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Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer






Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei
mit besonderer Rücksicht auf die Mythologieen und Mysterien des Alterthums
von Dr. Jos. Schauberg, Zürich 1861

B a n d I. - Kapitel XXI.



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Das heilige Wort.

Um die tiefere und eigentliche Bedeutung des heiligen Wortes bei den Maurern zu finden, muss man davon ausgehen, dass die Aufnahme zum Maurerlehrlinge mit der Lichtertheilung an denselben, als ihrem höchsten und innersten Theile, die Lichtschöpfung selbst, - die Schöpfung der Welt, der Sonne und des Mondes und der Sternenheere aus der Frfinsterniss durch das allmächtige Wort Gottes, des Meisters der Meister symbolisch darstellen solle.

Lux ex tenebris,
Ordo ab chao.

Als die Urnacht schwand und das Licht ward, wandelten Sonne, Mond und Sterne ihre ewigen Bahnen, und betete der Mensch Gott als den Schöpfer der Welten und der Menschen an. Gott, der Schöpfer ist daher auch das ewige Licht, das ewige Weltgesetz, - die ewige Harmonie, Ordnung und Weisheit, welche Alles schafft und erhält. Die Welt wurde, indem Gott, der Ewige dachte und sprach, denn ein Schaffen und Werden ist das Denken und das Reden Gottes. Das heilige Wort ist der göttliche Urgedanke und das göttliche Urwort das Wort, der Wörter,




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wodurch von dem Allmächtigen aus der Urfinsterniss im Anfange der Dinge das All geschaffen und geboren wurde, als er sprach und es ward. "Er sprach und es ward," oder: "sie mundus factus est, - sic mundus creatur" und nicht: "sic transit gloria mundi," wie in den logen des rectificirten schottischen Systems gerufen wird, sollte bei der Lichtertheilung an den neuen Lehrling, bei der Lichtwerdung gerufen werden. Der Ruf, welcher die verhüllende Binde fallen und die Finsterniss schwinden heisst, welcher den neu Aufgenommenen aus der langen Finsterniss in die hell leuchtende Loge und Welt vor den symbolischen Altar des Ewigen führt, ist das göttliche Schöpfungswort, das ewige Licht und die Gottheit selbst. Das war die grosse Aufgabe, welche alle Mysterien des Alterthums sich gestellt hatten und die auch aus den Mysterien des Hiram oder der Freimaurer in den deutlichsten Zügen noch hervorleuchtet, den Eingeweihten oder Mysten Gott als den allmächtigen Schöpfer und Geber alles Lebens und jeden Todes, - das Werden und Vergehen alles Irdischen und Geschaffenen mit Gott und dem göttlichen Geiste als dem einzig Unveränderlichen und Beharrlichen im ewigen Wechsel und Tode symbolisch darzustellen und vorüberzuführen, um sie dadurch an den Tod zu erinnern, von dem Irdischen abzuziehen und dem Himmlischen und Ewigen zuzuleiten. Die drei Maurergrade haben für Denjenigen, der ihn zu erfassen vermag, einen unendlich tiefen, die Geburt und das Grab der Welt, der Erde und der Menschen umfassenden Sinn, und bezeichnen nur die Geburt, das Leben und den Tod, - das Werden, Bestehen und Vergehen, - das Werden, Wachsen und Sterben, wie dieses die drei Flammen an dem indischen Feuerrade der Götter und der Dreizack des Civa, der dreifache Phallus des Osiris, der Dreizack des Poseidon, - die Dreifüsse in dem Dienste des Apollo zu Delphi, des Dionysos und des Zeus zu Dodona, - das dreibeinige Pferd der deutschen Todesgöttin Hell und die übrigen dreibeinigen Thiere der deutschen Mythologie 1) bezeichnen. Der so vielfach in den Mythologien der Inder, der Griechen




1) Schwartz, Ursprung der Mythologie, S. 226 ff.



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und der Römer, der Germanen besonders, erscheinende dreigezackte Blitz ist das gleiche Symbol und nicht etwa sollen jene Symbole den dreigezackten Blitz symbolisiren, wie Schwartz, a. a. O., S. 225 meint, denn der Blitz ist ja nicht wirklich dreigezackt, sondern wird nur symbolisirend dreigezackt gedacht und gemacht. Gott schaffend und herrschend in den drei Welten des Werdens, des Lebens und des Todes ist der eigentliche dreifache, dreieinige und einzige Gott des Alterthums; die Göttertriaden .oder Göttertrilogien des Alterthums sind selbst nur ein Symbol und keine drei göttlichen Personen im Sinne und in der Sprache der christlichen Kirche und der christlichen Theologen. Der dreigezackte Blitz und der Dreifuss der Licht- und Sonnengötter 1) und die Göttertrilogien z. B. von Brahma, Vischnu und Civa, - der Mithra der Griechen, 2) - der Meister mit der aufgehenden Sonne und dem untergehenden Monde und die drei Grade der Maurer, - Mithra mit Sonne und Mond, welchen letztern zwei Cypressen zur Seite stehen, auf Mithrasdenkmälern der römischen Zeit, 3) drei Cypressen, eine grössere mit zwei kleinern zur Seite, als Symbole der syrischen Göttin (des Meisters).und der Sonne und des Mondes auf syrischen Denkmälern 4) - Osiris, Isis und Horus, - die Göttin mit dem dreifachen Armbande am linken Arme auf ägyptischen Stelen im Museum des Louvre zu Paris und im britischen Museum, welche Göttin auf einem Löwen steht und auf dem Haupte die Mondsichel trägt, - nach Rougé und Lajard, a. a. O., S. 168, Anm. 2 für die assyrische Venus oder Hâthôr, Athyr, Astarte, Hastoreth zu halten, aber wohl die Isis in der Gestalt der Bubastis, die griechische Artemis und lateinische Diana, die Diva triformis, die dreigestaltige Göttin ist, 5) - die griechische Athena Tritomenis, - der drei Aepfel als die Symbole des durch ihn dreigetheilten Jahres in der linken Hand tragende




1) Preller, grievh. Mythologie, I. S. 182 u. II. S 108
2) Lajard, recherches, p. 274.
3) Lajard, a a. O., S. 273 ff.
4) Lajard, a. a. O., S. 57 vergl. mit Taf. V, Nr. 1 u. Taf. XIV, Nr. 1 und 2.
5) Prichard, ägypt. Mythologie, S. 117 u. 122.



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Sonnengott Herakles, 1) - die Götter und Göttinnen mit drei Häuptern in Indien und Aegypten u. s. w. haben alle dieselbe symbolische Grundbedeutung. Im Bedang-Schaster spricht darüber Brimah oder Brahma sehr trefflich also: "Du, o Narud, wirst gelehrt, die schaffende, erhaltende und verderbende Gewalt der Gottheit als Weltenschöpfer wie drei Götter zu betrachten und alle drei unter verschiedenen Gestalten (d. h. als Brahma, Wischnu und Schiwa) anzubeten. Diese drei sind aber drei Eigenschaften. des Einen, einzigen Gottes und ihre bildlichen Darstellungen sind nur Erinnerungsformen an den Höchsten, der in seiner Liebe die Macht erzeugt hat, die, mit Zeit und Schicksal vereint, die Güte umarmt, und jene Materie in organischer Weise hervorgebracht hat, auf welche die Gottheit unter drei Formen wirkt, die wir als Dreifaltigkeit seines Wesens erkennen, in denen wir aber nur den Einen Einzigen anbeten sollen und dürfen." 2) So ist auch der wahre christliche Gott die absolute Einheit, der , die Gottheit, das indische Brahma, der Urgeist und das Urlicht vor der Zeit und vor dem Raume, - bei den Parsen die ungeschaffene und anfangslose Zeit, das allmächtige Urwesen oder das Alles in sich fassende Ungeschaffene, Zaruana akarana. 3)

