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Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer






Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei
mit besonderer Rücksicht auf die Mythologieen und Mysterien des Alterthums
von Dr. Jos. Schauberg, Zürich 1861

B a n d I. - Kapitel XIX.



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Die Bibel als das erste und grösste Licht der drei grossen Lichter der Maurerei.

Das Buch, welches der noch in der Finsterniss befangene Neuaufzunehmende gläubig sehen soll, das ihn durch den darauf abgelegten Eid unverbrüchlicher Pflichterfüllung aus der Finsterniss in das helle Licht der Loge führt und als ein Glied in die den Erdkreis umspannende Bruderkette einreiht, ist die Bibel. Sinkt endlich die verhüllende Binde von dem Auge des neuen Maurerlehrlings, so erblickt er nach dem Gebrauchthume der alten englischen Bauzünfte vor sich die Bibel als das erste und das grösste der drei grossen Lichter der Maurerei. In der Dunkelheit soll der Maurer an die Bibel glauben, und im Lichte soll er sie sehen, sie lesen; wer Gott und das göttliche Licht sucht, muss zuvor an Gott glauben. Unter der schwörenden Hand und vor dem sich öffnenden Auge des Maurerlehrlings liegt das erste Kapitel des Evangeliums Johannis aufgeschlagen, das also beginnt: "Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht worden, und ohne dasselbe ist auch nicht Eines geworden, das gemacht worden ist. In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsterniss, und die Finsterniss hat es nicht angenommen. Es war ein Mensch von Gott gesandt, mit Namen Johannes. Dieser kam zum Zeugniss, dass er von dem Lichte zeugete, damit alle durch ihn glaubten. Nicht er war das Licht, sondern dass er von dem Licht zeugete. Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt." -

Ja, das wahre Licht, welches jeden Menschen erleuchtet, - das Licht, welches in der Finsterniss scheinet und allein die Finsterniss zu bannen vermag, kam mit der Bibel, mit Christus in die Welt, strahlet von ihnen aus und ist nur bei ihnen zu finden, so dass, wer das Licht suchet, nach der Bibel, nach dem Worte und nach dem




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Geiste Christi greifen muss. Der Meister v. St., wenn er von dem neu Aufzunehmenden um die Ertheilung des vollen Lichtes gebeten wird, gibt ihm daher als solches das Licht und die Bibel, das bibelsche Licht, das in der Bibel offenbarte Wort und den Geist Gottes. Der Meister v. St. kann gleich Johannes dem Täufer blos von dem Lichte zeugen, - kann nur auf die Bibel, auf Christus, - auf das Licht verweisen, das in der Bibel eingeschlossen und mit Christus in die Welt gekommen ist. Der Maurer soll Mensch sein im höchsten und edelsten Sinne, und wie der Mensch sein, leben und sterben müsse, lehrt am reinsten die Bibel, der Sohn Gottes, wesshalb die Bibel das Buch des Menschen und des Maurers, und Christus ihr unerreichbares Vorbild ist. Auf der Bibel, auf Christus ruht die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der ganzen gebildeten Menschheit, und wer daher ein Mensch sein und mit der Menschheit fortschreiten will, muss biblisch und christlich leben, von dem Geiste der Bibel und des göttlichen Menschensohnes durchdrungen sein. In der Bibel liegt die geistigste heilige Urkunde des menschlichen Geschlechtes vor uns, gleichsam die Quelle, aus welcher die höhere, die wahrhaft menschliche Geschichte, Bildung und Gesittung, Wissenschaft und Kunst entflossen ist, entfliesst und entfliessen wird. Die Bibel ist nicht allein das Buch der Bücher, sondern noch weit mehr das Buch des Lebens. Das Buch der Bücher ist sie, weil mit dem Verständniss und mit der Erklärung dieses einzigen Buches sich die theologischen Wissenschaften aller christlichen Völker und Sprachen in endloser Bücherzahl seit vielen Jahrhunderten beschäftigen und gewiss noch Jahrhunderte beschäftigen werden, wie die gesammte kirchliche Beredtsamkeit aus ihr den Stoff, den Grundgedanken, den Text entlehnt. Zum Buche des Lebens, zur Quelle und Bildnerin des Lebens ist die Bibel durch Christus und durch die von ihm geschaffene Menschheit, die Christenheit geworden. Auch die heiligen Schriften des Zendvolkes, der Chinesen und der Inder und, darunter vorzüglich der Zendavesta sind insoweit weltgeschichtliche Schriften, als das Zendvolk, die Chinesen und die Inder der Weltgeschichte angehören und in dieselbe eingreifen: aber sie stehen an weltgeschichtlicher Bedeu-




