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Die Goldene Regel in der Freimaurerei

Einmal angenommen, die Menschheit müsste ihre gesammelten Moralvorstellungen auf einen einzigen Grundsatz reduzieren, und diese Regel sollte gleichermaßen vor Mord und Totschlag, Diebstahl und Betrug, Unterdrückung und Rache schützen - wie würde ein solches Fundamentalprinzip lauten? Der Darwinist Ernst Haeckel bezeichnete es 1899 in seinem Buch "Welträthsel" als "das edelste Prinzip der allgemeinen Menschenliebe" - und tatsächlich bildet es unter dem Namen "Goldene Regel" seit mehr als 3000 Jahren die ethische Gesamtbotschaft aller Weltreligionen und Kulturen. Dieses Sittengesetz lautet in seiner volkstümlichen Variante: "Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu!"

(Wolfgang Michal in: GEO Wissen Nr. 35, März 2005, Gruner + Jahr, Hamburg)

Die Goldene Regel ist Bestandteil der Ethik zahlreicher Religionen und Philosophen:

Konfuzianismus

Taoismus

Buddhismus

Hinduismus und Brahmanismus

Jainismus

Zoroastrismus

Judentum

Christentum

Islam

Bahá'í

Klassisches Griechenland

Die weite Verbreitung der Goldenen Regel, lateinisch regula aurea als Lebensweisheit beweist, daß sie auf volkstümliche Weise das ideale zwischenmenschliche Miteinander beschreibt. Sie verbietet oder gebietet nichts Bestimmtes, sondern sie stellt nur eine Situation vor Augen, die ich anders bewerten würde, wenn ich selbst in diese Lage käme. Mit anderen Worten: die Regel lässt mich für mein Handeln reflektiv erkennend meine Wertetafel überprüfen. Die Gleichheit im Zumuten und Erwarten ist also der Kern der in ihr enthaltenen Ethik.

Die Goldene Regel steht im Zentrum der Ethik des Naturrechts. Arthur Kaufmann arbeitet in seiner Schrift "Theorie der Gerechtigkeit - Problemgeschichtliche Betrachtungen" heraus:

Methodisch ging man bei der Findung des "richtigen Rechts" ganz schulgerecht so vor, daß man nach der "Natur" des Menschen fragte, selbstverständlich nach der empirischen, nicht nach der metaphysischen Natur, danach, wie der Mensch rein tatsächlich ist, um dann von hier aus logisch schlußfolgernd die "natürlichen" Rechte und Pflichten des Menschen abzuleiten. Derartige Rechte und Pflichten, so wähnte man, müßten wie die gleichbleibende Vernunft des Menschen universalen Charakter haben, also für alle Zeiten und alle Menschen gültig sein. Es kann nicht verwundern, daß fast alle Versuche, ein solches absolutes Naturrecht zu begründen, bei der Herausarbeitung einiger weniger, sehr abstrakter Grundprinzipien des Rechts steckengeblieben sind: etwa der Gebote, niemandem Schaden zuzufügen (die "negative" goldene Regel), Verträge zu halten, das Eigentum zu achten, den andern als gleichberechtigt zu behandeln (also das "suum cuique"), den Bedürftigen zu unterstützen (die "positive" goldene Regel) usw.

Geschichtlich findet sich die Goldene Regel in der Entwicklung des Naturrechts

Kant formulierte "Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne". Den kategorischen Imperativ als Prinzip der Ethik entwickelte Kant 1785 in der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten". Im kategorischen Imperativ ist u. a. als Element der Goldenen Regel das Prinzip der Gleichheit enthalten, denn es soll Grundlage eines allgemeinen Gesetzes sein, das für alle gilt. Allerdings ist der kategorische Imperativ in seiner Formulierung nicht so eingängig wie die Goldene Regel.

Die Goldene Regel in ihrer ursprünglichen Formulierung hat allerdings eine Schwäche: Die subjektive Sicht des Handelnden wird zum alleinigen Maßstab gemacht. Der individuelle Wunsch bzw. das Empfinden des Handelnden muss aber nicht unbedingt auch von seinem Nächsten erwünscht sein, und umgekehrt. Sowohl die positiven als auch die negativen Formulierungen der Regel eignen sich also nicht als absolute Bewertungsrichtlinie für die Handlungen des Einzelnen. Zur Ergänzung der Bewertungsrichtlinie sind daher weitere ethische Prinzipien in die Betrachtung einzubeziehen. Bei den zitierten Beispielen aus den Bereichen Religion und Philosophie ist die Goldene Regel jeweils im Kontext mit der jeweiligen Ethik zu sehen.

In die Terminologie und Ethik der Freimaurerei übersetzt, könnte die Goldene Regel wie folgt formuliert werden:

Erkenne, vervollkommne und forme dich selbst,
um dich symbolisch als Stein in den Bau
des Tempels der Humanität einzufügen.

Hintergrund dieser Formulierung ist, daß die Freimaurer fiktiv am Bau des "Tempels der Humanität", dem salomonischen Tempelbau, arbeiten. Die Steine dafür sind die Menschen, die sich für diesen Zweck selbst ausformen. Menschenliebe, Toleranz und Brüderlichkeit übernehmen dabei die Funktion des fest verbindenden Mörtels zwischen den Steinen. Das Prinzip der wechselweisen Gleichheit innerhalb der Goldenen Regel wird hier über das geschlossene Gefüge der Steine symbolisiert, denn nur in der geometrischen Harmonie der Einzelsteine miteinander kann ein Mauerwerk seinen Zusammenhalt finden.