Das Jubellied, welches den neu Aufgenommenen unmittelbar nach der Lichtertheilung und im Augenblicke der fallenden Binde gewöhnlich begrüsst, darf verglichen werden der Harmonie des Kosmos und der Welten, dem pythagoräischen harmonischen Gesange der Sphären, welchen Gott und der Schöpfer in dem Weltall sich selber singet und der ertönet, sobald der Tag anbricht, sobald es Licht wird, sobald Gott denkt und spricht und Sonne, Mond und Sterne ihre Bahnen wandeln heisst. Das heilige Wort ist auch der ewige Morgen- und Lobgesang, das Hallejuha (lobet den Herrn) der Welten auf Gott und




1) Movers, die Phönicier, I. S. 184 u. 400 ff.
2) Müller, Glauben, Wissen und Kunst der alten Hindus, I. Bd. Mainz 1822, S. 189.
3) Kruger, Gesch. der Assyrier und Iranier, S. 413.; Röth, Gesch. unserer abendländischen Philosophie, I. S. 392ff.; Creuzer, Symbolik, I. S. 697 ff.



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den Schöpfer. Im Anfange war der Geist, das Wort und die That und der Geist, das Wort und die That waren bei Gott, waren Gott; das heilige Wort ist der Schöpfer und die Schöpfung, der in der Schöpfung sich verkündende und offenbarende Gott, der mit dem Vater durch den Geist eine oder vereinte Sohn, der ewige Logos und der menschgewordene Sohn Gottes, die Ewigkeit in der Zeit, der Unendliche in Zeit und Raum, Gott in den Welten und in den Menschen, die einzige Offenbarung Gottes.

Das heilige Wort, das grosse Schöpfungswort ist nur das Symbol und der Name Gottes als des allmächtigen und ewigen Baumeisters der Welt, indem Gottes Gedanke und Wort die Welt bauet, bildet, webet, ordnet und regiert. Die Vorstellung von der Schöpfung der Welt durch den Gedanken und das Wort Gottes aus dem Nichts, aus der Urfinsterniss ist wesentlich zarathustrisch und aus dem babylonisch-assyrischen Glauben von den Juden in ihre heiligen Schriften aufgenommen worden. 1) Dieselbe Vorstellung von der Schöpfung, der gleiche Gottesbegriff ist Jedem erkennbar auch in der Maurerei enthalten und diese Vorstellung und dieser Begriff beweisen überzeugender und unwiderleglicher als alles Andere, dass die Maurerei zunächst und zuletzt aus den römischen maurerischen Mithrasmysterien hervorgegangen sei. - Hirams Sterben und Wiederauferstehen, - die Akazie als Baum des ewigen Lebens, - der zerfallene und wiederaufzurichtende salomonische Tempel, - der von Hiram erbauete salomonische Tempel mit den beiden von ihm gegossenen Säulen Jakin und Boaz vor demselben, - die heiligen Worte Jehovah, Jakin, Boaz und Hiram, - der Hammer, das Winkelmass und die Hand, - Sonne, Mond und der Meister, - die heiligen Zahlen 3, 5, 7, 9 u. 12, - die weisse blauumrandete Maurerschürze, das Schwert und die dunkele Meisterloge u. s. w. stehen in den innigsten und überraschendsten Beziehungen zu einander, bilden ein harmonisches Glaubensgebäude und gehören dem gleichen Vorstellungskreise von Gott und seiner Schöpfung und von der Bestimmung und dem Schicksale des Menschen im Leben und Sterben an. Dieser einst




1) Braun, Geschichte der Kunst, I. S. 305 ff.



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lebendige Vorstellungskreis ist nun erblasst und getrübt, ja in seiner ursprünglichen Geistalt in den Religionen und Mysterien des Alterthums untergegangen und nur die Schaale und die Worte, die Gebräuche und Symbole sind theilweise übrig geblieben, welche Ueberreste daher heute so lose verbunden und selbst gleichgültig und willkürlich erscheinen, obwohl sie dieses durchaus nicht sind.

Das heilige Wort, das Schöpfungs- und Gesetzeswort, Honover von den Parsen genannt, 1) wird bei ihnen geradezu als der ewig beseelende, allwirksame und ewig streitbare Licht-Lebensgeist, als die ewige Gottheit und der ewige Schöpfer und Erhalter selbst personificirt. Creuzer setzt als bekannt voraus, dass diese Personification des Wortes auch in die heiligen Schriften der Hebräer und der Christen, wenigstens in das Evangelium Johannis übergegangen sei. So sind auch die heiligen Worte der Maurer durchaus nur der Name Gottes, wie Jehovah und Hiram, oder Bezeichnungen Gottes in seiner Unwandelbarkeit und Wandelbarkeit, Unveränderlichkeit und Veränderlichkeit, als Schöpfer des (zeitlichen und ewigen) Lebens und des Todes, wie Jakin und Boaz. Den Worten Jakin und Boaz als Bezeichnungen bloser göttlicher Eigenschaften können sogar Jehovah und Hiram gleichgestellt werden, indem auch Jehovah nur den Ewigen, - Den, der da war, da ist und da sein wird, und Hiram den allmächtigen Baumeister und Bildner der Gottheit und der Menschheit bezeichnet, wie zuletzt alle Benennungen oder Namen der Götter nur von den denselben zugeschriebenen Eigenschaften entlehnt und abgeleitet sind. Hiram wegen seiner Beziehungen zum Tode war gewiss auch Todtenrichter, wie Osiris es war und Christus es ist; der für die Menschheit leidende und sterbende Gott, der erste sterbende Gott-Mensch wird auch zum Ersten im Todtenreiche, zum Richter der nach ihm in dem Reiche der Todten ankommenden Verstorbenen. Es wäre eine unbegreifliche Lücke in dem alten Glauben der heidnischen Maurer, wenn sie keinen Todtenrichter gehabt hätten, und ohne Zweifel war dieser Todtenrichter bei den römischen Bauleuten der




1) Creuzer, Symbolik, I. S. 725; Spiegel, Avesta, I. S. 13.



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Sonnengott 1) Mithra-Hiram: allein dieser Todtenrichter trat zurück und verschwand zuletzt gänzlich, nachdem mit der Einführung des Christenthums Christus zum Todtenrichter geworden war. Christus das Todtenrichteramt übernommen hatte, welches er nach der parsisch-jüdisch-christlichen Lehre 2) am Tage des letzten Gerichtes nach der Wiederauferweckung und Wiederauferstehung aller Todten ausüben wird. Mit dem Sonnengotte Mithra-Hiram als Todtenrichter würde auch der indische Todtenrichter Jama., 3) der iranische Jima übereinstimmen. Der indische Jama, d. i. der Bezähmer, war ein Sohn Vivasvats , d. h. der Sonne, und sein Bruder, eine andere Form seiner selbst oder der Thätigkeit der Sonne, war Manu als erster Gesetzgeber und Begründer des geordneten Lebens und als Stammvater aller indischen Königsgeschlechter; das Todtenrichteramt fiel dem Sohne der Sonne oder der Sonne selbst, dem Jama-Mithra-Hiram zu, weil von der Sonne es heisst, sie überschaue und durchschaue alle Welten, sie sei Zeuge der Handlungen der Menschen. Die Sonne ist Ordner auf Erden (als Manu) und im Todtenreiche (als Jama); die Sonne ist der Urmensch und der Richter der von ihr abstammenden Menschen, ihrer Kinder und Geschöpfe. Bei den Parsen wird nun das Schöpfungs- und Lebenswort auch zum Menschen, Hom im Parsi, heamo oder haomo im Zend, Homanes bei den Griechen, welcher dem Zendvolke zuerst in dem Worte oder blos mündlich die Anbetung der Natur und aller lebenden Naturwesen verkündet haben soll; diese einfache und wirkliche Naturreligion steigerte sodann Zarathustra durch das geschriebene Wort, durch die heilige Schrift, mânthrô çpñnto, d. i. die heilige Rede, die Sprache des Manthra, die himmlische Sprache, den Text (Avesta) oder das Gesetz (dîn) 4) zur Anbetung des allbeseelenden und allerleuchtenden, des




