internetloge.de - internetloge.org - Hamburg, Deutschland -
Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer






Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei
mit besonderer Rücksicht auf die Mythologieen und Mysterien des Alterthums
von Dr. Jos. Schauberg, Zürich 1861

B a n d I. - Kapitel VI



Seite 86


Der Brudername.

Bei Berührung der mittelalterlichen Zünfte und Bruderschaften wird die Bemerkung begründet werden, dass die Uebung der alten Steinmetzen und Bauleute, sich gegenseitig als Brüder zu benennen, zu betrachten und zu behandeln, jedenfalls in den geistlichen oder klösterlichen Bruderschaften ihren Ursprung habe. Allein ich glaube noch einen Schritt weiter gehen und den letzten Ursprung des maurerischen Brudernamens auf Aegypten oder wenigstens auf Phönicien zurückführen zu dürfen. Wurde bei den Hebräern der Leichnam in die Erde versenkt, erscholl allgemein der Jammerruf: "Weh mein Bruder" oder "weh meine Schwester," welchen Jammerruf Movers, die Phönicier, I. S. 246 ff. sehr überzeugend als aus der phönicischen Linus- oder der ägyptischen Manerosklage, die zunächst bei den Adonis-Osiristodesfeiern gesungen wurde und sodann zu einer allgemeinen Leichenklage, zu einem allgemeinen Leichengesang geworden war, entstanden nachgewiesen hat. 2) Die




2) Vergl. über die Linosklage auch Lasaulx, Studien des klassischen Alterthums, S. 345-356, woselbst Anm. 1 auch die vorzüglichste Literatur angegeben ist; Brugsch, die Adonisklage und das Linoslied, Berlin 1852.



Seite 87


Linusklage ist in Phönicien entsprungen und ein einfacher Weheruf, Ai-lanu, Ai-lenu d. i. weh uns, welchen Weheruf die Griechen als , weh Linus, missverstanden und daher. den Weheruf in den unglücklichen Jüngling Linus umschufen dem sie nach ihrer geistreichen Weise auch eine besondere Geschichte ersannen. 1) Der ägyptische Maneros ist nach Jablonski, voc. ägypt. S. 128, = filius Manis s. Menis i. e. aeterni, Sohn des Ewigen, was dazu stimmen würde, dass der Glaube des Menschen an Gott und die Unsterblichkeit der Seele eine Gabe und Offenbarung, ein Sohn Gottes oder des Ewigen ist. Nach Brugsch, die Adonisklage, S. 24, wäre der Maneros des Herodot nur aus einem sprachlichen Missverständniss hervorgegangen, nämlich aus dem oft wiederkehrenden Refrain: mââ-er-hra (komme nach Hause, kehre wieder) des ägyptischen Klageliedes der Isis. Brugsch, a. a. O., S. 21 ff. theilt aus einem im königIichen Museum zu Berlin befindlichen und zu Theben aufgefundenen Todtenpapyirus eine vollständige Uebersetzung des Klageliedes der Isis. so wie desjenigen ihrer Schwester Nephthys um den verstorbenen und vermissten Osiris mit. Lasaulx dagegen, a. a. O., nimmt mit Jablonski den Maneros für den Sohn des Ewigen. Linos und Maneros sind zugleich Adonis, der schöne und von der Aphrodite geliebte Hirte der Berge, die der Erde theure Blume des Feldes, - die schöne Narcisse (woraus die Thespier den Narcissos gebildet), welche in der Jugendblüthe der versengenden Hitze des Sommers, dem Eber des Mars, unterliegt. Den Mysticismus von Lasaulx, S. 353 ff., dass in Linos nur die Fallsgeschichte personificirt sei, werden gewiss Wenige theilen. Die Urmenschheit hatte blos die Vergänglichkeit und Hinfälligkeit der Blumen (nach dem alten Testamente des Grases auf dem Felde) und der Menschen erkannt und beklagt, und namentlich Adonis wurde bei seinem Tode von den Frauen von Gebal mit dem Wehrufe (Ai-lanu) bejammert.




1) Brugsch, Adonisklage, S. 16 ff.



