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Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer






Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei
mit besonderer Rücksicht auf die Mythologieen und Mysterien des Alterthums
von Dr. Jos. Schauberg, Zürich 1861

B a n d II. - Kapitel XLIII



Meine würdigen neu aufgenommenen BBr. Meister!

In unserm Meisterkatechismus, den Sie nun gewiss mit allem Fleisse lesen und erwägen werden, finde ich auch folgende Fragen und Antworten:

Fr. Warum haben Sie sich zum Meister aufnehmen lassen?
A. Um den eigentlichen Sinn des Buchstabens G kennen zu lernen, den ich im flammenden Sterne sah.

Fr. Was bedeutet dieser Buchstabe?
A. Grösse und Ruhm, die nur Gott angehören, als dem ersten Urquell alles Lichtes.

Fr. Was ist der Zweck Ihrer Arbeit?
A. Um mit Hülfe des grossen Baumeisters der Welt und mit dem Beistand des Bundes das wahre Meisterwort zu finden, um davon einen würdigen Gebrauch zu machen.

Nachdem Sie jetzt die Meisterweihe empfangen haben





und selbst zu antworten vermögen, richte ich mit dem Meisterkatechismus auch an Sie die erste und ernste Frage:

Warum haben Sie sich zum Meistermaurer aufnehmen lassen?

Ueberdenken Sie mit einfachem Sinne und Gefühle die Gebräuche der Aufnahme zum Meister, Ihre symbolische Grablegung und Ihre Wiedererweckung aus dem Grabe, so werden Sie auf meine Frage schnell entgegnen: dass Sie sich haben zum Meister aufnehmen lassen, um ein besserer Mensch zu werden, - um die alten Gebrechen Irrthümer und Fehler dem Grabe zu übergeben und dagegen das Licht und die Reinheit des Herzens, der Gedanken und Thaten zu gewinnen, - um zu sterben und vollkommener wieder aufzuerstehen. Ich heisse Sie auf richtig willkommen im Kreise der Meister und preise Sie glücklich, wenn Sie meine Frage aus voller Ueberzeugung und mit klarem Bewusstsein in solcher Weise erwidern, dann darf ich die Hoffhung hegen, dass Sie den wahren Weg zur Meisterschaft betreten haben. Die Aufnahme zum Maurer und besonders zum Meistermaurer soll gleich der Aufnahme in die uralten Mysterien nur eine geistige Neugeburt, das Begraben des alten gebrechlichen und die Erweckung eines neuen bessern Menschen sein. Dieser, ihrer Bedeutung nach darf die Maurerweihe der religiösen Weihe verglichen werden, wodurch in Indien seit den ältesten Zeiten die herangewachsenen jungen Leute vom achten, eilften und zwölften Lebensjahre an in die drei höhern Kasten der Geistlichen, der Krieger und der Bauern auf genommen werden, indem man ihnen eine von der linken Schulter quer über die Brust zu tragende Schnur, Zenaar genannt, anlegte und anlegt. Diese religiöse Weihe, diese Aufnahme in die Kaste wird von den arischen Indern wesentlich als eine Art geistiger Geburt, als eine zweite, höhere und geistige Geburt betrachtet, wesshalb der Aufgenommene ein Zweifachgeborner, ein gleichsam zum zweiten Mal Geborner, Drig'a, genannt wird. Die heilige Schnur, durch deren Anlegung bei den Indern die Aufnahme in die drei Kasten erfolgt, ist für jede Kaste eine andere und erinnert dadurch an die damit verwandte Schnur oder das Band der verschiedenen maurerischen