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tung und Wirksamkeit doch unendlich hinter der Bibel zurück, indem die Bibel die heilige Schrift der christlich-germanischen, der europäisch-amerikanischen, d. h. derjenigen Menschheit ist, welche diesen hohen Namen allein verdient und der allein die Zukunft der Weltgeschichte übergeben ist, wie sie das weltgeschichtliche Leben und den weltgeschichtlichen Geist der Gegenwart vorherrschend lenkt und bestimmt. Die Bibel mit dem aus ihr hervorgegangenen Koran trägt den Glauben, die Religion der Juden, der Christen und der Muhamedaner; die Geschichte der Juden, der Christen und der Muhamedaner fällt sohin mit der Geschichte der Bibel zusammen, beide sind nur der Fortgang des biblischen Geistes und Lebens, die Ausbreitung des biblischen Lichtes auf der Erde. Die Pfleger und Bewahrer des biblischen Geistes und Lebens bis auf Christus waren die Semiten, die Hebräer, die Juden; seit Christus, welcher den Bibelglauben von allen nationalen Schranken befreite und zum wahren Menschen- und Völkerglauben, zum reinen Glauben der Menschheit erhob, haben die Arier und vor allen die Germanen die Pflege und die Ausbreitung dieses neuen gereinigten und veredelten Glaubens, des Christenthums übernommen. Zur heiligen Aufgabe hat es sich besonders unsere Zeit gemacht, die Bibel, das Christenthum, das wahre Licht dorthin zu bringen, wo noch der Unglaube und der Aberglaube herrschen; stets weiter wird das Reich der Bibel, stets lichtvoller die dunkele Welt, stets menschlicher und christlicher die Menschheit.

Das wahre Licht, das höhere Menschliche, das Göttliche, welches in der Bibel und vorzüglich in der Lehre Christi enthalten ist, besteht in der Lösung der drei grossen Glaubensfragen über das Wesen Gottes, über das Wesen der Menschheit und über das Wesen des Menschen, welche Fragen eine jede Religion zu beantworten hat, und durch deren gelungene oder misslungene Beantwortung sich die Natur und der Werth der verschiedenen Religionen bestimmt und bemisst. Um die Natur des semetisch-arischen, hebräisch-germanischen oder jüdisch-christlichen Gottesbewusstseins zu zeichnen, - um den jetzt in der Weltgeschichte sich verwirklichenden Geist Gottes, den göttlich-




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menschlichen Geist zu erkennen, - um den Ausgang, das Dasein und daß Ziel des germanischen Christenthums, der wahren und reinen Menschheit zu erfassen, muss man sich erinnern, was die Bibel, was Christus über das Wesen Gottes, der Menschheit und des Menschen lehrt.