1) Vergl. über die Natur des Mithra als Sonnengottes auch Spiegel, Avesta, I. S. 274.
2) Spiegel, Avesta, I. S. 35 ff. vergl. mit S. 15 u. S. 32 ff.
3) Vergl, darüber Lassen, indische Alterthumsk., I. S. 517 ff.; Wollheim; Mythologie des alten Indien, S. 105 ff.; Spiegel, Avesta, I. S. 7.
4) Spiegel, Avesta. I. S. 45.



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ewigen Geistes. 1) Hiermit eröffnet sich ein sehr weiter und tiefer Anschauungskreis für die Bedeutung des heiligen Wortes. Das heilige Wort, der göttliche Geist und Gedanke, der ewige Logos, steigt zur Menschheit herab, wird als Mensch geboren, um sich selbst in Wort und Schrift zu verkünden und zu offenbaren. Es ist dieses nur der mythische oder mythologische Ausdruck des Glaubens, dass der menschliche Geist aus dem göttlichen stamme und in der Menschheit und in ihrer Geschichte die Gottheit zeitlich und räumlich sei und sich offenbare. Das parsische menschgeborne göttliche Wort hom oder Homanes ist der Christus Johannes des Evangelisten, welcher auch das Wort und den Geist Gottes mündlich verkündigte, lehrte und predigte. Dass nach der parsischen Lehre das heilige Wort zuerst mündlich und weniger vollkommen durch Hom und dann schriftlich und vollkommener durch Zarathustra verkündet wurde, enthält die Andeutung der einfachen geschichtlichen Thatsache, dass alle Religionslehre, jede göttliche Offenbarung in der Menschheit und durch dieselbe zuerst nur durch das Wort, durch die Tradition fortgetragen und erst später nach dem Aufkommen der Schrift aufgezeichnet worden sei. Mit den heiligen Schriften, mit der Niederschreibung des Wortes Gottes, d. h. Dessen, was der Mensch als solches in sich zu vernehmen glaubt, schliesst gleichsam die religiöse Entwickelung, der bis dahin freie Gottglaube ab, weil nun diesem die Schrift der geschriebene Buchstabe, das gegebene göttliche Gesetz, die 10 Tafeln überall hemmend und bannend entgegentreten und die Schrift nur noch ausgelegt, erläutert und commentirt werden kann und darf, wie wir dieses auf eine höchst belehrende und merkwürdige Weise bei dem Zendvolke an dem Avesta, bei den brahmanischen Indern an den Veden und bei den Buddhisten an ihrem Gesetze (dharma), am allermeisten aber bei den Christen bezüglich der Bibel ersehen können. So lange das geschriebene Religionsgesetz besteht und gilt, bestehen alle religiösen Bewegungen und Fortschritte blos in den




1) Rhode, die heilige Sage des Zendvolkes, S. 114. ff. vergl. mit S. 131; Röth, a. a. O., I. S. 422.



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Streitigkeiten, Secten und Partheien über das verschiedene Verständniss, die verschiedene Auslegung und Anwendung der Schrift, des geschriebenen oder auch gedruckten Buchstabens, und über Worte können blutige und vernichtende Religionskriege entstehen, so dass die sogenannten heiligen Schriften für die Menschheit und für die Völker oft auch sehr verderbliche, wahrhafte Fesseln und Geisseln sind. Haug, Zendstudien oder über die Namen Avesta, Zend und Pazend, in der Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft, Bd. IX, S. 694, erklärt Avesta, Zend und Pazend für die Namen von heiligen Schriften, die die Sage auf Zoroaster zurückführt; Avesta sei das unmittelbare höhere Wissen, die . göttliche Offenbarung, die unmittelbar von Ormuzd stammende Lehre, - Zend eine Auslegung dieser heiligen Lehre und Pazend eine weitere Auslegung dieser Lehre, oder im eigentlichen Sinne die Auslegung der Auslegung. Nach Spiegel, Avesta, I. S. 45, heisst Avesta, oder in älterer Form Apestâk, der Text, nämlich der Text der heiligen Schriften, welche in 21 Theile nach den 21 Worten des heiligsten Gebetes der Parsen, des Yathâ. ahû. vairyô zerfallen. 1) Das Avesta, wovon bis jetzt in der deutschen Uebersetzung von Spiegel zwei Bände erschienen sind und wovon Haug die Gâthâs des Zarathustra, Leipzig 1858, übersetzt hat, sind ursprünglich in der baktrischen Sprache geschrieben, denn eine sogenannte Zendsprache gibt es nicht. Die Uebersetzungen des Avesta von Anquetil du Perron, so gross und unsterblich auch immerhin die Verdienste desselben um das Wiederaufsuchen und Wiederauffinden der Ueberreste der alten baktrischen Literatur bleiben, sind nach dem übereinstimmenden Urtheile der neueren baktrischen Sprachforscher unvollkommen und sehr ungenau, wie dieses nach dem Standpunkte der Sprachforschung zur Zeit des Erscheinens der französischen Uebersetzung von Anquetil (Paris 1771. in 3 Bdn. 4°.) gar nicht anders sein konnte. 2) Spiegel übersetzt mit steter Rücksicht auf die Tradition




1) Spiegel, Avesta, I. S. 286.
2) Vergleiche Spiegel in der Zeitschrift d. m. G., Bd. I.



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d. h. die Huzvâreschübersetzung. 1) Die Uebersetzung von Kleuker (Riga 1776 - 78, 3 Thle.) leidet natürlich an den Mängeln des übersetzten Anquetil du Perron. 2)

Mit der Menschwerdung des göttlichen Geistes und Wortes , mit dem Leiden und Sterben des Gottmenschen, des erdgebornen Sonnengottes, erhielt das heilige Wort zugleich die Bedeutung der Geschichte des Leidens und Sterbens des Gottmenschen, des Sonnengottes, und wie das heilige Wort als der Name Gottes den Einzuweihenden und Eingeweihten mitgetheilt wurde, so wurde ihnen auch die heilige Geschichte, Mythe und Legende von dem Leiden und Sterben des Gottmenschen, des Gottes bei der Aufnahme oder noch nach derselben theils dargestellt, theils vorgetragen oder erzählt. Diese heilige Geschichte oder Sage ist bei den Maurern vorzüglich die Hirammythe, woran aber auch manche andere Mythen besonders über die Tempelbauten zu Jerusalem, über die babylonische Gefangenschaft der Juden u., s. w. in den höhern Graden, zumal der französischen Logen, sich reihen. Die Hirammythe ist also ein ganz wesentlicher Bestandtheil der maurerischen Meisterweihe und durchaus alterthümlichen Ursprungs, leider aber bisher wenig oder gar nicht verstanden; die Hirammythe und die maurerischen heiligen Worte oder Gottesnamen schliessen sich innig an einander an, bilden ein untrennbares Ganze und sind das eigentliche alte und jetzige maurerische Mysterium. Auch in den Mysterien der Alten und besonders in dem pythagoräischen Bunde oder in den orphischen Weihen wurde eine solche heilige Sage, ein episches Gedicht von 24 Gesängen mit den orphischen Grundlehren vorgetragen, welches von Pythagoras selbst verfasst sein soll und worüber Röth, Geschichte unserer abendländischen Philosophie, II. S. 609 ff., neuerlich am ausführlichsten und besten verhandelt hat. Röth bemerkt über den dogmatischen Inhalt der orphischen heiligen Sage, a. a. O. S. 629, dass sie den ge-




1)Vergleiche Spiegel, Avesta I. S. 18 ff., S 45 ff. und S. 277 ff.; II. Vorrede S. VIII ff.
2) Vergl. über dessen Leistungen auch noch Ahrens, juristische Encyklopädie, S. 210, 211 Anm.



