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Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer






Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei
mit besonderer Rücksicht auf die Mythologieen und Mysterien des Alterthums
von Dr. Jos. Schauberg, Zürich 1861

B a n d I. - Kapitel XXXI.



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Ueber das Symbol des Sterbens des neu aufzunehmenden Meisters.

Die Maurerei bestrebt sich, bei den Aufnahmen in die verschiedenen Grade stets eine neue grosse sittliche Wahrheit, ein neues grosses Sitten- und Lebensgesetz, das Welt- und Menschenleben in einem Bilde, in einem Drama, in einem Epos vorzuführen. Die maurerische Meisteraufnahme mit den sie begleitenden Gebräuchen ist das höchste Mysterium der Maurerei, - sind in Wahrheit die Mysterien des Alterthums, besonders der Aegypter und Griechen,




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sind die Osirismysterien und die eleusinischen Geheimnisse. Nicht aufmerksam genug können deshalb die Maurer die Aufnahme zum Maurermeister betrachten und in allen ihren Gebräuchen und Symbolen erwägen. Der reichste Schatz von historischen und sittlichen Wahrheiten und Lehren liegt in der Meisterweihe eingeschlossen; die Meisterweihe ist das grosse sittliche Drama und Epos, welches das Menschengeschlecht auszuführen hat und seit langen Jahrtausenden schon ausführt. Suchen die Maurer aus Dem, was dieselben bei ihrer Aufnahme zum Meistermaurer gesehen und gehört haben, den leitenden und verbindenden Gedanken zu finden, wird die baldige Antwort wohl sein, dass sie lernen sollen, in treuer Erfüllung ihrer Pflichten und in unverbrüchlicher Bewahrung der ihnen anvertrauten Geheimnisse gleich Hiram den Märtyrertod zu sterben. Sie sollen nach der tiefern Vorstellung der Aufnahmgebräuche erst zum Maurermeister aufgenommen werden, nachdem dieselben den Prüfungstod gestorben, - nachdem sie symbolisch den Beweis gegeben haben, dass auch sie für ihre Pflicht und Ueberzeugung in den Tod zu gehen vermögen. Hiram, Sokrates und Christus lehren übereinstimmend und haben diese ihre Lehre durch ihr Leben und ihr Sterben siegreich bewährt, dass man im Streite verschiedenartiger Anforderungen und Pflichten Gott mehr gehorchen solle als den Menschen, auch wenn die Erfüllung dieses Grundsatzes das zeitliche Leben kosten sollte. 1) Der Meisterschritt ist der schwere Schritt zum Tode, - ist die unerschrockene und nicht wankende Pflichterfüllung bis zum Tode und durch den Tod, - ist der Eingang in das wahre Leben durch das Sterben. Um dem aufzunehmenden Maurermeister diesen Gedanken unauslöschlich einzuprägen, wird er nach dem uralten Gebrauche der Mysterien in den Sarg gelegt und mit dem Leichen-




1) Vergl. Lasaulx, des Sokrates Leben, Lehre und Tod, München 1857. worin namentlich auch Sokrates in seiner Aehnlichkeit und Uebereinstimmung mit Christus betrachtet wird. Lasaulx betrachtet den Sokrates als eine Vorerscheinung Christi, wie ja überhaupt die ganze Vergangenheit ihrer Natur nach eine Vorerscheinung der Gegenwart und diese der Zukunft sei.



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tuche umhüllt, wird er beerdigt und seine Beerdigung gefeiert. Die Aufnahme zum Maurermeister soll das Begraben des irdischen Menschen, das Abstreifen aller menschlichen Gebrechen und Irrthümer, das Eingehen zum reinern und vollkommeneren Leben und Lichte sein. Haben die Maurermeister in dem einzigen Augenblicke ihrer symbolischen Grabesruhe sich nicht selbst das heilige Gelübde abgelegt, die alten Unvollkommenheiten und Mängel dem modernden Grabe zurückzulassen und als ein anderer und besserer Mensch aufzuerstehen, bleibt das Meisterwort ewig verloren und sie werden niemals aus dem Grabe erweckt werden. Lassen aber dieselben den alten Menschen sterben, suchen sie das verlorene Meisterwort, d. h. das Licht, Gott, das Rechte und Gute, dann allein werden sie zum wahrhaften Maurermeister, - dann allein wird ihr Sterben nur ein kurzer Schlummer, das lohnende Hinübergehen in ein schöneres Leben sein. Die Aufnahme zum Maurermeister soll eine zweite Geburt, die Geburt eines neuen Menschen sein, wie es bei den Indern die verwandte religiöse Weihe der Aufnahme in die drei Kasten ist und woher die Aufgenommenen den Namen der Zweifachgeborenen (dvig' âs) tragen. 1) Die Einweihung in die drei obern indischen Kasten, welche mit religiösen Ceremonien verbunden ist, geschieht vermittelst Anlegung einer Schnur, welche von der linken Schulter quer über die Brust getragen wird. Bei den Brahmanen kann sie zwischen dem 8. bis 15. Jahre angelegt werden und ist von Baumwolle; bei den Kschattrijas, welche sie vom 11. Jahre an erhalten können, ist sie von Kusagras, und bei den Vaicjas, die sie erst im 12. Jahre erhalten dürfen, ist sie von Wolle. Ebenso wurden auch die zum Christenthum bekehrten Heiden, Neophyten, Neugeborene, Neugepflanzte und Gewachsene, Menschen mit einer neuen Natur und einem neuen Geiste genannt. Auch der Name Novizze deutet auf den Novus Homo. Bei den Taurobolien und Kriobolien der phrygischen Götterkulte wurde der Einzuweihende durch eine förmliche Bluttaufe aus dem Blute des Opferstieres