Seite 88


Die Aegypter sangen ihre Manerosklage, die Klage um die Flüchtigkeit und Hinfälligkeit des menschlichen Lebens und aller menschlichen Dinge, welche sich in die Trauer um den früh verstorbenen Adonis-Osiris mischte, nach Plutarch I, 1 und Herodot II, 78 auch bei den Gastmahlen, wobei man das Bild eines Verstorbenen in einer Kiste, - wie man sagte, des Osiris, mit der Mahnung umhertrug, dass Alle bald ebenfalls Solche sein werden und in Erinnerung an den nahenden Tod mässig im Genusse der Freuden sein sollten. Nach dem Vorgange der Aegypter wurde gemäss Petron auch bei den feierlichen Gastmahlen der Römer ein silbernes bewegliches Todtengerippe, Larva genannt, auf der Tafel aufgestellt, um zu einem desto eilfertigeren Genusse des Lebens zu ermuntern. Dieses Gerippe wurde durch einen Sklaven bei den Gästen mit den Worten herumgetragen oder sonst ihnen mit denselben gezeigt:

Heu, heu, nos miseros, quam totus homuncio nil est!
Sic erimus cuneti, postquam nos auferet Orcus.
Ergo vivamus, dum licet esse bene. 1)

In der ägyptischen Todtenklage, welche nach dem Vorbilde der Leichenfeiern des Adonis-Osiris zu einer allgemeinen Sitte der Leichenfeiern geworden war, wurde über den verstorbenen Bruder und die verstorbene Schwester gewehklagt, ihnen ein Weh zugerufen, wie aus der daraus hervorgegangenen jüdischen Todtenklage geschlossen werden darf. Die Aegypter, welche nach den Behauptungen der Griechen, zumal des Herodot II, 123 unter allen Völkern zuerst die Unsterblichkeit der Seele geglaubt und gelehrt haben und die alle rein und gerechtfertigt oder selig Verstorbene in das Lichtreich des Osiris eingegangen und mit ihm vereinigt dachten, mussten desshalb alle Menschen wenigstens beim Sarge und im Tode als Brüder und Schwestern, als Geschöpfe und Kinder des Osiris betrachten. Da die Juden, besonders in den Büchern Mosis, zugleich sehr ausgeprägt die Vorstellung einer Unterwelt




1) Lessing's gesammelte Werke, Leipzig 1841, Bd. V. S. 324; Brugsch, a. a. O., S. 24 u. 25.



Seite 89


haben, 1) wohin die Sterbenden zu ihren Vätern versammelt werden, und diese Vorstellung wesentlich eine ägyptische ist, nur bei dem Aufenthalte in Aegypten unter den Juden aufgekommen und angenommen worden sein kann, ist es gewiss zulässig und gerechtfertigt auch die jüdische Todtenklage als mit aus Aegypten herübergebracht anzusehen und von ihrem Inhalt, von ihrer Redeweise auf den Inhalt und die Redeweise der ägyptischen Todtenklage zurückzuschliessen. Jeremias, welcher dem König Jojakim. droht, dass er nicht in der üblichen Weise werde zur Erde bestattet. werden, sagt dafür 22, 18 mit andern Worten: "Ferner spricht der Herr also wider Jehojakim, den Sohn Josias, den König Juda: Man wird ihn nicht beweinen: Ach, mein Bruder, oder, ach meine Schwester! man wird ihn auch nicht beweinen: Weh Herr! oder, weh seiner Herrlichkeit! sondern er wird wie ein Esel begraben, verschleppt und verworfen werden, fern von den Thoren Jerusalems" - Auch in den neutestamentlichen Schriften findet sich öfters die Anrede: "Mein Bruder", oder "Meine Brüder". oder auch die Benennung Bruder und Schwester, z. B. in der Epistel Jacobi im Eingange von Kap. II und III, ferner Kap. I. 9 und 19, - II. 2,14 und 15, - III. 10, - IV. 11, - V. 7, 12 und 19, - in der dritten Epistel Johannis 3, 5 und 10, - in der Epistel Pauli Kap. II. 11, 12 und 17, - III. 1, - X. 19, - XIII. 1 u. s. w., was in Verbindung mit manchen andern Umständen die Vermuthung veranlasst und begründet hat, dass Christus und die ersten Christen mit den Mysterien Aegyptens oder der jüdischen Essäer und ägyptischen Therapeuten in Verbindung gestanden und unter sich als Brüder und Schwestern verbunden gewesen seien, einen Bruder- und Schwesternbund gebildet haben. In der Epistel Pauli XIII. 1 wird namentlich der Wunsch ausgesprochen, dass die brüderliche Liebe bleiben möge. Will man nun auch der Ansicht nicht beitreten, dass die ersten Christen einen geheimen religiösen Bruder- und Schwesternbund




1) In Psalm 89 heisst es:
Wer ist's, der lebt, und den Tod nicht schaut,
Der seine Seele rettet vor der Gewalt der Unterwelt.