weltlichen Grade, - der verschiedenen geistlichen und Ritterorden. Bei den heutigen Parsen wird noch in ähnlicher Art durch den Kosti oder den heiligen Gürtel im siebenten oder zehnten Jahre in den heiligen Verband aufgenommen. Auch in Iran trug man die heilige Schnur, jedoch scheint dieselbe dort nicht wie in Indien für die verschiedenen Stände verschieden gewesen zu sein. Vorzüglich aber war man in den ägyptischen Mysterien darauf bedacht, die Aufnahme in dieselben als eine neue Geburt zum Lichte, als eine Lichtwerdung und Lichterlangung darzustellen. Unzweifelhaft ägyptischen Ursprungs und aus den ägyptischen Mysterien an die griechischen Orphiker und die Priester der eleusinischen Geheimnisse, an die Pythagoräer, an die Essäer und Therapeuten, an die geistlichen und weltlichen Orden des Mittelalters, zumal auch an den im Jahr 1118 zu Jerusalem gestifteten Orden der Tempelherren übergegangen ist die Sitte, der symbolische Gebrauch, dass die neu aufgenommenen, die Neugebornen, die Neulinge oder Neophyten einerseits eine neue Kleidung und zwar eine weisse, bei den Aegyptern, Pythagoräern, Essäern und Therapeuten, sowie bei den Tempelherren eine weisse leinene Kleidung, einen weissen leinenen Mantel, und anderseits einen neuen Namen erhalten. Indem man den Neuaufgenommenen eine ganz neue Kleidung und sogar einen ganz neuen Namen ertheilte, sollten sie ihr bisheriges unvollkommenes Leben in aller Hinsicht hinter sich werfen, jede äussere Erinnerung daran vertilgen und mit der neuen Kleidung und dem neuen Namen auch einen neuen innern Menschen, ein neues reines Herz und einen neuen lichten Geist erwerben. Es ist wirklich ein erhabener Gedanke, ein grosses Bestreben, eine Umgeburt und Neugeburt des Menschen dadurch schaffen und erreichen zu wollen, dass man ihn, den alten unvollkommenen und mit Irrthümern und Fehlern behafteten Mensehen symbolisch beerdigt und einen andern, bessern, reinern und vollkommeneren Menschen in neuer lichtvoller Kleidung und mit neuem Namen aus dem Grabe erwecken und hervorgehen lassen will. Die neue Ordenskleidung und der neue Ordensname, welche dem Neophyten gegeben wird, soll für ihn nach ihrer wahren und tiefern Bedeutung





eine unterbrochene Mahnung und Aufforderung sein, innerlich ein anderer und besserer Mensch zu werden, das bei der Aufnahme in den Orden abgelegte Gelübde durch die Reinheit und Heiligkeit seiner Gedanken, Worte und Werke zu erfüllen. In den höhern Graden der Maurerei, in der ritterlichen Maurerei, also namentlich in der stricten Observanz und in dem rectificirten Systeme derselben, trugen und tragen in dem bezeichneten Sinne die Mitglieder gleichfalls besondere Ordensnamen, wie dieses bekanntlich auch bei den Illuminanten der Fall gewesen.

Die neue weisse Kleidung und der neue Name als Symbole der angestrebten sittlichen und geistigen Neugeburt der Aufzunehmenden ergaben sich in den Mysterien und den daraus hervorgegangenen Verbindungen natürlich oder von selbst aus dem Naturereignisse, aus dem Naturfeste oder der Jahresfeier, woran die ganze Aufnahme angelehnt war. Der Aufzunehmende wird als ein Bild der im Winterschlafe befangenen Natur, der im Winter entfernten und erstorbenen Sonne und Sonnenkraft in das Grab gelegt und soll gleich der wiederkehrenden Frühlingssonne, gleich der neu aufkeimenden und aufblühenden Frühlingserde, sich mit neuem Lichte, mit neuer Pracht und Kraft, mit dem Kleide der neu strahlenden Sonne und der wieder blühenden Blumen aus dem Grabe erheben. Beerdigt wird der todte Winter, die durch den Winter getödtete Natur, die abgestorbene Sonne; aus dem Grabe aufersteht der blühende Frühling, die wieder auflebende Frühlingserde, die zurückkehrende und neues Leben gewinnende Sonne. Die Aufnahme ist ein Frühlingsfest, das Fest des wiedererwachenden Frühlings, das Fest der nie ersterbenden und ewig sich verjüngenden Naturkraft; die Aufnahme ist in der That und Wahrheit ein Osterfest, das Fest der Wiederauferstehung der Natur und des Geistes. Das verlorne Meisterwort ist zunächst die im Herbst und Winter ersterbeilde und erstorbene Natur- und Sonnenkraft, welche im Frühlinge schöner und mächtiger wiederkehren und neues Leben über die ganze Erde ausgiessen wird.