Der Bibel zufolge gibt es nur Einen Gott, neben dem kein anderer Gott ist und sein darf, und dieser Gott ist die ewige Liebe und Barmherzigkeit, die unendliche Macht, Herrlichkeit und Güte, die reine Wahrheit, Weisheit und Schönheit, - das Licht, das da war, ist und sein wird, - Er, der Erste und auch der Letzte, der Herr der Heerschaaren, der Herr des Himmels und der Erde, der äussern Schöpfung und der Menschheit, - der Belohner des Guten und der Bestrafer des Bösen. Vor diesem Gotte sollen sich alle Kniee beugen und alle Zungen sollen ihm schwören und sagen - "Nur im Herrn ist Gerechtigkeit und Stärke!" - Abraham, Moses und Christus sind bei den Hebräern die drei grossen Gründer, Erhalter und Umbildner des Glaubens an den Einen allmächtigen und allweisen Gott der Liebe. Abraham lebte vor mehr als fünfthalb Jahrtausenden, etwa vor 47 Jahrhunderten, und Jesus ausgenommen hat kein geschichtlicher Mensch weiter und tiefer auf das geistige Leben der Menschheit eingewirkt, als der Gottesfreund Abraham , welcher den menschen- und kindermörderischen Molochsdienst durch das dafür eingeführte Symbol der blosen Beschneidung abschaffte und in seinem mit ihm und seinem Hause aus Mesopotamien und Palästina ausziehenden Stamm den reinen Gottglauben nach den uralten Ueberlieferungen des menschlichen Geschlechts wieder herstellte. Desshalb sagt auch Christus im Evangelium Johannes VIII. 56 von Abraham: "Abraham, euer Vater, hat gefrohlocket, dass er meinen Tag sehen sollte. Und er hat ihn gesehen und sich gefreuet." - Moses schuf den Stamm Abrahams in ein Volk und in einen Staat um, indem er die Hebräer aus der ägyptischen Knechtschaft führte und das abrahamische Gottesbewusstsein, das Gesetz der sittlichen Freiheit als das förmliche Gesetz des neuen Staates aussprach. Von Abraham gehet der Geist, von Moses der Staat der Hebräer aus; das Gesetz aber des mosaischen Staates




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sollte der Geist und Gott Abrahams, Jahveh (Jehovah) sein. Abrahams Weltanschauung bildete einen heiligen Stamm, die des Moses ein grosses freies Volk. Das Volk und der Staat der Hebräer ist wirklich das einzige Volk und der Staat Gottes, da kein anderes Volk und kein anderer Staat des ganzen Alterthums sich in solcher Weise die Erfüllung des Willens Gottes, die Verbreitung des göttlichen Rathes von Recht und Wahrheit auf der Erde zum Staatsgrundsatze gemacht hatte. Es durchweht der Geist Gottes unverkennbar das hebräische Volk und erhebt es aus allen Leiden und Drangsalen. Der Grundgedanke der mosaischen Gesetzgebung war, dass der Mensch Gott über alles und den Nächsten wie sich selbst lieben solle; diese Nächstenliebe sollte alle Menschen, auch die Fremdlinge umfassen.

In der letztern Hinsicht enthält das Deuteronomium X. 18, 19 den schönen Spruch: "Der Herr schaffet Recht den Waisen und den Wittwen und hat die Fremdlinge lieb, dass er ihnen Speise und Kleider gebe. Darum sollet ihr auch die Fremdlinge lieben, denn Fremdlinge seid ihr gewesen in Aegyptenland." - Den Glauben und das Gesetz des einen Gottes, der sittlichen Freiheit und der göttlichen Weltordnung verkündeten nach Moses bei den Hebräern vorzüglich die Propheten oder die Seher und unter ihnen vor allem Jeremias, der Knecht Gottes, der furchtlose Prediger vor dem Volke, vor den Grossen und vor dem Könige selbst, welcher die Brüder lieb hat, und stets betet für das Volk und die heilige Stadt. Das hebräische Volk ist untrennbar mit der Weltgeschichte, mit der heutigen Menschheit dadurch verbunden, dass es jenen Glauben, jenes Gesetz unter allen Stürmen und Verirrungen bewahrt und den Hellenen und Römern und durch sie den Germanen überbracht hat.

