonst soll er am dritten Tage sterben. Junker Nann verschmäht die Fee, treu seiner erst seit Jahresfrist ihm vermählten Gattin, und stirbt wirklich am dritten Tage. Als seine Gattin es vernimmt:

Auf beide Kniee fiel sie drob,
Und nimmermehr sie sich erhob.

Da war's zu schauen wunderbar,
Als jener Tag vorüber war,
In einem Grabe lag das Paar.

Da wuchsen aus der neuen Gruft
Zwei Eichen mächtig in die Luft.

Auf ihren Zweigen wonniglich
Zwei weisse Tauben schnäbeln sich.

Sie sangen bis zum Momen dort,
Dann flogen sie zum Himmel fort!

Im deutschen Minnegesang sendet der persönlich gedachte Mai den Schmuck des Waldes und der Haide als seine Boten voraus in die Lande, um seine Ankunft zu melden und gleich einem Könige, der nach langer Abwesenheit siegreich heimkehrt, kündigt er sich durch Briefe an, welce die Nachtigall liest. 1) Angelangt, setzt er sich




    1) Weimarisches Jahrbuch, V. S. 146.



auf einen grünen Zweig, wie auf seinen Thron. Oder der Mai selbst ist der Bote des vertrieben gewesenen Sommers, durch den dieser seine Rückkehr kund thut; dann erscheint der Sommer und befiehlt dem Walde, dem Anger und der Haide, reiche Kleider anzulegen, die der April anmisst und der Mai fertigt; die Vögel preisen wetteifernd diese Freigebigkeit, die Nachtigall flötet dazu, und wer recht aufmerken will, kann wahrnehmen, wie die Blumen unter sich flüstern, als bewegten sie sich im Tanze.

Zu dem Symbole der aus dem Grabe hervorblühenden Blumen, des aus dem Grabe entspriessenden neuen Lebens darf wohl auch das Symbol des indischen Çiwa gestellt werden als eines Todtenschädels, aus dessen hohlen Augen Feuerflammen hervorbrechen und aus dessen kahlem Schädel eine Lotosblume erblüht, denn Çiwa ist ja auch der Besieger des Todes durch das Leben, der Tod öffnet die verschlossenen Pforten des Lebens, in welchem Sinne die Todesgottheiten so oft den Schlüssel tragen. Noch mehr aber gehört hierher eine der ältesten, wenn nicht die älteste Beerdigungsweise, wornach der Körper des Verstorbenen in den möglichst kleinsten Raum zusammengelegt oder zusammengerollt wurde, wie er als Kind in dem Mutterschosse ruhte, und die sich im alten Babylon, in der Schweiz und besonders im Kanton Waadt, 1) in Peru, bei den Patagonen, im nördlichen Amerika, in Türingen, an den Ufern der Rhone, bei den Hottentoten, bei den Guaneben der eanarischen Inseln, in Aethiopien u. s. w. findet. Troyon, a. a. O., für 1856, S. 21 ff., sucht die Ansicht zu begründen, deren auch Grimm in der zweiten Ausgabe seiner Mythologie (1844), S. 1220, gedenkt, dass die Leichname in solcher Gestalt dem Schosse der Mutter Erde in dem Glauben an die Wiederauferstehung (résurrection des corps), an die Wiedergeburt übergeben worden seien. Ist diese Ansicht begründet, und sie hat allerdings sehr Vieles für sich, dann ist diese Beerdigungsweise mit dem Glauben an die Wiederauferstehung der Todten von den alten Baktrern ausgegangen, denn ihnen gehört die Lehre von




    1) Anzeiger für schweizerische Geschichte und Alterthumskunde für 1855, S. 11 ff.



der Wiederauferstehung der Todten ursprünglich an, wie geschichtlich ganz feststeht. Auch bei einzelnen indischen Volksstämmen wird der Todte also beerdigt und die Mutter, welche dem Todten die Lage in dem Mutterschosse gibt, giesst ihre Milch auf das Grab, welcher letztere Gebrauch nach Troyon sich in einem Alpenthale (aux Ormonts) des Kantons Waadt bis auf unsere Tage erhalten hat.

Von alten deutschen Sprichwörtern gehören hierher:

Lern leiden, wenn du willt auch endlich überwinden;
Lern sterben, wenn du willt das rechte Leben finden.

Das Leben dieser Welt ist mit dem Tod umgeben,
Und der in Christo stirbt, find't erst das rechte Leben.