1) Spiegel, Avesta, II. Einleitung, S. XXI; Ersch und Gruber, Encyklopädie, II. Bd. XVII. S. 217 b und S. 241 b.



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oder Widders, gereinigt und wieder geboren. 1) Bei den griechischen Thieropfern pflegten die Umstellenden gleichfalls mit dem aufgefangenen Blute des geopferten Thieres wenigstens besprengt und dadurch entsündigt zu werden. 2) Hinsichtlich des gemeinsamen Genusses des Fleisches der geopferten Thiere bei den griechischen Opfermahlen bemerkt Lasaulx, a. a. O., S. 74: "Durch diesen gemeinschaftlichen Genuss des reinen Opferfleisches, die Communion der (des Gott geopferten Fleisches) sollte ein substanziell neues Leben in den Geniessenden begründet werden; denn Alle, die von einem Opfer essen, sind ein Leib." - Im Vertrauen auf des neuen Meisters künftiges gutes Leben lässt der Meister vom Stuhl ihn bald aus dem dunklen Grabe erstellen und in das hellste Licht zurückkehren; möge alsdann jeder Meister wirklich so leben und handeln, dass der Meister, welcher über alle Meister gesetzt ist, bei seinem dereinstigen Tode ihn errettend und erlösend heissen darf, in sein Lichtreich einzuziehen und die ewige Seligkeit zu geniessen. Auf ihrer Lebensbahn sei allen Meistern Hiram in seinem Leben und Sterben das leuchtende Vorbild, der sittliche Held, dem sie sterbend nachstreben, wie die Christen dem für sie gestorbenen Christus nachstreben. Hiram möge die Meistermaurer lehren, den Tod zu ertragen und nicht zu fürchten. Der Meisterbund ist ein Todtenbund, insofern alle Meister gelobt und geschworen haben, ohne Furcht und Zagen selbst zu sterben, wenn es die Pflicht gebeut. Memento mori! Gedenke des Todes! sollte das Morgen- und Abendgebet eines jeden Meistermaurers sein, weil, wer zu sterben, auch zu leben weiss. Das Leben geht nicht verloren, wird es für die Pflicht gewagt - wer es wagt, gewinnt es; sterben ist leben. Wer das Leben seiner Pflicht zu opfern bereit ist, wird bis zum Tode duldend und hoffend tragen, was das Schicksal ihm auferlegt, was Gott ihm sendet. In diesem Sinne ruft den Meistern das ruhige Schiff ohne Mast, ohne Segel, ohne Ruder nach dem Meeressturme zu: "in silentio et spe fortitudo mea! Ebenso schön sagt Schiller:




1) Lasaulx, Studien, S. 237, Anm. 28.
2) Lasaulx, a. a. O., S. 73.



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Festen Muth in schweren Leiden,
Hülfe, wo die Unschuld weint,
Ewigkeit geschwornen Eiden,
Wahrheit gegen Freund und Feind,
Männerstolz vor Königsthronen, -
Brüder, gält es Gut und Blut, -
Dem Verdienste seine Krone,
Untergang der Lügenbrut!

Der Chor stimmt ein:

Schliesst den heil'gen Zirkel dichter,
Schwört bei diesem goldenen Wein,
Dem Gelübde treu zu sein,
Schwört es bei dem Sternenrichter.