Christus, das unvergängliche Vorbild des Menschen, welcher für die Menschheit allein lebte und starb, machte den einzigen Gott der Juden zum einzigen Gotte aller Menschen und Völker, der Menschheit, indem er aus dem jüdischen Glauben alles blos Nationale entfernte und denselben zum rein- und allgemein-menschlichen umgestaltete. Mit Christus stirbt das Judenthum und über seinem Grabe




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blühet das Menschenthum auf. Das wahre Gottesbewusstsein, die wirkliche Erkenntniss Gottes, das Dasein einer höhern Menschheit hebt in Christus mit dem erhabenen Gedanken an, dass es nur Einen Gott gebe und er die ganze Menschheit geschaffen habe und regiere, gleich wie er Himmel und Erde, das Weltall geschaffen hat und regiert. In der Natur- und Geisteswelt herrscht das gleiche ewige Gesetz, die Gottheit; die Natur und die Geisteswelt sind die Schöpfungen des einen grossen Gottes, seine Thaten, die Verherrlichungen und Dichtungen seiner selbst, ein ihn preisender Lobgesang. Die Natur und die Geisteswelt sind das endliche Sein Gottes, das Dasein Gottes in dem Raume und in der Zeit, in Natur und Geschichte; Gott ist das Sein, wie Jehovah wörtlich ausdrückt.

Nach der biblischen Lehre ist auch nur Eine Menschheit, alle Menschen sind Kinder des einen Gottes; die Menschheit ist Eine, denn Gott ist Einer. Diesen Glaubenssatz hatten die Juden gleichfalls nur in dem engen Kreise ihrer Nation gelehrt und angewandt, bis ihn Christus auf alle Völker, auf die Menschheit ausdehnte. Mit Christus beginnt daher auch erst ein gemeinsames Völkerleben, das Menschheitsleben, die christliche Menschheit, welche alle Menschen als Söhne eines Vaters, als Brüder, als gleich und frei anerkennt. Die vorchristliche Zeit unterscheidet sich darin hauptsächlich von der nachchristlichen, dass in jener die einzelnen Völker sich feindlich abstossen und absondern und alle Geschichte nur die Geschichte der einzelnen Völker und Staaten, der Chinesen, der Perser, der Inder, der Aegypter, der Griechen, Römer u. s. w. ist; seit Christus bilden aber alle an ihn glaubenden Völker ein vernünftiges und sittliches Ganzes, eine engverbundene Gesammtheit, die Christenheit, die freie und gebildete Menschheit, - seit drei Jahrhunderten das europäische Staatensystem mit einem eigenen Völker - und Weltrechte. Das Christenthum, weil die Religion der allgemeinen menschlichen Liebe, ist auch die Religion der allgemeinen staatlichen und bürgerlichen Freiheit, der alle Staaten und alle Menschen gleichmässig umschliessenden Menschheit. Die christlichen Staaten allein sind wahrhaft menschliche Staaten, wollen die göttliche Idee der Frei-




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heit und Gleichheit oder der Gerechtigkeit verwirklichen. Nach diesem seinem Wesen hat zugleich das Christenthum den Beruf, die Aufgabe, das Ziel, einmal alle Menschen und alle Völker in sich aufzunehmen, damit die ganze Menschheit wirklich frei und gleich in Liebe verbunden sei. Schon fast tausend Jahre vor Christus ist es die Weissagung der jüdischen Propheten, dass die Religion des Geistes die der Zukunft sei und allgemeines Gut der Menschheit werden solle, denn von Zion wird das Gesetz und des Herrn Wort von Jerusalem ausgehen und sich über den ganzen Erdkreis ausbreiten. Im XXII. Psalm wird gerufen:

"Es werden bedenken und zum Herrn sich bekehren aller Welt Enden,
Und vor Dir anbeten alle Geschlechter der Heiden.
Denn der Herr hat die Herrschaft
Und er regiert die Völker."

