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Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer






Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei
mit besonderer Rücksicht auf die Mythologieen und Mysterien des Alterthums
von Dr. Jos. Schauberg, Zürich 1861

B a n d I. - Kapitel XXV.



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Das Bauen des Maurers.

Eine Gesellenansprache.

Meine sehr lieben Brüder Gesellen! Dem Auftrage des s. e. M. v. St., Ihnen den ersten Unterricht zu ertheilen, entspreche ich, indem ich Ihnen mit Rückert zurufe:

Mache deinem Meister Ehre, o Geselle, baue recht!
Wie das Mass er hat genommen, nimm die Kelle, baue recht!
Nicht um deine Mitgesellen sorge, wie sie mögen bau'n;
Dafür lass den Meister sorgen, deine Stelle baue recht!
Frage nicht, was mühsam heute deine Hand gefügt, wie bald
Wohl im Sturm der Zeiten es zerschelle, baue recht!
Lass nicht deinen Unmuth fragen, welch' Bewohners Ungeschmack
Künftig die von dir gebaute Wand entstelle, baue recht!




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In diesen inhaltschweren, kurzen Sätzen liegt eingeschlossen die ganze Lehre, wie der Maurer bauen müsse, wolle er recht bauen und seinem Meister Ehre machen. Was der Buchstabe G in dem 5eckigen flammenden Sterne nur hieroglyphisch andeutet, die menschliche Lebenskunst, die menschliche Geometrie, liegt hier deutlich aufgeschlossen.

Der ächte Maurer ehret zunächst den Meister, indem er sich nicht vermisst, selbst das Mass zu nehmen, denn der Meister hat das Mass schon genommen und reicht dem Gesellen nur die Kelle, um nach dem vorgeschriebenen Masse zu bauen. Der Meister, der das Mass genommen und wonach jeder treue Bruder nur bauen soll, ist der Meister der Meister, der allmächtige Baumeister der Welt, Gott im Himmel oben, welcher der Menschheit und allen einzelnen Menschen durch die ihnen verliehene Vernunft in seiner ewigen Weisheit ihre Aufgabe und ihr Ziel gesetzet. Die Menschheit im Ganzen soll den Geist Gottes in der Geschichte darstellen, soll der Mensch gewordene göttliche Geist sein; die Menschheit ist nach dem der Philosophie Plato's entlehnten Ausdrucke der alexandrinischen Christen und besonders des Evangeliums Johannes der Eingeborne Sohn Gottes, der Mensch gewordene Gott. Die Bestimmung der Menschheit und darin auch jedes einzelnen Menschen ist also eine göttliche, ist die Verwirklichung des göttlichen Geistes, des göttlichen Logos, der göttlichen Idee in der Weltgeschichte, in der Zeit. Die Menschheit und die Weltgeschichte sind die lebendige That des göttlichen Gedankens und Wortes, sind das Ebenbild Gottes oder sollen es wenigstens sein. Das tiefste und innerste Wesen des Christenthums besteht darin, die Einheit Gottes und der Menschheit, die göttliche Bestimmung des menschlichen Geschlechts erfasst und ausgesprochen zu haben. Christus ist in dieser Hinsicht die ganze Menschheit und der Mensch selbst, indem die Menschen den ihnen innewohnenden göttlichen Geist, das Gesetz Gottes darlegen sollen, - indem in ihnen Gott sich offenbart und zeitlich ist. Plato am Schlusse seines Timaeus sprach dieses, wenn auch mit weniger Vollkommenheit, also aus: "Indem dieses Weltganze sterbliche und unsterbliche Bewohner erhielt und davon erfüllt ward,




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wurde es zu einem sichtbaren, das Sichtbare umfassenden Beseelten, ein sinnlich wahrnehmbarer Gott, das Abbild des nur der Vernunft zugänglichen Gottes, der grösste und beste, der schönste und vollkommenste der Götter, dieser einzige Himmel, der ein Geborner ist." - Christus sagt dagegen im Evangelium Luc. 17, 21, dass das Reich Gottes in uns sei. Die Menschheit ist mithin die sichtbare, die lebende Gottheit; trägt die Gottheit als Vernunft in dem eigenen Geiste, als Gewissen in der eigenen Brust. Wer an Gott glaubt und auf Gott vertrauet, erfüllet Gottes Willen, unterwirft sich Gottes Fügung und nimmt die Kelle, um nach dem göttlichen Plane und Gesetze zu bauen, wo ihm auch immer bei dem Baue seine Stelle angewiesen worden sein möchte. 1) Der gottgläubige Meister entwirft nicht selbst den Lebensplan, er strebt nur zu erkennen und zu vollbringen, was ihm das höhere Schicksal, was ihm der Himmel auferleget. Nicht die Stunde der Geburt und nicht die Stunde des Todes steht in des Menschen Macht; der Mensch tritt in das Leben und verlässt es wieder, wenn der Meister ruft. Selbst in der kurzen Spanne Zeit, welche dem Menschen von der Wiege bis zum Sarge zu leben vergönnt ist, vermag er blos zu erreichen und zu schaffen, was Gott beschlossen hat. Nimmer erkühne sich der sterbliche Maurer, in frevelndem Eigendünkel und in stolzem Uebermuthe der