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sammten religiösen Ideenkreis umfasst und den Namen einer Theologie (Götterlehre), Theomythie (Göttersage) und Theogonie (Götterentstehungslehre) mit vollem Rechte verdient habe; sie sei eine förmliche Dogmatik gewesen. An diesen ausführlichen dogmatischen Theil schloss sich aber auch als eine Art von Prolog oder Epilog noch ein moralischer an, die sogenannten Diatheken oder Lebensregeln, die sogenannten goldenen Regeln des Pythagoras in Form einer Anrede an die Schüler, an die Esoteriker. Nach Röth, a. a. O., Il. S. 734 ff., lauteten diese Lebensregeln:

"Jünglinge, horcht ehrfürchtig und still auf Alles. Ich will jetzt
Zu den Geweiheten reden. Profanen schliesset die Thüren,
Allen zumal. Du Sprössling des leuchtenden Monds und der Musen
Sohn, Du höre. Denn Wahres verkünd' ich, damit nicht des Busens
Früher gehegter Wahn Dein liebes Leben verblende.
Trachte nach göttlicher Einsicht vielmehr, sie fass' in das Auge,
Lenke nach ihr das verständige Herz und wandel' auf ihrem
Pfad recht, einzig den Blick auf den Herrscher des Weltalls gerichtet,
Einer Er, sein selbst Grund. Von dem Einen stammt alles Geschaffne,
Darin tritt Er hervor; denn Ihn selbst ist der Sterblichen Keiner
Anzuschauen im Stande, obgleich sie Sämmtliche Er schaut.
Er ist's, der aus Gutem den Sterblichen Uebles verhänget:
Schauder erregenden Krieg und beweinenswürdige Trübsal;
Auch ist kein Anderer ja noch ausser dem grossen Beherrscher.
Aber Ihn kann ich nicht schau'n; denn in Dunkel ist er gehüllet,
Und wir Sterblichen haben nur blöde sterbliche Augen,
Zu schwach Ihn zu erblicken, den Gott, der Alles regieret.
Denn auf das eh'rne Gewölbe des Himmels hat er errichtet
Seinen goldenen Thron, die Erde liegt ihm zu Füssen,
Und bis fern zu den Grenzen des Oceans hält er die Rechte
Allhin ausgestreckt; vor ihr erbeben die hohen
Berg' und die Ström' und die Tiefen des bläulichen dunkelen Meeres.
O Du Herrscher des Meers und des Landes, des Aethers und Abgrunds,

Der Du den festen Olymp mit Deinem Donner erschütterst,
Du, vor welchem die Geister erschauern, die Götter erzittern,
Dem die Geschicke gehorchen, so unerweichlich sie sonst sind,
Ewiger Vater der Mutter Natur, dess' Wille sich Alles
Beugt, der die Winde bewegt, den Himmel mit Wolken verhüllet,
Dess Blitzstrahlen der Aether sich theilt, - Dein ist der Gestirne
Ordnung, sie laufen nach Deinen unwandelbaren Geheissen,




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Dein ist der junge Lenz, der von purpurnen Blumen erglänzet,
Dein ist des Winters Sturm, der Schneegestöber heranführt,
Dein ist der bachisch jubelnde Herbst, der Früchte vertheilet,
Ew'ges unsterbliches Wesen, nennbar Unsterblichen einzig,
Komm, mit dem mächtigen Schicksal vereint, o erhabenste Gottheit,
Furchtbar und unbezwinglich und ewig, in Aether gehüllt, und
Gnad' uns, gepriesene Zahl, die Du Götter und Menschen erzeuget,
Heil'ge Vierfaltigkeit du, die der ewig strömenden Schöpfung
Wurzel enthält und Quell! Denn es gellet die heilige Urzahl (die Vierfältigkeit, die Urgottheit)
Aus von der Einheit (des Urgeistes) Tiefen, der unvermischten, bis dass sie
Kommt zu der heiligen Vier (dem unendlichen Raume), die gebiehrt dann die Mutter des Alls (die Weltkugel), die
Alles aufnehmende, Alles umgränzende, erstgebor'ne
Nie ablenkende, nimmer ermüdende, heilige Zehn, die
Schlüsselhalt'rin des Alls, die der Urzahl (der Urgottheit) gleichst
in Allem.

Aber Du, säume nicht zögernd, du Sterblicher, wechselnd gesinnter,
Sondern zur Umkehr lenkend mach' huldvoll - geneigt Dir die Gottheit.
Ehre zuerst die Unsterblichen Götter, so wie es die Sitte
Lehrt; hoch halte den Eid, und dann die erlauchten Heroen.
Leist' auch die bräuchlichen Pflichten den unterird'schen Dämonen.
Ehre die Eltern sodann, und die Dir am nächsten verwandt sind,
Und von den Andern erwähle zum Freund, wer an Tugend hervorragt.
Werde dem Freund nicht Feind um kleine Fehler, so lange Du
Irgend nur kannst; wohnt Können und Müssen doch nah bei einander.
Diess nun halte Du so.
Zu beherrschen gewöhne Dich aber
Dieses: vor allem den Bauch, dann den Schlaf und die Wollust, und dann den
Zorn. Unsittliches sollst Du mit Andern weder verüben,
Noch auch allein; denn es ziemt Dir am meisten Scham vor Dir selber.

Ferner Gerechtigkeit lern' in Werken und Worten zu üben,
Und bei Nichts Dich im Leben mit Unvernunft zu betragen.
Sondern erwäge, dass blos der Tod uns Allen gewiss ist,
Dass man den ird'schen Besitz bald aber gewinnt, bald verlieret.
Drum, was des Himmels Geschick an Schmerzen den Sterblichen bringet,
Wenn Du Dein Theil empfängst, so trag' es und murre nicht, sondern




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Suche zu heilen. so viel Du vermagst und denke, dass dessen
Doch nicht allzuviel aufbürdet das Schicksal den Guten.
Vielerlei ist das Gerede, bald gut und bald schlecht, das die Menschen
Trifft; darum lasse Du's weder Dich jemals erschrecken, noch jemals
Gar am Handeln verhindern; und saget man Lügen, so trag's mit
Gleichmuth.