Nunmehr kann die Geschichte und die fortschreitende Bildung der Menschheit nicht mehr von dem Christenthum getrennt werden, und die Gegenwart und die Zukunft der christlich gewordenen Zeit nur darin bestehen, im höchsten und vollkommensten Sinn christlich oder eine gleiche und freie Menschheit, Eine Heerde unter Einem Hirten zu werden. Die Menschheit bewegt sich ihrem hohen Ziele zwar sehr langsam und unter vielen Schwankungen und Verirrungen, aber dennoch sicher entgegen, dass ein ununterbrochener Fortgang zum Bessern in dem grossen Leben der Menschheit sich zeigt. Die durch die Menschheit in der Geschichte zu verwirklichende Idee der Menschheit ist erst mit dem Christenthum vollständig gefunden und begriffen worden, und die Geschichte des Christenthums, die Christenheit ist wesentlich und blos die Verwirklichung oder Darstellung dieser Idee in der Menschengeschichte. Die einzelnen Völker gehören einzig insofern der Menschheit an, sind menschliche, weltgeschichtliche Völker, als sie die Idee der Menschheit, das Sittengesetz, die göttliche Weltordnung darstellen und verwirklichen. Die Erkenntniss der Idee der Menschheit in der Geschichte derselben, die Erkenntniss des Geistes und der Gesetze der Geschichte der Menschheit ist die Philosophie der Geschichte




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der Menschheit, welche Leibnitz und Br. Lessing angebahnt, unser grosser Br. Herder in seinen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, welche kein Maurer ungelesen lassen sollte, aber zur Wissenschaft herangebildet hat. Neben Schlegel's und Hegel's Philosophieen der Geschichte der Menschheit und den diessfälligen Schriften von Br. Fichte und von Schelling ist jetzt das beachtenswertheste Werk: Bunsen, Gott in der Geschichte oder der Fortschritt des Glaubens an eine sittliche Weltordnung, 3 Theile, Leipzig 1857 und 1858.

Die so oft aufgeworfene und so verschieden beantwortete Frage, ob die heutige Maurerei christlich sei, und jetzt alle Maurer christlich sein müssen, ist für uns auf unserem Standpunkte entweder gar nicht vorhanden oder zum voraus von selbst erledigt. Die Maurerei sucht das reine Menschenthum, - das göttliche Licht, die sittliche Freiheit und Ordnung in der Menschheit, woraus mit Nothwendigkeit folgt, dass die Maurerei nur dann ihre Bestimmung erreicht habe, wenn sie das je in der Zeit vorhandene wahrhaft Menschliche, das höchste Licht und die reinste Tugend und Sittlichkeit errungen hat. Der Maurer soll auf dem Gipfel der jedesmaligen Menschheit, im Lichte des Lichtes stehen oder der reine, unbefleckte Spiegel seiner Zeit sein. Die Maurerei ist daher jetzt wesentlich und durchaus nur das reine und wahre Christenthum, das ideale Christenthum oder das Christenthum in seiner reinsten und höchsten Idee, der Glaube an den einen Gott und die eine Menschheit, wie sich dieser Glaube aus dem Uranfange der Menschheit entwickelt, am kräftigsten und ungetrübtesten durch eine Fügung Gottes bei den Hebräern forterhalten hat und durch Christus zum Gemeingute aller Menschen umgestaltet und vollendet worden ist. Wollte die Maurerei heute den christlichen Glauben nicht theilen, das Ideal des Christenthums nicht zu erreichen streben, so würde der Christ ein höherer Mensch als der Maurer sein; der Maurer kann vielleicht noch höher stehen, noch menschlicher fühlen und denken als der Christ, ab er mindestens muss der Maurer gleich dem reinen Christen stehen, fühlen und denken. In ihrem geschichtlichen Fortgange durch das christlich-germanische Mittelalter hat die Maurerei an das reine