Was in der Sterblichkeit wir Menschen Leben nennen,
Ist mehr vor einem Tod als Leben zu erkennen.

An den in den obigen Volksliedern sich aussprechenden Baumcultus reiht es sich, dass die Inder die Bäume förmlich mit einander vermählen und sich nicht ausreden lassen, dass diese Staude die Braut jenes Strauchs, dieser Baum der Gemahl jenes Baumes werden müsse. 1) In der indischen Heldensage Nal und Damajanti irrt die Königin Damajanti im Walde umher, den Bergen und Flüssen, den Bäumen und Blumen ihr Herzeleid klagend. Sie kommt an den duftenden, reichblühenden Asoka, d. i. Kummerlos, den E. Meier als Linde übersetzt.

"Dass Linderung ich erlange,
O Linde, das gewähre!
Linde, weil Leid du linderst,
Mach' deinem Namen. Ehre!"

Auch in Deutschland sind die Linden noch dermalen neben den Eichen geheiligte Bäume, und Gude und Grube wollen die sanfte Linde als Braut in indischer Weise der starken Eiche gatten. Bei den Griechen war wirklich die Eiche dem Zeus und die Linde der Aphrodite geweiht. Den alten deutschen Dichtern war das Lindenblatt wegen seiner




    1) Vergl. Gude und Grube, Unterhaltungen und Studien aus dem Natur- und Menschenleben, N. F. erster Jahrgang, Magdeburg 1856, S. 95 ff.



Herzform und seiner innigen Grüne das Symbol der Liebe und Treue und ging als solches auf die Wappen und Denkmäler über. - Der Kranz, die Mithraskrone, welche den in die Mithrasmysterien Einzuweihenden dargereicht wurde, war wohl auch ein Symbol des den Geweihten verheissenen ewigen Lebens und es würde also dieser Kranz ganz dem Blumenkranze um den Sarg des Maurers entsprechen. Den Mithraskranz vermuthet Amiet auch auf einem im J. 1806 zu Bellach bei Solothurn aufgefundenen keltischen Gefässe, da der Mithrasdienst mit den Römern auch in die Schweiz eingedrungen war; 1) selbst von dem Isisdienste finden sich in der Schweiz Spuren, namentlich bei Wettingen im Kanton Aargau. Der in die Mysterien der Isis neu Eingeweihte soll auf dem Haupte eine Palmenkrone und in der Rechten eine grosse Fackel getragen haben, deren Blätter eine Art von Glorie bildeten; 2) bei den Dionysien trugen die Mysten Myrthenkränze und bei den Bacchanalien Epheukränze. 3) In dem Heräon bei Argos und Mykenae trug die Himmelskönigin einen Kranz aus ohne Zweifel gelben Blumen, die man Asterion nannte und die also auf den Sternenhimmel deuteten, wie sonst der der Hera beigegebene Pfau durch seinen besternten Schweif darauf deutete (Welker, II. S. 323).

Das Reterbüchlein, gedruckt zu Cöln 1562, enthält auch folgendes hierher bezügliche Räthsel über die Todtenbahre oder den Sarg:

Der es macht, der bedarf's nicht;
der es kauft, der will's nicht, und
der es braucht, der weiss es nicht. 4)

Wir könnten schliessen mit den Worten einer geistreichen, aber höchst unglücklichen Frau, der Frau von Kalb, 5)




    1) Vergl. Anzeiger für schweizerische Geschichte und Alterthumskunde für 1860, Nr. 4, S. 140 ff.
    2) Sainte-Croix, a. a. O., S. 319.
    3) Sainte-Croix, S. 279. Vergl. auch Quitzmann, die heidnische Religion der Baiwaren, S. 130.
    4) Vergl. Hoffmann von Fallersieben, die älteste Räthselsammlung, im weimarischen Jahrbuch, II. S. 231 ff.
5) Weimarisches Jahrbuch, II. S. 372 ff.: Charlotte von Kalb, von Hermann Sauppe.



welche einstens in dem Dichterkreise zu Weimar glänzte: "Nie hat mir der Zusammenhang dieses oder jenes Lebens klarer vor Sinn und Augen gestanden; es ist ein Strahl des Lebens, der. von dem ersten Lebenstage durch alle Ewigkeiten trägt; er geht aus von Gott und führt zu Gott."