Was ich Dir aber jetzt sage, das thue vor Allem:
Niemand mit Wort und mit That bewege Dich je, dass Du Etwas
Thust oder sagst, was Du selber nicht als das Bessere billigst.
Vor der That überlege, damit es nichts Thörichtes werde,
Sondern Du nur vollführst, was nicht nachher Dich gereu'n wird.
Tröpfe nur sagen und thun, was Unvernunft für einen Mann ist.
Was Du nicht recht verstehst, unternimm nicht , sondern wo's Noth ist,
Lass Dich belehren. So wird das Leben Dir heiter und leicht sein.
Auch die Gesundheit des Körpers ist werth, dass Du nicht sie missachtest,
Sondern in Speis' und Trank und in leiblichen Uebungen halte
Mass; und das richtige Mass heiss ich, was nie Dich erschöpfet.
Sauberkeit - liebend auch sei, doch fern von Ueppigkeit, Deine
Lebensweise; vermeide dabei, was Neid Dir erreget,
Keinen unpassenden Aufwand, wie Der, dem fein'rer Geschmack fehlt!
Sei aber auch nicht knickrig. Denn Mass ist in Allem das Beste.
Handle nur so, dass Du selbst nicht Dir schadest, und denke zuvor nach.
Niemals lasse den Schlaf auf die zarten Augen Dir sinken,
Eh' von den Werken des Tages dreimal Du jedes gemustert.
Wo ward gefehlt? Was gethan? Ward keine Pflicht unterlassen?
So anfangend vom Ersten geh' Alles durch, und wofern Du
Schlechtes gethan, so erschrick! Wenn aber Gutes, so freu' Dich!
Dem weih' Müh, dem Sorgfalt und Fleiss, dess pflege mit Liebe!
Diess ist's, was auf die Fährte der göttlichen Tugend Dich bringt, bei
Dem, der unserem Geist die Vierfaltigkeit lehrte, den Quell der
Ewig strömenden Schöpfung! Geh nur getrost an das Werk, und
Bitte zu End es zu führen die Götter.

Wenn diess Du erlangst, so
Wird der unsterblichen Götter und sterblichen Menschen Verbindung
Klar Dir, wie sie durch Jedes hindurch geht und Jedes beherrscht; doch
Klar auch, dass nach Gebühr, die Natur in Allem sich gleich bleibt,
So dass Du Nichts Unmögliches hoffst, und von Nichts überrascht wirst;
Klar, dass die Menschen auch leiden an selbst verschuldeten Uebeln.
0 die Unsel'gen! sie hören und seh'n Nichts vom nahegelegenen
Guten, und auch die Erlösung vom Uebel erkennen nur Wen'ge.
So verblendet den Sinn die Thorheit ihnen. Vom Wirbel
Lassen sie unvermerkt sich in Leid fortreissen, weit nicht sie
Ahnen, dass schlimmes Gefolge, das schadende Unheil, sich ihnen




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Anhängt, das man nicht locken, nein flieh'n muss, indem man ihm ausweicht. Vater Zeus, o wie vielfachen Weh enthübest Da Alle, Wenn Du nur Jeglichem zeigtest, was für ein Dämon ihm nachfolgt. Aber nur Muth, da göttlichen Stammes die Sterblichen sind, und Ihre geweihte Natur sie, bevorzugt, Jegliches selbst lehrt! Ward Dir dieses nicht versagt, so erlangst Du auch, wie ich ermahne, Dass Du die Seele Dir heilend von diesen Leiden errettest. Meide die Anfänge nur, von dem was ich sagte, zur Läuterung Und zur Erlösung des Geist's streng-prüfend; erwäge nur Jedes, Und erwähl' die Vernunft zum höchsten und obersten Lenker. Wenn Du den Leib dann verlassend zum freien Aether emporsteigst, Wirst Da unsterblich sein, ein seliger Gott, und kein Mensch mehr."

Auch Wedekind, der pythagoräische Orden, Leipzig 1820, S. 60 ff., hat eine Uebersetzung des goldenen Gedichtes gegeben. Uebrigens sind selbst wohl diese Lebensregeln nicht vollständig, wenn gleich weniger lückenhaft als die übrigen Theile des orphischen Gedichtes uns erhalten.

Endlich wurde der göttliche Geist und die göttliche Kraft von den Parsen zu dem Baume (Hom) des ewigen Lebens und Segens umgestaltet und symbolisirt, welcher Lebensbaum den Unsterblichkeitstrank Haoma, den indischen Saoma, Soma lieferte, welcher Trank bei jedem Opfer von dem Priester getrunken wurde, 1) wie auch ein Stück von diesem Hombaume bei jedem Opfer wesentlich war. Der Haoma wird bei den Parsen sowohl als Genius wie als ein Trank gedacht, allgemein gilt er für das Prinzip, welches das Leben erhält, bei der Auferstehung ist es nur durch ihn möglich, die Unsterblichkeit der Körper zu bewerkstelligen. Der eigentliche Haoma, wie er beim Opfer gebraucht wird, ist gelb und wird häufig wegen seiner goldgelben Farbe gepriesen. Er wächst "auf den Höhen der Berge und ist auch von Plutarch gekannt. Nach Anquetil wächst er auf den Gebirgen von Gilân, Sehirvân und Mazenderân, auch in der Umgegend von Yazd. Von Zeit zu Zeit schicken die indischen Parsen einen Priester nach Kirmân, um dort heilige Haomazweige zu holen. Der parsische Hombaum ist die maurerische Akazie und daher auch Hiram, Jehovah, dessen Attribut




1) Spiegel, Avesta II. Einleitung S. LXXII.



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und Symbol die Akazie ist, der Verleiher alles Lebens und Segens. Die zwölf Schaubrote in dem salomonischen Tempel waren dasselbe Symbol des göttlichen Lebens- und Segensspenders. 1)

Das heilige Wort in seiner Erweiterung wird sodann zunächst zum heiligen und heiligsten Gebete, wie gerade bei den Parsen dieses wieder der Fall ist. 2) Das heiligste Gebet der Parsen yathâ ahû vairyô (Honover) zählte drei Mal 7 oder 21 Worte, welche in der Entwicklungsgeschichte des Parsismus eine grosse und wichtige Rolle spielen. Diesem heiligsten Gebete der Parsen darf das christliche Vaterunser und Avemaria verglichen werden. Das heiligste Gebet, das heilige Wort schlechthin ist aber bei allen Völkern des Alterthums der heilige Name Gottes selbst. Göthe sagt:

Im Innern ist ein Universum auch;
Daher der Völker löblicher Gebrauch,
Dass Jeglicher das Beste, was er kennt,
Er Gott, ja seinen Gott benennt,
Ihm Himmel und Erden übergibt,
Ihn fürchtet, und wo möglich liebt.

Bei den Indern ist der mysteriöse und unaussprechliche Namen der Gottheit Om, ein dreilautiges Wort, littera trina und contrahirt aus den drei Buchstaben A, U und M, welche die indische Trimurti oder den indischen dreieinigen Gott Brahma, Wischnu und Schiwa bezeichnen. In dem Worte Om sind, um die Einheit des dreieinigen Gottes anzudeuten, die drei Buchstaben A, U und ein Nasenlaut in Ein Wort verschlungen, da A und U hier in ein nasales 0 zusammenfliessen. Die Bhagavad-Gítá singt:

"Wer Om! so sagend, eintönig die Gottheit nennt, gedenkend mein,
Und dann den Körper lässt scheidend, der wandelt hin den höchsten Pfad."

In den altpersischen Sprachen wird die Gottheit ava genannt und das indische ôm ist zusammengezogen aus avam, wie aom im Baktrischen aus avem. Mit dem indischen Om




1) Alpina für 1859, S. 124.
2) Spiegel, Avesta I. S. 13; Haug, die Gâthâs, S. 37.