Das verlorne Meisterwort, welches wieder gefunden werden muss, ist der erschlagene Meister, die geschwundene





Sonne und Natur, der höchste Sonnengott selbst, welcher Sonnen- oder Feuergott bei den semitischen Völkern auch Jao, Jau, Jahu, Jahveh, Jehovah hiess und ganz gleichbedeutend mit dem ägyptischen Osiris war. Das Grab der Sonne, des Jehovah, des Hiram, wird an dem von ihm ausstrahlenden Lichte entdeckt und daraus dann im Frühlinge reich geschmückt in den grossen Tempel der Erde und der Welt zurückgebracht. Wie nun ursprünglich alle Religion blos eine Naturreligion ist und der Mensch Gott nur in seiner Schöpfung, in der Natur erkennt oder dem Menschen Gott nur Derjenige ist, welcher Himmel und Erde geschaffen hat, - wie das irdische und himmlische Licht sich zu Einem Lichte vereinigen, indem in dem unendlichen blauen Himmelsäther der Mensch den unendlichen und ewigen Schöpfer, den Himmelsgott und das Himmelslicht ahnet: so feiert der Mensch in dem Feste des Wiederauflebens der Natur- und Sonnenkraft, der unvergänglichen und unbesieglichen Sonne (Sol invictus), des unverlierbaren Meisterwortes zugleich das Fest seines eigenen unsterblichen Geistes, seine Unvergänglichkeit, seine wiederauferstehung von den Todten. Der Mensch stirbt nicht, weil die ganze Natur nicht stirbt; der Mensch steht aus dem Grabe wieder auf, weil auch die Natur nicht darin eingeschlossen bleibt. Der erschlagene Meister ist nicht allein die geschwundene und sicher wiederkehrende Sonne, er ist auch der gestorbene und aus dem Tode sich wieder erhebende Mensch. Hiram ist Gott und Mensch, der Gottmensch, der göttliche und unsterbliche Geist im Menschen, der menschgewordene Gott oder Sohn Gottes, Jesus. Der Aufgenommene ist noch nicht wirklich, er ist nur symbolisch wiedergeboren; die Aufnahme ertheilt ihm blos die Versicherung, den Glauben, dass sich dereinst über ihm das Grab nicht für immer schliessen, sondern wieder öffnen werde, - dass die Todten auferstehen, wenn sie recht gelebt haben und tugendhaft gestorben sind. In den ägyptischen und eleusinischen Geheimnissen wurden daher dem Aufzunehmenden auch die Qualen des Tartarus und die Freuden Elisiums, die Schrecken der Hölle und die Wonne des Himmels , die Strafe des Lasters und der Lohn der Tugend bildlich dargestellt, um ihn vor dem





Bösen zu bewahren und zu dem Guten anzuspornen. Insofern war die Aufnahme zum Meister nur die Lehre oder Anweisung zum guten und vernünftigen, zum göttlich-menschlichen Leben; der Meister erhielt als sein Meisterdiplom nur einen Lehrbrief. Vernehmen Sie aus dem Munde unsers in den ewigen Osten vorausgegangenen Bruders Goethe Ihren Lehrbrief:

"Die Kunst ist lang, das Leben kurz, das Urtheil schwierig, die Gelegenheit flüchtig. Handeln ist leicht, denken schwer; nach dem Gedachten handeln unbequem. Aller Anfang ist heiter, die Schwelle ist der Platz der Erwartung. Der Knabe staunt, der Eindruck bestimmt ihn, er lernt spielend, der Ernst überrascht ihn, die Nachahmung ist uns angeboren, das Nachzuahmende wird nicht leicht erkannt. Selten wird das Treffliche gefunden, seltener geschätzt. Die Höhe reizt uns, nicht die Stufen, den Gipfel im Auge wandern wir gerne in der Ebene. Nur ein Theil der Kunst kann gelehrt werden, der Künstler braucht sie ganz. Wer sie halb kennt, ist immer irre und redet viel; wer sie ganz besitzt, mag nur thun und redet selten oder spät. Jene haben keine Geheimnisse und keine Kraft, ihre Lehre ist wie gebackenes Brod, schmackhaft und sättigend für einen Tag; aber Mehl kann man nicht säen und die Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden. Die Worte sind gut, sie sind aber nicht das Beste. Das Beste wird nicht deutlich durch Worte. Der Geist, aus dem wir handeln, ist das Höchste. Die Handlung wird nur vom Geiste begriffen und wieder dargestellt. Niemand weiss, was er thut, wenn er recht handelt; aber des Unrechten sind wir uns immer bewusst!"

Jetzt frage ich Sie nochmals: Warum haben Sie sich zum Maurermeister aufnehmen lassen?

Um Lehrlinge zu werden, um den Lehrbrief zu empfangen und zu erfüllen.

Gottes Segen walte über Ihnen und über Ihrem Bestreben!

Bedenke, dass ein Gott in deinem Leibe wohnt,
Und vor Entweihung sei der Tempel stets verschont!