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Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer





F. B.

Sternenfreundschaft

Wir waren Freunde und sind uns fremd geworden. Aber das ist recht so, und wir wollen's uns nicht verhehlen und verdunkeln, als ob wir uns dessen zu schämen hätten. Wir sind zwei Schiffe, deren jedes sein Ziel und seine Bahn hat; wir können uns wohl kreuzen und ein Fest miteinander feiern, wie wir es getan haben - und dann lagen die braven Schiffe so ruhig in einem Hafen und in einer Sonne, daß es scheinen mochte, sie seien schon am Ziele und hätten ein Ziel gehabt. Aber dann trieb uns die allmächtige Gewalt unserer Aufgabe wieder auseinander, in verschiedene Meere und Sonnenstriche, und vielleicht sehen wir uns nie wieder - vielleicht auch sehen wir uns wohl, aber erkennen uns nicht wieder: die verschiedenen Meere und Sonnen haben uns verändert! Daß wir uns fremd werden mußten, ist das Gesetz über uns: eben dadurch sollen wir uns auch ehrwürdiger werden! Eben dadurch soll der Gedanke an unsere ehemalige Freundschaft heiliger werden! Es gibt wahrscheinlich eine ungeheure unsichtbare Kurve und Sternenbahn, in der unsere so verschiedenen Straßen und Ziele als kleine Wegstrecken einbegriffen sein mögen - erheben wir uns zu diesem Gedanken! Aber unser Leben ist zu kurz und unsere Sehkraft zu gering, als daß wir mehr als Freunde im Sinne jener erhabenen Möglichkeit sein könnten. - Und so wollen wir an unsere Sternenfreundschaft glauben, selbst wenn wir einander Erdenfeinde sein müßten.

Nietzsche

"Es ist nicht der Geist, der Friedrich der Grosse und Voltaire (siehe Anmerkung) verbündet; es ist das Geistige, das sie so bindet, und dieses Geistige formte eine schöpferische Freundschaft." erkennt Rudolf K. Goldschmit-Jentner (Die Begegnung mit dem Genius - Fischer Bücherei KG, Frankfurt am Main und Hamburg, 1954) und meint hier eine Sternenfreundschaft zu erkennen:

"Charakter und private Sittlichkeitshaltung der beiden wurde durch eine Kluft getrennt, deren Breite und Tiefe erst uns Nachgeborenen deutlich wird. Ihre Gemeinsamkeiten lebten in den Bezirken des Nur-Geistigen. Wir kennen das Wort Voltaires: "Die Erde ist von Menschenwesen bewohnt, die nicht verdienen, daß man überhaupt von ihnen spricht." Der Verkünder der Humanität schreibt das! Noch Schopenhauer, der Einsame, zitiert den Satz mit Behagen. Diese Menschenverachtung Voltaires trifft sich mit einem Ausspruch des alten Königs über die Menschen als "verabscheuungswerte Rasse". Aus solcher Verachtung der Menschen wuchs Mitleid und aus Mitleid eine der köstlichsten Blüten des Denkens jenes Jahrhunderts: die Toleranz als Grazie des Herzens. Toleranz aus Mitleid mit den hilflos-armseligen Menschenwesen. Es gibt eine Humanität, die aus Weichheit, Charakterschwäche, Angst, Feigheit, Erkenntnis der eigenen Hilflosigkeit und Bedürftigkeit entspringt, jene Humanität, die als Duldsamkeit eines unkämpferischen Pazifismus zerstörend und unschöpferisch wirkt und im Grunde auf ein Mißverstehen notwendiger Grenzen und Bedingungen der Toleranz zurückgeht. Und es gibt eine Toleranz, die sich zur rechten Zeit der Härte und des Zuschlagens gegen das Niedrige und Wertlose bedient und weiß, daß wirkliche fruchtbare Humanität nur aus der Kraft kommen darf und bestimmt sein muß, das Edle und Hohe zu schützen und das Niedere zum Edlen und zum Hohen zu erziehen oder aber untergehen zu lassen. Diese wahrhaft fruchtbare Duldsamkeit erwächst oft auf dem Boden erfahrener oder erlebter Menschenverachtung. Ihre letzte Triebkraft ist Rechtsgefühl; sie wächst aus der Verpflichtung, zu verhindern, daß die Ent-adelung und Ver-massung der Menschheit noch weiter fortschreitet. Ihre Träger, Verfechter und Verwirklicher sind nicht die Betriebsamen im Geiste, die Journalisten der Seele, sondern die großen Einsamen, die ihre Gnade schöpferischen Alleinseins bitter bezahlen. Aber in ihrer Einsamkeit erfahren sie die hohen Werte jener beiden Kräfte, um die es lohnt, erlebte und aufgezwungene Menschenverachtung umzusetzen in Toleranz: - den Wert der Freiheit des Geistes und der Autorität des Geistes. Toleranz, Freiheit und Geist, dieser als Träger ewiger Bindung und Verpflichtung, waren schließlich die Kräfte, die Friedrich und Voltaire auch nach den bittersten persönlichen Enttäuschungen immer wieder zusammenführten. Diese Kräfte sind die Grundfesten ihrer merkwürdigen Freundschaft gewesen, weil sie ihnen als Grundpfeiler jedes Staatswesens galten. Die beiden Freunde glaubten, lehrten und lebten, daß jedes Gedeihen von Volk und Menschheit abhängig ist von der wahren Freiheit und Unabhängigkeit des Geistes und von der Duldsamkeit des Glaubens. Darin waren sie Geschöpfe und Verkünder ihres Jahrhunderts. In den allerersten Jahren ihrer Freundschaft schreibt Friedrich in einem Aufsatz, der Voltaires Beifall findet, ein heißes Bekenntnis zur Menschenliebe und sagt von ihr, sie sei