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ist auch das ägyptische On zu vergleichen, welches der Name der Sonnenstadt, Heliopolis ist und wohl Nichts als die Glänzende, die Scheinende, den Glanz des Helios ausdrückt. Das semitische ist eine ähnliche littera trina und durfte von den Juden auch nicht ausgesprochen und mitgetheilt werden, wie Om von den Indern, und Jakin und Boaz von den Maurern. , Jehovah bezeichnet Den, der da ist, der da war und da sein wird. Je bedeutet die Gegenwart, Ho die Vergangenheit und Vah die Zukunft und Jehovah ist somit der durch alle Zeiten unwandelbare, der ewige (Gott). In den sogenannten semitischen Sprachen, d. h. im Hebräischen und Arabischen, nebst den verwandten Dialekten, sind überhaupt der Regel oder dem Grundsatze nach alle Wurzeln dreisylbig, indem jeder von den drei Buchstaben, aus welchen die Wurzel regelmässig besteht, auch für eine Sylbe zählt oder als solche ausgesprochen wird. Auch Jehovah ist nur ein solches, dreibuchstabiges oder dreisylbiges Wurzelwort. Nach Fr. Schlegel, Philosophie der Geschichte, I. S. 212, lässt sich wohl gar nicht bezweifeln, dass dieses Prinzip der dreisylbigen Wurzeln, absichtlich in die ganze Sprache, und die innerste Struktur derselben hineingebildet ist, und vielleicht nicht ohne Rücksicht auf eine gewisse in dieser Dreifachheit der Wurzeln gesuchte, oder wenigstens in der Ahnung des Gefühls sich darin ausdrückende Bedeutsamkeit. Mit dem semitischen Jehovah als Dem, der da ist, der da war und da sein wird, stimmt auch die berühmte Inschrift auf der Pyramide der lsis in Aegpten überein: "Ich bin Alles, was da war, ist und sein wird, und meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gehoben." - JAO wird auch als Gott der Chaldäer angeführt, und wirklich glaubt Rawlinson in den Keilinschriften den Feuergott JAH oder JAO gefunden zu haben. Ausserdem finden sich viele Spuren eines alten Gottesmannes JAU, welche griechische Schreibung auf JAHU führt , d. h. JAH mit der uralten nennwörtlichen Endung U. Jahu, Jau ist zusammengezogen aus Jahav von Jahaveh. 1) Alle diese Gottesnamen berechtigen zu dem Ausspruche, dass den Söhnen Noah's, den Japhetiten,




1) Bunsen, Aegyptens Stelle, V. S. 272 und Anm. 27.



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den Semiten und den Chamiten, also der ganzen ältesten Menschheit der Glaube an den dreieinigen Gott als Schöpfer, Erhalter und Zerstörer oder der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft gemeinsam gewesen sei.

Das heilige Wort erweitert sich allmälig und zuletzt zur heiligen Sprache und zur heiligen Schrift oder vielmehr zu einem heiligen Buche, indem die Ursprache und Urschrift die ersten schriftlichen Aufzeichnungen als heiliges Denkmal verehrt und bewahrt werden und zwar durch den Priesterstand, weil die Priester in der Urwelt die einzigen Pfleger und Träger des Wissens und der Bildung, die einzig Wissenden und Gebildeten sind.

Aufgezeichnet oder in das heilige Buch aufgenommen zu werden pflegt nicht allein die religiöse und staatliche Gesetzgebung, sondern auch das gesammte Wissen und der Glauben über Gott, die Welt und den Menschen, so dass das heilige Buch wesentlich das Buch des Gesetzes und des Wissens, das Buch der Bücher ist. Unterrichtet werden, heisst demnach in der alten Welt, das heilige Wort, die heilige Sprache und die heilige Schrift erlernen und erhalten, und dieses Erlernen und Erhalten ist die eigentliche Einweihung in die Mysterien, in das Priesterwissen des Alterthums. Auch der eingeweihte Maurer ist blos derjenige, welcher der Maurer heiliges Wort, Sprache und Schrift besitzt.

Das älteste unter den heiligsten Büchern der Chinesen heisst Yking, was so viel ist als das Buch der Einheit, oder, wie Andere es erklären, das Buch von den Umwandlungen. Es war in diesem Buche symbolisch die Lehre von der absoluten Einheit aller Dinge und von allen aus dieser Einheit erst hervorgehenden Differenzen und Gegensätzen, die Lehre von der Einheit und Zweiheit, von dem Positiven und Negativen vorgetragen. Der Grundtext dieses alten heiligen Buches lautet nach Remusat's wörtlicher Uebersetzung: "Das grosse Urprinzip hat die zwei Gleichungen und Grundverschiedenheiten des Daseins erzeugt und hervorgebracht; die zwei Grundregeln oder Gegensätze aber, nämlich Yn und Yang, oder Ruhe und Bewegung (das Ja und das Nein, wie man es auch nennen könnte) haben die vier Bilder oder Symbole hervorge-



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bracht; die vier Bilder oder Symbole haben acht Koua oder weitere Fügungen und Zusammensetzungen hervorgebracht." - So begegnet uns in dem ältesten heiligen Buche des östlichen Asiens dasselbe Weltprinzip der Ruhe und Bewegung, der Unwandelbarkeit und der Wandelbarkeit, welches in der Maurerei die beiden heiligen Worte und Säulen Jakin und Boaz aussprechen, und wofür der Ormuzd, und Ahriman des Zendvolkes, Licht und Finsterniss, - sowie Osiris und die Isis der Aegypter, Sonne und Mond, Himmel und Erde, - ja selbst Christus und der Satan, Himmel und Hölle, nur ein verwandter und anderer Ausdruck sind. Mit dem dreieinigen Gott der Weisheit, Stärke und Schönheit, - oder der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft hat die Maurerei auch den Dualismus als das grosse Weltprinzip, - als die beiden Säulen, welche die Welt tragen, von der Urmenschheit ererbt und forterhalten. Ebenso wird der kundige Maurer die schon bei den Chinesen vorkommende heilige oder symbolische Vierzahl nicht übersehen.

Die heiligen Schriften der Inder sind die aus vier Büchern bestehenden und in einem veralteten Sanskrit geschriebenen Vêdas. Es sind vier Vêdas als die vier Worte der vier Munde des Brahma, ähnlich wie die Christen vier Evangelien haben. Die Vierzahl ist eine symbolische und soll auf das nach den vier Weltgegenden sich gleichmässig ausbreitende Wort und Licht von Brahma und Christus hindeuten. Die Vêdas beginnen mit den Worten: "Es gibt nur einen einzigen Gott, Brahma, allmächtig, ewig; allgegenwärtig, die grosse Seele, von welcher alle übrigen Götter nur Theile sind." Nach den Veden, deren Alter bis in das 18. Jahrhundert vor Chr. hinaufreichen mag, 1) schuf Brahma vier Arten Menschen, wovon jede eine




1) Björnstjerna, die Theogonie, Philosophie und Kosmogonie der Hindus, S. 26; Dunker, Gesehichte des Alterthums, II. S. 118. Nach Dunker zeigt der Inhalt der Veden und die Stufenfolge der religiösen Anschauungen, welche in denselben niedergelegt sind, dass zwischen den ältesten und jüngsten derselben einige Jahrhunderte liegen, weshalb die Entstehung der Lieder der Veden zwischen 1800 und 1500 Jahre vor Chr. gesetzt werden kann, indem die jüngsten Vedenlieder der Zeit von 1500 vor Chr. angehören.