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Christenthum sich angeschlossen, ist im Geiste der Kuldeer oder Lichtgläubigen christlich geworden, weil Christus aller Welt den Glauben an den einen Gott und an die eine Menschheit verkündete, welcher bis dahin das Geheimniss, das Mysterium der Maurer gewesen. Die Bibel, das Buch des alten und des neuen Bundes, die allmälig entstandenen und gesammelten heiligen Schriften der Hebräer und der Christen sind demnach auch für den Maurer ein grosses Licht, das Buch der Bücher, indem das maurerische Licht, der Glaube an den einen Gott und die eine Menschheit in keinem andern Buche so rein und lebenskräftig niedergelegt ist. In diesem Sinne ist auch nicht die Yorker Constitution vom J. 926, möge sie nun ächt oder unächt sein, sondern die BibeI als die älteste Kunsturkunde der Maurerei zu betrachten und zu behandeln. Wer heute Maurer werden und sein will, kann es nur durch die Bibel, durch einen christlichen Geist und durch ein christliches Leben werden und sein. Indem der Maurerlehrling seinen Verpflichtungseid auf der Bibel, auf dem Evangelium Johannes ablegt, weiht er sich recht eigentlich zum Streiter Christi, zum Degen Gottes, wie Christus selbst genannt wird, dem Dienste Gottes und der Menschheit. Kein Jude, kein Heide ist von der Maurerei ausgeschlossen, alle können zu ihr sich bekennen, sich bekehren; allen Juden, allen Heiden sind die Pforten des maurerischen Tempels, des maurerischen Weltalls geöffnet. Indessen die Juden und Heiden müssen im Geiste, Herzen und Leben Christen werden, wenn sie mit geradem Sinne in den Maurertempel eintreten, wenn sie in Wahrheit Maurer werden und sein wollen. Maurer und doch nicht Christ sein d. h. nicht biblisch oder christlich handeln und denken zu wollen, ist dermalen ein Widerspruch in sich selbst, eine Unmöglichkeit. Das maurerische System, zu welchem eine grössere Anzahl schweizerischer Logen und namentlich die Loge in Zürich gehören, - das System der rectificirten schottischen Maurerei, besitzt darin vor andern maurerischen Systemen einen grossen Vorzug, dass es überall auf den Zusammenhang der Maurerei mit dem Christenthum hinweiset, dass es den besten Christen für den besten Maurer erklärt, dass




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es in Jesus den Gott-Menschen, das Vorbild des Maurers verehrt.

Der einzelne Mensch endlich ist, wie die Bibel lehrt, das Ebenbild Gottes, ist göttlichen Ursprungs; der Mensch ist der Mensch gewordene, der sich in der Menschheit offenbarende, der sich nach der Vorstellung der Alterthums für die Menschheit oder vielmehr zur Menschheit opfernde Gott. Gott opfert sich für die Menschheit, stirbt für die Menschheit, indem er aufhört, der unendliche Gott zu sein, als Mensch aus dem Himmel zur Erde, zur Endlichkeit herabsteigt, um menschlich zu fühlen und zu leiden. Der Mensch gewordene Gott oder Gottesgeist ist der eingeborene Sohn Gottes. In dieser biblischen Vorstellung ist nur die andere Vorstellung verborgen und ausgesprochen, dass aller Geist von der Gottheit stamme, dass des Menschen Geist göttlich, gottähnlich sei, und alle Menschen geistig die Söhne, die Kinder Gottes seien, dass der schaffende Gott die ewige Liebe, der zur That gewordene Gedanke seiner selbst sei. Gott ist die ewige Liebe und die ewige That, weil Gott der ewige Geist oder Gedanke ist und Gott nicht sein kann, ohne sich zu denken d. h. zu lieben und zu schaffen. Der Gedanke des Allmächtigen ist seine That, seine Schöpfung. "Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht worden und ohne dasselbe ist auch nicht Eines geworden, das gemacht worden ist," sagt mit allem Rechte der Evangelist Johannes. Der einfache, uralte asiatische Lichtglaube ist wesentlich der Glaube, dass des Menschen Geist ein Licht, ein Lichtfunken sei, ausgestrahlt von der Sonne Gottes, von dem ewigen Lichte und zu ihm dereinst wieder zurückkehrend. Schon in den indischen Vedas ist dieses in folgendem, ausserordentlich schönem Bilde ausgedrückt: "Man denke sich Millionen grosser Gefässe, alle mit Wasser gefüllt, alle von dem Lichtstrahle der Sonne beschienen; dieses Tagesgestirn vervielfältigt sich gewissermassen und malt sich in einem Augenblicke auf allen diesen Gefässen und zwar in jedem einzelnen ganz und vollständig, jedes stellt das Bild der Sonne dar. Unsere Körper sind