Seite 90


gebildet und sich untereinander als Brüder und Schwestern angeredet und behandelt haben, obwohl dieses nach allen Verhältnissen und Bedrängnissen mehr als wahrscheinlich ist, so wird und muss man doch wenigstens zugestehen, dass um die Zeit von Christus ganz allgemein bei den Juden und Nichtjuden sich die Bekenner der gleichen religiösen Meinungen, des gleichen Gottglaubens brüderlich geliebt und daher auch Brüder und Schwestern genannt haben. Da nun die römischen Baukorporationen urkundlich nicht blos Berufsgenossenschaften, sondern zugleich religiöse Genossenschaften waren, ist es gewiss keine allzu kühne und keine ganz unglaubwürdige Behauptung, dass schon in den römischen Baukorporationen sich die Genossen desselben Berufes und Glaubens Brüder genannt haben. Die geistlichen und spätern bürgerlichen Baubruderschaften des Mittelalters waren somit nicht etwas völlig Neues, sondern einzig eine Fortsetzung und Fortentwicklung der römischen Baubruderschaften.

Das Gegentheil der Todtenklage um den sterbenden Natur- und Sonnengott ist der apollinische Päan, der Lobgesang des Sieges des neugeborenen und wiederkehrenden Licht- und Sonnengottes: 1) Dieser apollinische Päan ist dem sog. Triumphbogen der katholischen Kirchen zu vergleichen, welcher die Thaten des Herrn verherrlichet. 2) In der Geburt und Wiedergeburt des Lichtes, des neugebornen Gottes feierte zugleich die alte Menschheit die Hoffnung auf die eigene Wiederauferstehung und Unsterblichkeit, wie sie in dem frühe dahin gerafften Gotte die Vergänglichkeit und Hinfälligkeit des eigenen Lebens beweinten und beklagten. Den Frauen fielen die Klagen und die Thränen vorzugsweise desshalb zu, weil Adonis (die Blume) oder auch Baal (die Sonne), der Thamuz oder Thamus der Juden, der liebenden Aphrodite (Baaltis oder auch Astarte) und Erde, Osiris der treuen Gattin Isis, Hiram der liebenden Mutter, die Kore, oder Persephone der Mutter Demeter u. s. w. geraubt worden




1) Preller, griech. Mythologie, I. S. 157.
2) Lübke, Geschichte der Architektur, S. 174.



Seite 91


und sie zunächst weinten und klagten und mit ihnen die mitfühlenden Frauen und Schwestern. Die im Alterthum so vielfach erscheinenden Klageweiber, namentlich in Aegypten, Phönicien, Juda und Syrien, in Griechenland und besonders in Athen, auf Kypros, zu Rom u. s. w. erklären sich also ganz natürlich. Der wahre und tiefere Inhalt dieser Todtenklagegesänge ist sehr schön in Psalm 103, 15 und 16 dahin ausgedrückt:

Der Mensch, - wie Gras sind seine Tage,
Er blühet wie die Blume des Feldes;
Wenn der Wind über ihn fährt, so in er nicht mehr,
Und nicht erkennet ihn mehr sein Ort.

Das Aufsuchen des Hirim bei den Maurern ist durchaus nichts Anderes als das alte klagende Aufsuchen des Adonis, des Osiris, der Kore u. s. w. und was namentlich in den Mysterien die Todtenfeier des Osiris gewesen, 1) ist bei den Maurern die Todtenfeier des Hiram, die Meisteraufhahme.

Der oben berührten Sitte der Aegypter und nach ihnen der Römer, bei den Gastmahlen den Maneros zu singen oder durch Hinweisung auf den Tod zum weisen Genusse des Lebens und der Lebensfreuden zu ermuntern, entsprach und entspricht bei den Juden der Gebrauch, an dem frohen Feste des Passah den Hausvater in seinem künftigen Todtengewande erscheinen zu lassen. 2) Daran reiht sich die chinesische Sitte, dass sich Verwandte und Freunde gegenseitig mit Särgen beschenken. Wohlhabende Leute kaufen sich immer sobald als möglich einen Sarg nach ihrem Geschmack aus den grossen Vorräthen an Särgen in den öffentlichen Läden. Zärtliche, aufmerksame Kinder beschenken ihre Eltern mit kostbaren, schön gezierten Särgen. Sobald Jemand bettlägerig wird, ist es die erste Pflicht der Angehörigen, den Sarg neben sein Bett zu stellen und ihn zu fragen, ob ihm seine künftige letzte Wohnung gefalle. Auf dem Lande, wo keine Särge in Läden vorräthig sind, schickt man in jedem ernstlichen




1) Brugsch, die Adonisklage, S. 13.
2) Brugsch, a. a. O., S. 25.



Seite 92


Krankheitsfalle sofort zum Schreiner, um das Mass für den Sarg des Sterbenden zu nehmen und den Sarg alsbald anzufertigen. 1)




1) Apostelgeschichte des Geistes, Neustadt 1858, I. S. 104.