1) Siehe auch Polak, die Tapis, S. 108 ff., wo der Satz, dass in dem Baue der Gottheit und der Menschheit alle Arbeiter und alle Bausteine, an welcher Stelle sie sich auch befinden mögen, ob oben oder unten, den gleichen innern Werth haben, durch eine geometrische Figur versinnbildlicht wird. Es fügt Polak der Figur die Worte erklärend bei: "Denn, nicht die Stelle, aber deren würdige Ausfüllung ist es, welche des Menschen moralische Würde bestimmen kann. Gross oder Klein, wenn nur Jeder an dem ihm angewiesenen Standorte nach Gebühr arbeitet, erfüllt Jeder, von seinem Stand-Orte aus die Absichten Gottes: Gross oder Klein sind insofern beide ehrwürdig, und als moralische, gleichbegabte, gleichberechtigte Wesen, einander gleich." Diesen an sich ganz wahren Satz leitet aber Polak von dem Reisbrette ab, auf welches man freilich mit dem gleichen Grunde alle nur möglichen Figuren zeichnen kann; auf dem wirklichen maurerischen Reisbrette steht Nichts, es ist eine tabula rasa.



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göttlichen Führung sich zu entziehen und ihr den eigenen Willen entgegenzusetzen, den wie schon Aeschylos mahnte:

Droben ja wacht ein Auge stets,
Das von den heiligen Höh'n herab
Alles im Nu vernichtet.

Zu allen Zeiten und bei allen Völkern wurde daher die Frömmigkeit, d. h. die Ergebung in den Willen Gottes, in das göttliche Geschick als die höchste aller menschlichen Tugenden gepriesen. Der Weg zur Frömmigkeit und Gottergebenheit ist die Selbstbezwingung, die Entsagung des eigenen Willens, das Bauen nach dem schon entworfenen Plane des Meisters. In dieser Beziehung spricht auch Buddha:

Wer zehnmal Hunderttausende besiegt im Kampf, ist wohl ein Held. Doch gröss'rer Held fürwahr ist Der, so auch nur einmal sich besiegt. Sich selber zu besiegen ist schönrer Sieg als Schlachtensieg:
Der Sieg dess der sich selbst bezähmt, der stets sich zu beherrschen weiss.

Daher, mein Bruder,
Wie das Mass Gott hat genommen, nimm die Kelle, baue recht!

Der ächte Maurer bauet sodann an der ihm durch Gott zugetheilten Stelle, ohne sich jemals von seinen trägen und pflichtvergessenen Mitgesellen beirren zu lassen und über sie nur dem Meister die Sorge und das Gericht anheimgebend. Wie oft und wie leicht wird der Mensch in der kleinen und in der grossen Loge oder Welt muthlos und glaubt das eigene Ermüden entschuldigt, sieht er neben sich seine Mitgesellen rasten und fehlen; jedoch der ächte Maurer lernt an den fremden Fehlern nur die eigenen meiden und greift an seiner Stelle um so rüstiger zur Kelle, wenn Andere sie gewissenlos liegen lassen oder ablegen. Am wenigsten aber darf er sich zum Tadler und Richter seiner säumenden Mitgesellen aufwerfen, indem er dafür den Meister sorgen lassen soll; die eigene strenge Pflichterfüllung, das feste Beharren auf der eigenen Stelle sei der einzige stille Tadel Derjenigen, welche pflichtwidrig und feig ihre Stelle verlassen haben. Der ganze grosse Bau wird gewiss zuletzt gelingen und in Stärke und Schönheit vollendet werden, wenn ein Jeder weise und entschlossen nur an seiner Stelle bauet. Darum




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murre und klage auch Keiner über die ihm gerade zugefallene Stelle, da ein Jeder doch Mitarbeiter ist an dem Einen grossen Baue der Menschheit und der Gottheit und alle Stellen besetzt werden mussten, sollte der Bau aufgeführt werden. Darauf beruht die sittliche Weltordnung, die Harmonie des Weltganzen, dass Alle an ihrer Stelle stehen und dort recht bauen; deshalb ist auch der Staat, die Vereinigung der Menschen zu einem organischen Ganzen, eine Vernunftnothwendigkeit, ein göttliches Gesetz und nur in dem Staate kann sich das wahre menschheitliche Leben entwickeln und gestalten. Auch verleiht nicht die Stelle an sich das Verdienst, sondern die Pflichttreue, mit welcher ein Jeder seiner Stelle obliegt. Also

Nicht um deine Mitgesellen sorge, wie sie mögen bau'n;
Dafür lass den Meister sorgen, deine Stelle baue recht!