"die einzige Tugend und muß besonders denen eigentümlich sein, die durch ihre Stellung 'in der Welt ausgezeichnet sind. Ein Landesherr, groß oder klein, muß als ein Mann angesehen werden, der die Bestimmung hat, dem menschlichen Elend abzuhelfen, soviel nur in seinen Kräften steht. Die Stimme der Unglücklichen, das Seufzen der Elenden und die Hilferufe der Unterdrückten müssen bis zu ihm gelangen ... Die Tyrannen fehlen gewöhnlich dadurch, daß sie alles unter einem Gesichtspunkte ansehen. Sie betrachten die Welt nur in Beziehung auf sich selbst, und weil sie über gewisse gemeine Leiden zu sehr erhaben sind, machen sie ihre Herzen unempfindlich dagegen."
Es ist der Sohn der Aufklärung, der so spricht und mit der Pflicht der Menschenliebe die andere Pflicht des Herrschers, sie richtig und mit Maß anzuwenden, zu verbinden hofft. Menschsein in der Ganzheit von Geist und Herz, Vernunft und Charakter, dieses Ideal der neuen Zeit galt auch Friedrich als höchstes Ziel."

Wir treffen hier auf schöne und hohe Gedanken, die aber auch eine gewisse Zerbrechlichkeit haben. Aber alles, was zerbrechlich ist, benötigt einen gewissen Schutz gegen die rauhe Umwelt, den derben Umgang. Einen solchen Schutz kann ein abgeschlossener Raum oder ein eingeschränkter Personenkreis gewähren. Arthur Schopenhauer (deutscher Philosoph, 1851) erkennt entsprechend und formuliert pessimistisch überzeichnend:

Jener inneren Leere und Duerftigkeit der Menschen ist auch dieses zuzuschreiben, dass, wenn einmal, irgendeinen edlen, idealen Zweck beabsichtigend, Menschen besserer Art zu einem Verein zusammentreten, als dann der Ausgang fast immer dieser ist, dass aus jener Plebs der Menschheit, welche, in zahlloser Menge, wie Ungeziefer, ueberall alles erfuellt und bedeckt, und stets bereit ist, jedes, ohne Unterschied, zu ergreifen, um damit ihrer Langeweile, wie unter andern Umstaenden ihrem Mangel, zu Hilfe zu kommen, - auch dort einige sich einschleichen oder eindraengen und dann bald entweder die ganze Sache zerstoeren oder sie so veraendern, dass sie ziemlich das Gegenteil der ersten Absicht wird.

Hier drängt sich die Frage auf: Ist eine solche Gefahr auch in einer Freimaurerloge latent vorhanden? Das Traditionsritual im Lehrlingsgrad der Freimaurerloge "Am rauhen Stein" belehrt den Suchenden bei seiner Aufnahme in den Freimaurerbund nach Eintritt in den Tempel:

Mein Herr, in das Innere des Herzens zu schauen, vermag kein sterbliches Auge. Wir sind Menschen, und Sie können uns leicht täuschen. Bedenken Sie aber wohl: vor einem Fremden kann der Mensch die Fehler seines Charakters lange verbergen, nicht aber vor seinem Bruder. ...
Es ist nicht leicht, Freimaurer zu sein. Schon mancher, der es ohne innere Berufung versuchte, ward nichts als ein Heuchler vor seinen Brüdern und ein Lügner vor sich selbst.

Da die Freimaurerei kein Dogma hat und jeder Bruder auf seine ihm eigene Weise seine freimaurerische Arbeit praktiziert, gibt es kein "Gütesiegel" für einen Freimaurer. Einziges unscharfes Kriterium ist hier, dass die Bruderschaft intuitiv den Bruder als Freimaurer erkennt, was nicht immer zu einer einhelligen Einschätzung führt. Mit anderen Worten: Der Bruder fügt sich vielleicht nur über das Geistige und nicht über den "Geist der Freimaurerei" in die Reihen der Bruderschaft ein. Doch auch das Erleben einer solchen Sternenfreundschaft kann den eigenen Horizont positiv erweitern.

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Anmerkung:

Friedrich der Grosse wurde am 14/15. August 1738 in Braunschweig und Voltaire in seinem letzten Lebensjahr 1778 in Paris in eine Freimaurerloge aufgenommen.