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eigene Kaste bildet. Er schuf die erste aus seinem Kopfe, dies ist der Brahmine, dessen Geschäft es ist, die Menschheit zu leiten und zu belehren; die zweite schuf er aus seinem Arme, den Khetry, um die Menschheit zu vertheidigen und zu beschützen; die dritte schuf er aus seinem Leibe, den Vaisyas, der die Menschen ernähren soll; die vierte schuf er aus seinen Füssen, die Sudras, um den übrigen Kasten zu dienen und zu gehorchen. 1) Diese indische Kasteneintheilung hängt wesentlich zusammen mit der Eintheilung der Menschen nach ihrer Gesichtsfarbe. Kaste, varn'a im Sanskrit, heisst zunächst Farbe, und die Brahminen mit der weissesten Farbe nehmen die erste Kaste, dagegen die Cûdra und Kandâla mit der dunkelsten oder schwarzen Farbe die letzte Kaste ein. Die weissen Menschen sind auch die wissenden und daher höchst berechtigten; die weisse Farbe ist insofern der Massstab der Bildung und des Rechts.

Die heiligen Bücher der Aegypter sind die 42 Bücher des Hermes, die sogenannten hermetischen Schriften, weil sie dem Gotte aller Weisheit und aller Offenbarung, dem Thoth-Hermes zugeschrieben wurden; im Anfange aber waren nur vier hermetische Bücher gleich den vier Veden und vier Evangelien. Diese Hermesbücher umfassten die ganze Weisheit der ägyptischen Priester, und mussten abschriftlich in jedem Tempelarchive niedergelegt sein, da sie die Studien der Priesterschaft leiten und bei feierlichen Prozessionen umhergetragen werden sollten. Unter den 42 hermetischen Schriften nahmen die zehn hieratischen oder Priesterbücher die erste Stelle ein; sie handelten von den Gesetzen und den Göttern, begriffen demnach das menschliche und das göttliche Recht, da bekanntlich auch die Richter seit den ältesten Zeiten aus den Priestern gewählt wurden. Die letzten sechs Bücher waren die medicinischen, welche sich mit dem Organismus des Körpers, den Krankheiten, den chirurgischen Instrumenten, den Heilmitteln, den Augenkrankheiten und mit den weiblichen Zuständen beschäftigten. Die Chemie sogar scheint in den hermetischen Schriften behandelt gewesen zu sein, denn




1) Björnstjerna, a. a. O., S. 13.



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sie hat ihren Namen vom Lande Hams, von Chemi, d. i. Aegypten oder die schwarze Erde des Nils. Jedenfalls waren die Aegypter die Ur-Apotheker und die seltsamen Zeichen, deren sich noch heute die Aerzte und Apotheker zur Bezeichnung der Drachmen und Skrupeln bedienen, stammen wahrscheinlich aus Aegypten, sind ägyptische hieratische Zahlzeichen. Die arabischen Aerzte, die Schüler der ägyptischen, brachten diese Zeichen der ärztlichen Verschreibungen nach Europa. 1) Aegyptische Aerzte waren im alten Oriente gesucht, bis der Ruf der griechischen Aerzte etwa seit dem Jahre 500 vor Chr. sie verdrängte. Schon zu Homers Zeiten war der Ruf ägyptischer Aerzte bis zu den Griechen gedrungen. Die erste berühmte, von dem priesterlichen Verbande mit den Asklepios-Tempeln freie griechische Aerzteschule blühte unter Demokedes, gewesenen Leibarzt des persischen Königs Darius, zu Croton in Unteritalien neben der pythagoräischen Schule und nicht ohne Einfluss auf diese. 2)

Als die ältesten erhaltenen heiligen Schriften dürfen diejenigen der Parsen angesehen werden, wenigstens in einzelnen Theilen der letztern und besonders der von Haug übersetzten Gâthâs, indem einzelne Stücke der Gâthâs gewiss von Zarathustra selbst, also aus der Zeit 2000 bis 3000 vor Chr. herrühren. Für das hohe Alter Zarathustra's und seiner religiösen, weit über die Zeiten des Moses hinaufreichenden Einrichtungen haben sich übereinstimmend mit Rhode, die heilige Sage des Zendvolkes, S. 157 u. 158, neuerlich besonders Niebuhr, kleine Schriften, I. S. 200, - Haug, Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft, Bd. IX. S. 686, und die Gânthâs des Zarathustra, 1. Abtheilung. Leipzig 1858, S. XIV, - Spiegel, Avesta, I. S. 44, - Bunsen, Gott in der Geschichte, II. S. 78, und Aegyptens Stelle in der Weltgeschichte, V. S. 102, 221, 225 und 236, - und Lassen, indische Alterthumskunde, I. S. 75 ff., ausgesprochen. Rhode setzt den Zarathustra in die Zeit von 2000-2100 vor Chr., - Spiegel, in die vorhistorische Zeit, - Bunsen




1) Bunsen, Aegyptens Stelle, II. S. 47; V. S. 99.
2) Röth, a. a. O., S. 421 ff. u. S. 456.



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und im Wesentlichen auch Lassen in die Zeit von 2500 bis 3000 vor Chr., - und Haug in die Zeit von 2000 vor Chr. Nach Haug sind die 5 Gâthâs gleich alt und aufs nächste verwandt mit der Sprache der wedischen Liedersammlungen; ebenso finden sich im Wesentlichen die wedischen Metra darin wieder. Döllinger, Heidenthum und Judenthum, Regensburg 1857, S. 351 glaubt, dass Zarathustra wenigstens nicht viel jünger als Moses sein möchte und um 1300 vor Chr. gelebt habe. Hiermit stimmt dann wieder Dunker,.a. a. O., II. S. 317 überein, indem er die Lebenszeit Zarathustra's zwischen 1300 und 1250 v. Chr. ansetzt. Ganz unbegreiflicher Weise versetzen auch jetzt noch Röth, a. a. O., I. S. 348 ff. und 376, wie Kruger, Assyrier, S. 51 u. 407 ff., Zoroaster in das 6. Jahrhundert vor Chr.; nach Kruger ist Zoroaster im J. 605 und zwar zu Urmiah am herrlichen Urmiahsee in Adserbidschan (was ein neuer Irrthum ist) geboren, zuerst aufgetreten 575 und gestorben im Jahr 528 vor Chr.; Röth nimmt mit Anquetil du Perron an, Zoroaster habe in der Zeit von 599-522 vor Chr. gelebt und lässt, was wirklich abenteuerlich, den Pythagoras während dessen angeblichen zwölfjährigen Aufenthaltes zu Babylon mit Zoroaster, dem Reformator Baktriens und Persiens, zusammentreffen und dessen Unterrichts sich erfreuen. 1) Uebrigens war es früher die allgemein herrschende Ansicht, dass Zoroaster erst so spät gelebt und geblüht habe. 2) Da sodann ganz unzweifelhaft die Lehre des Zoroaster oder des Zendavesta nicht in Westiran oder Medien und Persien, sondern in Baktrien und Sogdiana entstanden ist, und von hier aus sich ausgebreitet hat, möchte trotz aller abweichenden und entgegenstehenden Ansichten auch Baktrien oder Sogdiana nach Ammianus Marcellinus als der Geburtsort Zoroasters mit Haug, die Gâthâs, S. 14 unten, anzusehen sein. 3)




1) Röth, a. a. O., II. S. 343 ff.
2) Beek, Anleitung zur genauern Kenntniss der allgemeinen Weltgeschichte. Leipzig 1813 I Thl. 1. Hälfte, S. 646 ff.
3) Schon Rhode, a.a.O., S.65, 78 u. 134, vergl. mit S. 89 u 132, hatte die Ansicht von Anquetil du Perron, wornach Zoroaster zu Urmi geboren sein sollte, bekämpft und des letztern Geburtsort nach Ari, Iran, d. h. nach Ostiran, dem oberen Tibet und einem Theile von Kaferistan und Kabul verlegt.