Auch kann es den ächten Maurer nicht kümmern, wenn, was er so mühsam und lange gebauet, der Sturm der Zeiten umtobet und bald wieder zerstört. Vergänglichkeit ist das Loos der menschlichen Werke und der Menschen selbst, wie Homer so schön singt:

Gleich wie die Blätter im Walde, so sind die Geschlechter der Menschen:
Blätter verweht zur Erde der Wind nun, andere treibt dann
Wieder der knospende Wald, wenn neu aufblühet der Frühling:
So des Menschen Geschlecht, das wächst und jenes verschwindet.

Ob auch die Menschen und ihre Geschlechter vergehen, die Menschheit selbst bleibt unvergänglich bestehen und wird die zerstörten Bauten bald wieder dauerhafter und schöner auferbauen. - Nicht die Zukunft, blos das Heute gehört dem Lebenden, weshalb nur lebt, wer heute stets erfüllt, was ihm die Pflicht gebietet; über die Zukunft wird aber der Himmel wachen. In den Gedanken des unerforschlichen Gottes dringt kein sterbliches Auge, daher wir beruhigt zu dem Himmel aufblicken sollen, wie auch Alles um uns stürzt und fällt. In der Ilia. I. 216 bis 219 sagt daher Achilleus:

Eurem Gebote, o Götter, soll willig der Sterbliche folgen,
Wenn auch im Sturme das Herz sich empört, denn so ist es besser;
Ja, wer den Göttern sich füget, ihn hören sie gerne auch wieder.




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Was wir als Zerstörung jammernd beklagen, ist gewiss nur verdiente Strafe oder der Anfang künftiger Schöpfung und Grösse. Aus dem griechisch-römischen Leichenfelde entsprossten die christlich-germanischen Staaten, aus dem untergehenden Alterthume die grössere und mächtigere neuere Zeit, die herrliche Gegenwart; was an dem einen Orte zerstört wird, bauet man an einem andern Orte wieder auf. Ueber Unglück und Trümmer geleitet sicher das tröstliche Vertrauen auf den Ewigen, der in dem Himmel wohnt und welcher allein bestimmt, was vergehen und was bestehen soll. Geht auch die Sonne des Abends unter, bringt sie doch der strahlende Morgen zurück; ja Abend und Morgen selbst sind nur eine Täuschung des irdischen Menschen und die himmlische Sonne gehet weder auf noch unter, sondern leuchtet unveränderlich in demselben Lichte. Mein wackrer Bruder,

Frage nicht, was mühsam heute deine Hand gefügt, wie bald
Wohl im Sturm der Zeiten es zerschelle, baue recht!

Endlich muss dem Maurer der menschliche Tadel und die Missachtung seiner Bauten gleichgültig sein, denn er hat nicht wegen der kurzsichtigen Menschen, sondern wegen des göttlichen Meisters gebauet; zu bauen und gebaut zu haben, sei des freien Maurers einziger Lohn und Preis. Wohl mag uns der Unmuth beschleichen, wenn harter Tadel und Verachtung trifft, was wir des Lobes und der Bewunderung werth gewähnt und vielleicht auch werth ist; aber verliert das vollendete Werk wirklich an seinem Werthe, wenn es der Unverstand nicht versteht und der Ungeschmack nicht schön findet? Die Letzteren haben ja das Mass nicht genommen, sondern der Meister; daher erwarte dessen Urtheil, wen der Menschen Urtheil verletzt und missmuthig macht. Nicht das irdische, sonder das himmlische Gericht ist das letzte, der Maurer baue nur so, dass er das Gottesgericht nicht zu fürchten hat. Wer ohne Furcht und Zagen dem Tage des letzten Gerichtes entgegenblicken darf, hat recht gebauet und wird trotz aller Verkennung durch die Menschen in den Himmel eingehen. Wie der Psalmist sagt:




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Denn gerecht ist der Ewige,
Gerechte Werke liebt er:
Auf die Rechtschaffenen schauet sein Antlitz.

Zum Zeichen und zum Symbole, dass Gott die ewige Gerechtigkeit sei, trägt bei den Maurern der Meister vom Stuhl, als das Symbol des allmächtigen Weltschöpfers, des allmächtigen Baumeisters der Welt, das Winkelmass, woran jedem Br. nach seinem Verdienen der Lohn zugemessen werden soll. Das Winkelmass ist mithin ein menschliches und göttliches Werkzeug, das Symbol der Menschheit und der Gottheit. Der Mensch soll nach dem Winkelmasse, d. i. gerecht, leben und bauen, damit ihn Gott auch gerecht richten und lohnen könne; durch das rechte Mass auf Erden soll der Mensch sich das rechte Mass im Himmel erwerben, sich gleichsam die Erde zum Himmel bauen. Der Maurer soll das Winkelmass gebrauchen, sich zum cubischen Steine formen, um als solcher in den unsichtbaren Bau der Menschheit und der Gottheit eingefügt zu werden. Die Bausteine wählt und verwirft der allmächtige Baumeister, denn er allein hat das Mass.

Lass nicht deinen Unmuth fragen, welch' Bewohners Ungeschmack
Künftig die von dir gebaute Wand entstelle, baue recht!
Mache deinem Meister Ehre, o Geselle, baue recht!