Die historische Grundlage der Aufnahmsgebräuche zum Maurermeister sind allem Vermuthen nach die Gebräuche der Aufnahme in den dritten Grad der ägyptischen Mysterien, worin unter dem Bilde des erschlagenen Meisters und des Grabes die Abwesenheit der Sonne kurz vor der Rückkehr des Frühlings betrauert wurde. 1) Der in den dritten Grad der ägyptischen Mysterien Aufzunehmende wurde von dem Vorbereitenden (Thosmophores) durch die "Pforte des Todes" in ein grosses Zimmer geführt, worin ihm das Bild des Todes von allen Seiten entgegenkam. Da lagen Thier- und Menschenmumien von jeder Grösse und jedem Geschlecht, da standen Sarg an Sarg; aber mitten in dem Zimmer war ein Sarg offen hingestellt, in welchem eine mit Wunde bedeckten, ganz im Blute schwimmende Leiche befindlich war. Es stellte dies den Sarg des Osiris vor. Der Vorbereitende wandte sich hierauf an den Aufzunehmenden mit den Worten: "Siehe hier deinen erschlagenen Herren, den Osiris, hast du Theil genommen an seiner Ermordung, oder sind deine Hände rein von seinem Blute?" 2) Obgleich der Gefragte seine




1) Vergl. Lenning, Encyklopädie, unter Osiris; ferner und besonders: Aufklärungen. für Freimaurer oder Einweihung in die ägyptischen Mysterien, Nordhausen 1825, S. 36 ff.
2) Die Frage, ob die Aufzunehmenden sich keines Verbrechens schuldig fühlen, hat natürlich den höhern und tiefern Sinn, dass in die Mysterien nur aufgenommen werden sollen, welche reinen Herzens und reinen Wandels, die gereinigt und entsühnt sind.



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Unschuld betheuerte, wurde er von zwei Todtengräbern (Tapixeuten) dennoch als schuldig ergriffen und nach einem andern Saale gebracht. Dort ermahnte ihn der Vorsitzende (oft der König) von dem weitern Eindringen in die Geheimnisse zurückzutreten, um nicht in den Prüfungen zu unterliegen, und sich mit einer dargereichten Krone als Lohn seiner bisherigen Thaten zu begnügen. Beharrte der Aufzunehmende auf seinem Vorsatz und warf die goldene Krone verschmähend hinweg, rief der Vorsitzende "Beleidigung! Rache!" und schlug mit dem vor ihm liegenden Opferbeil dem Aufzunehmenden leise vor den Kopf. Kaiser Commodus that dies einmal bei einer Aufnahme in die Mithramysterien so ernstlich, dass er den Aufzunehmenden wirklich erschlug. 1) Nun ergriffen die Todtengräber den symbolisch Erschlagenen abermals, warfen ihn rücklings zu Boden und behandelten und deckten ihn gleich einer Leiche. Der Todte wurde fortgetragen und seine Leiche über einen See durch Charon in das Schattenreich vor die Todtenrichter gebracht, um dort nach seinen Thaten gerichtet zu werden. Das Urtheil lautete, dass der Gerichtete in der Unterwelt in den unterirdischen Gängen des Tempels zu verbleiben habe, womit die Aufnahme in den dritten Grad vollendet war, und worauf der Unterricht für einen weitern der sieben Grade begann.

Anderwärts wird noch erzählt, dass man dem Aufzunehmenden nach seiner Auferstehung die Geschichte des Osiris erzählt, ihn zu dessen Bildsäule geführt und ihm die Erlaubniss gegeben habe, den Schleier davon wegzunehmen und folgende Aufschrift über dem Auge desselben zu lesen: "Ich gebe dem Erdkreise das Licht. Ihr, die ihr es bekommt, vertheilet es weiter!" Nach dieser Ceremonie soll ihm die Stätte, wo die Asche des Osiris aufbewahrt wurde, gezeigt worden sein. 2)

Ohne hier jetzt die Geschichte der ägyptischen Mysterien weiter zu verfolgen, mag nur die höchst beachtenswerthe Thatsache noch berührt werden, dass deutliche Spuren der ägyptischen Mysterien oder dann ganz ähn-




1) Windischmann, Mithra, 67.
2) Lenning, Encyklopädie, Bd. III. S. 67.