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die Gefässe, die Sonne ist das Bild der Gottheit; das Sonnenbild in jedem einzelnen Gefässe ist die Seele jedes einzelnen menschlichen Leibes, nach dem Bilde Gottes geschaffen, als die göttliche Liebe sich bewogen fand, ihre ewige Herrlichkeit in Wesen, die ausser ihr sind, zu offenbaren." - Ist nun der Menschengeist göttlichen Ursprungs, dann ist die Geschichte desselben, die Geschichte der Menschheit, nur die Geschichte des in der Menschheit sich offenbarenden göttlichen Geistes, des Gott-Menschen, der sittlichen Weltordnung, der göttlichen Weltregierung. Nicht der Zufall, sondern der Geist und das Gesetz Gottes führen die Menschheit und ihre Geschichte zu immer höherer Vollkommenheit, zum endlichen reinen Lichte. Das Ziel alles Endlichen ist das Unendliche; der Mensch und die Menschheit haben vollendet, wenn sie göttlich geworden, wenn sie ganz von dem Worte und von dem Geiste Gottes durchdrungen sind. Alle Pflichten und Gesetze des menschlichen Geistes und Lebens lassen sich in das eine grosse Gesetz zusammenfassen, dass der Mensch in sich den göttlichen Geist, das in ihm liegende göttliche Sittengesetz, das Bewusstsein des Guten und Rechten, das Gewissen zu erkennen und zu stärken habe, dass der Mensch sich von der Erde zu dem Himmel, aus der Finsterniss zu dem Lichte zu erheben habe. Die Weltgeschichte ist nicht allein die Geschichte des Mensch gewordenen Gottes, sondern auch des Gott werdenden, des zu dem Lichte und zu dem Himmel wandernden Menschen. Die Menschheit ist das Reich Gottes auf Erden, welche einstens in das Reich Gottes im Himmel eingehen wird; in dem Reiche Gottes auf Erden und im Himmel soll nur das Licht und die Wahrheit, nur der Geist Gottes herrschen und alles Andere vergehen. Gott soll in den Menschen und der Mensch in Gott sein. Der Bund Gottes mit der Menschheit, der alte und der neue Bund, der Inhalt der Bibel, ist der Zusammenhang des göttlichen Geistes mit dem menschlichen, das Bewusstwerden des Menschen von Gott. So spricht der Herr bei Jeremias - "Ich will mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund machen. Ich will mein Gesetz in ihr Inneres geben und in ihr Herz schreiben, und will ihr Gott, und sie sollen mein Volk




