"Denn der "Nathan" hat ja seine große Stelle, beinah eine Arie, eine Baritonpartie der Vernunft, und angenehme und rührende Schauer laufen dem schulgebildeten deutschen Bürger den Rücken entlang, wenn die nun einsetzt, diese Argumentationskantilene von den drei Ringen, die die drei großen Religionen der Erde symbolisieren:
Vor grauen Jahren lebt ein Mann im Osten,
Der einen Ring von unschätzbarem Wert
Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein
Opal, der hundert schöne Farben spielte,
Und hatte die geheime Kraft, vor Gott
und Menschen angenehm zu machen, wer
In dieser Zuversicht ihn trug ...
Wahrlich, das kennt man so gut wie auswendig, das ist nationales Kulturgut, unzerstörbar, unverlierbar, das gehört zum geistigen Bestand. Mögen unsere Städte zerstört werden von Kriegen und Kaufhäusern, mag unser Land geteilt sein in Ost und West und Nord und Süd - die Ringparabel kann uns keiner nehmen."
"Gott hat sich geschichtlich auf mehrfache Weise gezeigt und viele Wege zu sich geöffnet. Es ist, als ob die Gottheit durch die Sprache der Universalgeschichte warne gegen den Anspruch der Ausschließlichkeit. Der Ausschließlichkeitsanspruch, dieses Mittel des Fanatismus, des menschlichen Hochmuts, Selbsttäuschung durch den Machtwillen, dieses Unheil des Abendlandes erst recht in allen Säkularisierungen wie den dogmatischen Philosophien und sogenannten wissenschaftlichen Weltanschauungen, wird gerade dadurch überwindbar, daß Gott sich auf mehrfache Weise gezeigt hat."
"Das Haus war gut besetzt und folgte vier Stunden lang mit ersichtlichem Interesse. Mit mehr Interesse als Beifall. Im Parkett herrschte vorwiegend Schweigen, ein Schweigen, in dem sich, bewußt oder unbewußt, eine Verwunderung aussprechen mochte. Seit hundert Jahren lebt nun dies Evangelium der Toleranz, seit hundert Jahren wird es gelesen, dargestellt, zitiert; jede Figur ist populär, jede Sentenz ein geflügeltes Wort geworden - und was ist das Resultat? Doch nur die Wahrnehmung, daß das geistige Leben in einer Wellenbewegung geht und daß das, was gestern oben war, heut oder morgen unten ist. Und wieder umgekehrt. Was mir dabei persönlich als oben oder unten erscheint, in diese heikle Frage wünsch ich nicht einzutreten."
Ihr wißt wohl aber nicht, daß wenig Tage
zuvor, in Gath die Christen alle Juden
mit Weib und Kind ermordet hatten; wißt
wohl nicht, daß unter diesen meine Frau
mit sieben hoffnungsvollen Söhnen sich
befunden, die in meines Bruders Hause,
zu dem ich sie geflüchtet, insgesamt
verbrennen müssen. Als
ihr kamt, hatt ich drei Tag und Nächt in Asch
und Staub vor Gott gelegen, und geweint. -
Geweint? Beiher mit Gott auch wohl gerechtet,
gezürnt, getobt, mich und die Welt verwünscht;
der Christenheit den unversöhnlichsten
Haß geschworen -
Doch nun kam die Vernunft allmählich wieder.
Sie sprach mit sanfter Stimm: und doch ist Gott!
Doch war auch Gottes Ratschluß das! Wohlan! Komm! Übe, was du längst begriffen hast,
was sicherlich zu üben schwerer nicht,
als zu begreifen ist, wenn du nur willst.
Steh auf! - Ich stand! und rief zu Gott: ich will!
Willst du nur, daß ich will!"
"Tut nichts! Der Jude wird verbrannt!"
"Ich wollte den Wucherer Shylock mit seinem Opfer versöhnen, mit dem Kaufmann, aus dessen Leib der Jud sein Pfund Fleisch herausschneiden möchte.... Diese Beiden in einer einzigen Figur vereinen - Einem Menschen, der für alle steht, die guten Willens sind. Am Beispiel Nathans, des erlösten Shylock, eine Welt vorwegnehmen, in der Jud soviel wie Christ gilt, Frau soviel wie Mann, - das Zauberreich der Toleranz! Vorschein einer Welt, die gerecht und menschlich ist."