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Nach einer spätern Zendschrift soll Zoroaster aus Heden oder Hedinesch gewesen sein. Gemäss Aristoteles und Eudoxus müsste Zoroaster sogar in das letzte Dritttheil des 7. Jahrtausends vor Chr. verlegt werden, wesshalb Einige auch mehrere Zoroaster glaubten annehmen zu müssen.

Zarathustra heisst nach Haug der grösste Liederdichter und die alten Lieder sagen von ihm: "Er ist es, der die Worte in Liedern darbringt, der die Reinheit fördert durch sein Lob: er, dem Ahura-Mazda (Ormuzd) die gute Gabe der Redekunst geliehen: er machte zuerst in der Welt dem Verstande die Zunge dienstbar: er ist der Einzige, der die Lehren des höchsten Gottes vernahm, und sie zu überliefern im Stande war." - Von diesem grössten Liederdichter glaubt nun Haug ganz unzweifelhaft folgendes Stück der Gâthâs (I. Kap. 30) herrührend, welches er vor den baktrischen Grossen und einer grossen Menge Volks öffentlich vorgetragen und worin er vielleicht zum ersten Male seine neuen Lehrsätze verkündigt habe. 1)

  1. "Verkündigen will ich jetzt, ihr Nahenden! die weisen Sprüche des Allweisen, die Lobeslieder des Lebendigen und die Anbetungen des guten Geistes, die herrlichen Wahrheiten, deren Aufgang bei den Flammen sich schauen lässt.
  2. Horcht desshalb auf die Erdseele (Urstier), schaut an die Feuerstrahlen mit frömmstem Sinn. Ein Jeder, Mann wie Weib, ist zu scheiden nach seinem Glauben. Ihr Gewaltigen von Alters her, erwacht und stimmt uns bei!
  3. Von Anbeginn gibt es ein Zwillingspaar, zwei Geister, jeder von eigener Thätigkeit; sie sind das Gute und das Böse in Gedanken, Wort und That. Wählt unter beiden, seid gut, nicht bös!
  4. Und diese zwei Geister begegnen sich und schaffen das Erste (Irdische), das Sein und Nichtsein, und das Letzte (Geistige); den Lügnern wird das schlimmste Dasein; dem Wahrhaftigen das beste.




1) Haug, a. a. O., S. 92.



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  1. Von diesen beiden Geistern wählt einen, entweder den lügnerischen, das Schlimmste yollbringenden, oder den wahren heiligsten Geist. Wer jenen wählt, erwählt das härteste Loos, wer diesen, verehrt den Ahura-Mazda gläubig und in Wahrheit durch seine Thaten.
  2. Diesen beiden könnet ihr nicht dienen. Irgend ein böser Geist, den wir vernichten wollen, überfällt die sich Berathenden und spricht: "Wählt den schlechtesten Sinn." Dann schaaren sich diese Geister zum Angriff gegen die beiden Leben, die die Propheten laut verkündigten.
  3. Und diesem irdischen Leben kam Armaiti mit irdischer Macht, der Wahrheit und dem guten Sinn zu Hülfe; sie, die Ewige, schuf die Körperwelt, der Geist aber ist bei Dir, Weiser! in der Zeit das Erste bei den Schöpfungen.
  4. Wann der Geist in irgend welches Uebel kommt, so wird von Dir, o Weiser! irdischer Besitz nebst gutem Sinn verliehen; aber Die straft er, deren Versprechen Lüge, nicht Wahrheit ist.
  5. So lasst uns denn als Forterhalter dieses Lebens wirken, dessen eifrigste und wahre Förderer die lebendigen Weisen selbst sind. "Dort nur ist der Verständige, wo die Einsicht wohnt."
  6. Gerade sie ist die rechte Hülfe gegen das Böse, sie ist die Zerstörung des Verderbers. Vollkommenes wohnt nur in dem schönen Haus des guten Sinns, des Weisen und des Wahren, die als gut berühmt sind.
  7. Uebt aus die Lehren, von Mazda's eigenem Munde gesprochen, die er den Menschen gab, den Lügnern zum Schaden, zur Vernichtung, dem Wahrhaftigen zum Heil. In ihnen ruht das Glück."

Der das Geisteslicht und die Sprache erlangende Mensch hat nur den Jubelruf, dass ein Gott, dass Er sei, und die wahre menschliche Sprache ist die Anbetung und die Lobpreisung Gottes, des Einzigen. Gott wird dem Menschen nur offenbar in dem Worte, und das Wort ist die einzige Offenbarung Gottes in der Menschheit, des göttlichen Geistes in dem menschlichen. Das Wort ist der




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Mensch gewordene Gott und aus diesem Grunde das Ursymbol des Geistes und der Allmacht Gottes. Das Wort ist der Prometheus, welcher das göttliche Licht, den allbelebenden Himmelsfunken zu den Menschen auf die Erde herabbringt. Die Religion ist die Sprache Gottes zu den Menschen, die Erkenntniss Gottes und seines Geistes in der menschlichen Sprache. Die Ursprache der Menschheit ist die Urreligion derselben und zugleich die Uroffenbarung Gottes. Durch die Sprache steigt Gott aus dem Himmel zu dem ihn erkennenden Menschen herab, und der Mensch wieder betend hinauf zu dem von ihm erkannten Gott; die Sprache ist das Band zwischen der Gottheit und der Menschheit, zwischen dem Himmel und der Erde. Sind die Menschheit und die menschlichen Völker nur das auseinandergegangene, das aus seinem Ursitze über den ganzen Erdkreis ausgebreitete Urvolk und ist die Menschengeschichte nur die Geschichte dieses Auseinandergehens und dieser Ausbreitung, so können ebenso die Sprachen nur sein das auseinandergegangene und über alle Länder getragene Urwort, der äusserlich gewordene Geist Gottes und der Menschheit. Es wurden Völker, es wurden Staaten, es wurden Sprachen, bezeichnet gleichmässig das Werden und Fortschreiten der Menschheit; doch die Sprachen umschliessen das geistigste menschliche Leben, den Geist und die Bildung der Menschheit im höchsten Sinne, - sie bilden die Völker und überdauern dieselben in der unsterblichen Schrift. Die Höhe und der Umfang der geistigen Bildung eines jeden Volkes, der Reichthum seiner Gefühle und Begriffe, - sein ganzes Fühlen, Denken und Wissen ist nach der Bildung und dem Reichthume der Sprache desselben zu bemessen; die Sprache ist der treueste Ausdruck des innern Lebens der Völker; mit der Sprache entstehet, blühet und vergehet ein jedes Volk. Die Einheit des Denkens und Begreifens aller Völker der Erde, die Gleichheit des Menschengeistes und seiner Natur und Gesetze bei allen Menschen ohne Ausnahme, hat zur nothwendigen Folge, dass auch ihre Sprachen geistig gleich, blos der verschiedene Ausdruck des Einen Geistes seien. Wie die Logik die allgemeinen Gesetze des menschlichen Denkens gefunden hat, sollte auch die Sprachwissenschaft




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die allgemeinen Gesetze des menschlichen Sprechens, der Sprachen erforschen, wozu Bunsen in seiner Geschichte Aegyptens höchst beachtenswerthe Beiträge geliefert hat. So lange in den menschlichen Denkgesetzen, in dem Menschengeiste an sich keine Grundverschiedenheit nachgewiesen zu werden vermag, darf gewiss auch keine Grundverschiedenheit in der Abstammung der menschlichen Völker und Sprachen angenommen werden; die menschlichen Geister, Völker und Sprachen sind gleich urverwandt, entstammen derselben und einen Quelle. Es ist nur Eine Menschheit von Einem Stamme und mit Einer Sprache, weil nur Ein Geist, nur Ein Gott und nur Eine göttliche Offenbarung oder Schöpfung ist.