Mit dem Entzünden der Flamme vor dem maurerischen Sarkophage als dem Symbole des durch den Verstorbenen nun erreichten ewigen Lichtes und Lebens darf vielleicht ein symbolischer Ostergebrauch in Verbindung und Vorgleichung gebracht werden, welcher noch dermalen alljährlich am Ostersamstage zu Jerusalem bei den christlichen Griechen und Armeniern stattfindet und sich zugleich innigst mit den germanischen Frühlingsfeuern berührt. Aus einem Loche in der Kapelle des heiligen Grabes zu Jerusalem schlägt jährlich, im Beisein des türkischen Pascha zur Verhütung von Unordnungen und Streitigkeiten, die heilige Flamme neu hervor, woran alsdann die vorher alle gelöschtenLichter wieder entzündet werden, indem das Feuer mit bereit gehaltenen Fackeln schnell von einem Gläubigen zu dem andern getragen wird. 1) Dieses Entzünden der jährlichen heiligen Osterflamme ist zunächst nur ein Symbol des sich jährlich neu entzündeten Blitzes- und Gewitterfeuers und des dadurch geweckten neuen Natur- und Frühlingslebens und sodann des ewigen himmlischen Lichtes, welches Christus gebracht hat und das die ihm Folgenden im Tode finden sollen. Das Symbol der Flamme als Zeichen des erwachten Frühlingslebens und der Jahresfruchtbarkeit findet sich auch bereits in dem Cultus des thrakischen Dionysos und des sogenannten kretischen oder idäischen Zeus, dessen eigentlicher asiatischer Name den Griechen verloren gegangen ist, indem sie den asiatischen, jährlich neu geborenen Sohn der Rhea ihrem davon völlig verschiedenen Zeus gleichstelIten. 2) Der jerusalemische Gebrauch ist vermuthlich ein Ueberrest oder eine Umgestaltung des alten kretischen Gebrauches. Aus der heiligen Bierenhöhle auf Kreta, worin Rhea den Zeus geboren




    1) Braun, Geschichte der Kunst, I. S. 378.
    2) Welker, griech. Götterlehre, I. S. 428 und II. S. 222.



haben sollte und die Keiner, weder ein Gott noch ein Sterblicher betreten durfte, leuchtete nach der Sage jährlich im Frühling zu einer bestimmten Zeit viel Feuer hervor und dieses geschehe, wann das Blut des Zeus von der Geburt hervorquelle. Das in der idäischen Höhle in Feuer und unter dem lärmenden Waffentanze (der Purriche) der Kureten jährlich neugeborene Zeuskind ist der Sonnengott, welcher im ersten donnernden und leuchtenden Frühlingsgewitter wieder geboren wird, ist das zurückkehrende Frühlingsgewitter selbst. 1) Die grosse Berggöttin und Mutter Rhea ist die Göttin des Wolkenberges. Schwarz, s. 88, fasste sogar die Ehe () zwischen Zeus und Hera nur als ein ursprüngliches Frühlingsgewitter auf. Der erhebende und rettende Glauben an die Unsterblichkeit der Seele, an ein Jenseits, an die Ewigkeit spricht sich seit den ältesten Zeiten der Menschheit in den mannigfachsten Zügen und Gebräuchen aus; denn, wie Immermann es so schön vergleicht, ist das menschliche Dasein nur ein langes, leeres A-B-C, von dem die Buchstaben X. Y. Z. in der Ewigkeit stehen. 2) Bei Jeremia 9, 23.ff. spricht der Ewige:

Ein Weiser rühme'sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke:
Ein Reicher rühme sich nicht seines Reichthums -
Sondern dessen rühme sich, wer sich rühmen will,
dass er mich erkenne und wisse, dass ich der Ewige bin,
der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übet auf Erden:
Denn daran habe ich Wohlgefallen, ist des Ewigen Spruch.

Derselbe Jeremia 17, 7 sagt:

Gesegnet ist der Mann, der auf den Ewigen sich verlasst,
Und dessen Zuversicht der Ewige ist,
Der wird sein wie ein Baum, gepflanzet am Wasser,
der am Bache seine Wurzeln treibt;
er fürchtet sich nicht, wenn die Hitze kommt,
sondern seine Blätter bleiben grün:




    1) Welker, II. S. 231; Schwarz, Ursprung der Mythologie, S. 131, Anm. 1, und S. 134 unten.
    2) Vergl. auch Sanders, vollständiges Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin 1859, unter A.



Und im Jahr der Dürre wird ihm nicht bange,
noch hört er auf, Früchte zu tragen. - -
Ich der Ewige, erforsche das Herz, prüfe die Nieren:
Und gebe einem Jeden nach seinem Wandel,
nach den Früchten seiner Thaten.