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liche Einrichtungen sich bei Negern in Congo in Afrika finden und bei den Virginiern in Amerika fanden. 1) Unter den Negern von Congo bestehen die Mysterien oder der religiöse Bund des Inquita, welcher Bund zahlreiche Mitglieder aus allen Gegenden Afrika's zählt. Die Aufnahmen erfolgen jährlich einmal und stellen den symbolischen Tod des Aufzunehmenden dar; der Aufzunehmende stirbt scheinbar. Zur Stunde der Aufnahme begeben die Verbündeten sich zu dem Aufzunehmenden und stimmen Trauergesänge an. Der Aufzunehmende wird hierauf in eine Strohmatte gleich einem Verstorbenen oder gleich einem Leichname gehüllt und unter Begleitung von Trauergesängen und Tänzen zu dem mitten in einem dichten Walde befindlichen Tempel getragen. Der Aufzunehmende wird im Tempel auf eine Kupferplatte gelegt, unter welcher man ein mässiges Feuer anzündet; zugleich wird der Aufzunehmende mit Palmöl eingerieben, was einen symbolischen Bezug auf die Sonne oder den Sonnengott hat, welcher die Palme bei den alten Aegyptern geweiht war. Vierzig Tage muss der Aufzunehmende auf der Platte liegen bleiben, dauert sein symbolischer Tod, während welcher Zeit ihn aber auch seine Verwandten selbst salben dürfen. Nach dem Ablaufe der Prüfungszeit oder der Aufnahme wird der Aufgenommene unter Absingen von Freudengesängen aus dem Tempel und aus dem Walde nach Hause geführt. Als ob der Aufgenommene aus einer andern Welt käme, gibt er sich bei seiner Heimkunft den Anschein, Menschen und Dinge nicht mehr zu kennen, indem nach dem Volksglauben durch die Aufnahme der Aufgenommene eine neue Seele erhalten und dessen frühere Seele einen andern Körper bezogen haben soll. Der Aufgenommene geniesst grosses Ansehen und braucht nicht mehr zu arbeiten, da seine Freunde sich glücklich schätzen, ihn bedienen zu können. - Ganz gleiche Mysterien oder Initiationen sollen bei den Virginiern in Amerika unter dem Namen Huséanawer im Gebrauche gewesen, also wesentlich die Beerdigung des alten Menschen mit seinen alten Gebrechen und Vorurtheilen und die Wiedererweckung




1) Esquisses de la vie maçonnique suisse, 1855, Nr. 11, S. 166 ff.



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eines neuen reinern Menschen an Geist und Herz gewesen sein. Bei den Virginiern war daher auch der Aufzunehmende weiss gekleidet oder vielmehr sein Körper weiss angestrichen. Auch bei ihnen sollten die neu Aufgenommenen die alte Welt nicht mehr kennen und erkennen, sollten neue Menschen sein.

Geistige Weihen (Initiationen) der Knaben, worauf die Knaben benamset werden, finden sich auch bei den lndianern in Nordamerika, namentlich bei den Delawaren und Irokesen. 1) Diese Knaben- oder Jünglingsweihen sind gewöhnlich mit sehr qualvollen und blutigen Martern, Prüfungen verbunden, sowie bei den Mandan-Indianern am Missouri mit einer Art Frühlingsfest, Okippe in ihrer Sprache. Bei diesem vier Tage andauernden Feste werden, wie es scheint, dramatisirte Mythen dargestellt mit seltsamen Maskeraden in Thiergestalt unter eigenen Tänzen und Liedern nach uralter Observanz. Interessant ist, dass die nordamerikanischen Indianer hin und wieder auch Weisse, die mit ihnen viel verkehren, meist Pelzhändler oder Dolmetscher, durch solche Weihen gewissermassen als Waffenbrüder unter sich aufnehmen. Solche Waffenbrüder bekommen gleichfalls nach der Aufnahme einen Namen; z. B. erhielt der im J. 1777 bei einer Horde vom Stamme der Tschippewäer aufgenommene Engländer Long den Namen Amik, d. i. Biber. Nach Berichten aus dem 17. Jahrhundert hatten auch die Caraiben auf den Antillen ähnliche blutige Kriegerweihen, Wehrhaftmachungen, wie die nordamerikanischen Indianer. Hervorgehoben muss dabei werden, dass alle diese Weihen sowohl bei den nord- als bei den südamerikanischen Indianern mit kürzerem oder längerem Fasten des Kandidaten verknüpft sind.

Nach Barth, Reisen und Entdeckungen in Nord- und Centralafrika, I. S. 193, soll auch mit einer muhammedanischen Sekte der Tinylkums im Innern des nördlichen Afrika, welche in diesem Jahrhundert durch Mohammed el Médani gestiftet wurde und die Verehrung verstorbener Heiliger




1) Weimaranisches Jahrbuch für deutsche Sprache, Literatur und Kunst, VI. S. 243 ff.



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besonders abgeschafft hat, eine Art Freimaurerei, d. h. wohl eine geschlossene Verbindung mit gewissen Initiationen verbunden sein.