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sein. Und wird Keiner den Andern, noch ein Bruder den andern lehren und sagen: Erkennet den Herrn!, sondern sie sollen mich alle erkennen, klein und gross, spricht der Herr." Dass die Bibel kein ursprüngliches Licht der Maurerei sei und erst später in dieselbe aufgenommen, aber in seiner gerechten Würdigung und Erkenntniss nunmehr zum grössten der drei grossen Lichter gemacht worden sei, versteht sich leicht und folgt mit Nothwendigkeit aus der Geschichte der Maurerei, der Bauleute und ihrer Verbindungen, der Baukunst, welche über Christus und die christlichen Zeiten hinaufreicht. Johannes der Täufer und Christus mit ihren erhabenen und grossen Lehren, die Bibel als das Buch der Bücher und des Lebens sind zwar dermalen und in Folge einer stetigen Fortentwickelung wesentliche und untrennbare Bestandtheile der Maurerei, aber dennoch keine anfängliche, so wenig das Christenthum überhaupt das anfängliche und ursprüngliche Eigenthum der heidnischen Völker und besonders der Germanen war. Erst im Mittelalter ist die Maurerei, sind die Bauleute, ist selbst die Baukunst christlich geworden, weshalb auch alle maurerischen christlichen Symbole erst in und nach dieser Zeit entstanden sein können. Nachdem aber im Verlaufe ihrer Geschichte und der allgemeinen Welt- und Menschengeschichte, unter dem umgestaltenden Einflusse der Zeiten und der Jahrhunderte die Maurerei einmal christlich in dem oben berührten Sinne geworden ist, muss sie es auch wirklich sein und bleiben und stets mehr werden, wenn sie anders in der Gegenwart und Zukunft sein und werden will, was sie nach ihrer innersten Natur, nach ihrem Wesen und nach ihren Zwecken sein soll. Es erscheint uns daher völlig unmaurerisch, ungeschichtlich und dem grossen und wahren Geiste der Gegenwart, der gegenwärtigen eigentlichen Menschheit widersprechend, wenn nach einer Correspondenz in Nr. 26 der Bauhütte von 1860 aus dem Oriente der persische Prinz Mirza Ho Gla im J. 1859 bei seiner Aufnahme in die (englische) Oriental-Lodge seinen Aufnahmseid nicht auf die Bibel, sondern auf den Koran als sein heiliges Buch abgelegt hat. Der aufzunehmende Maurer sollte doch unbedingt seinen Eid auf das heilige der Maurer ablegen, sonst wird er eben kein Maurer,




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sondern ein Muhamedaner oder vielleicht auch dieses nicht einmal, sondern ein sogenannter Toleranter und Humaner ohne allen bestimmten Glauben und ohne alle wahre christliche Menschen- und Bruderliebe. Welch' ein Widerspruch in sich selbst, um keinen härtern Ausdruck zu gebrauchen, würde es auch sein, wollte man Jemanden, welcher in die christliche Kirche aufgenommen zu werden verlangt, auf das heilige Buch der Muhamedaner oder der Chinesen, auf die indischen Veden oder sonst auf ein fremdes heidnisches heiliges Buch beeidigen. Es kann daher der Koran als ein heiliges Buch, als das grösste der drei grossen Lichter in der Oriental-Lodge nur als ein ausserordentlicher Missgriff, als ein kaum zu begreifender Irrthum angesehen werden. Den christlichen Glauben und die christliche Gesinnung muss besitzen, wer sich dem Bunde und Altare der Maurer naht, und nur auf die Bibel, auf das Evangelium des Johannes, obwohl er es nicht sieht, darf und kann er gläubig sein maurerisches Gelübde ablegen; thut er es, dann spricht zu ihm nach dem Gebrauchthume einzelner Logen sehr wahr und schön der Meister vom Stuhl:

"Ja, mein Herr, es ist das Evangelium Johannis. Mein Wort war Ihnen also Bürge der Wahrheit. Meinem, eines Menschen Worte haben Sie Vertrauen geschenkt, um wie viel fester muss Ihr Glaube sein an das Wort desjenigen erhabenen Wesens, das Himmel und Erde erschaffen hat, Ihr Glaube sein an das göttliche Wort, dessen Stimme im Herzen der Menschen spricht; an Gottes Wort, das sich in den Schicksalen der Völker kund gibt, und das in der Bibel, auf welcher Ihre Hand ruht, den Glauben des Menschen leitet und regiert. In diesem Buche steht geschrieben: "Selig sind Die, welche glauben auch da, wo sie nicht sehen." - Glaube und Erkenntniss in treuem Bunde führen zu wahrem Lichte."