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Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer






Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei
mit besonderer Rücksicht auf die Mythologieen und Mysterien des Alterthums
von Dr. Jos. Schauberg, Zürich 1861

B a n d II. - Kapitel XLI



Auch dem nur flüchtig Beobachtenden und Nachdenkenden wird es kaum entgehen, dass im Gegensatze zu dem Gesellengrade, welcher das thätige Leben, die Lebenskunst, die menschliche Baukunst umfasst, der Meistergrad sich mit dem Menschen im Tode und nach dem Tode beschäftige, die maurerische Lehre von den letzten Dingen enthalte. Der Geselle lernt leben, der Meister aber soll sterben lernen und er kann es, wenn er ein rechter Geselle gewesen. Deshalb ruft den Maurern der Meistergrad zukächst zu: "Memento mori! Gedenke deines Todes und bereite dich durch ein würdiges Leben dazu vor!" Wer könnte aber des Todes gedenken, ohne zugleich mit Br. Salis zu sprechen:

Das Grab ist tief und stille,
Und schauderhaft sein Rand,
Es deckt mit schwarzer Hülle
Ein unbekanntes Land.

So richten gewiss auch die Meistermaurer den Blick über das tiefe stille Grab hinaus und möchten erfahren, was jenes unbekannte Land berge, was jenseits des Grabes liege, und zu hoffen oder zu fürchten stehe. Die Maurerei überhört die forschende Frage nicht und ertheilt darauf die Antwort durch das Denkmal der Meister, auf welchem mit Flammenschrift geschrieben steht: "Deponens aliena ascen-





dit unus; von der Erdenlast befreit, schwingt sich der Geist zum Himmel auf!" Die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, von der Unvergänglichkeit des Geistes und seinem dereinstigen Eingehen in das ewige Licht ist somit die grosse Grundlehre des Meistergrades und ihr ist das einzige Denkmal der Meister geweiht. Beim Eintritte in das maurerische Leben wird dem Maurerlehrlinge verkündet, dass nur ein einziger Gott sei, welcher durch sein allmächtiges Wort die Welt und den Menschen erschaffen der sterbende Meister nimmt die frohe Verheissung mit sich in das Grab, dass er unsterblich daraus sich wieder erheben werde. Gott ist der Anfang und das Ende der Maurerei, da die Unsterblichkeit der Seele blos die Rückkehr zu Gott, der Einzug in den Himmel ist. Sterben im eigentlichen Sinne heisst dem Maurer, die irdische Hülle abwerfen und eingehen in das ewige Licht, in den ewigen Osten. Diese Auffassung der Unsterblichkeit der Seele als das Werden und Sein im reinsten Lichte, im ewigen Geiste, in der himmlischen Klarheit und Wahrheit, ist die erhabenste, welche gedacht zu werden vermag, und sichert der Maurerei ihren unvergänglichen Werth, macht sie wesentlich zum Lichtglauben und zur Lichtlehre. Dem Inder ist der Tod nur das Erlangen der ewigen Ruhe; die Seligkeit besteht nach seiner Anschauung in der ewigen Ruhe, wie es schon in diesem Leben seine höchste Aufgabe ist, durch Bezwingung und Ablegung aller Leidenschaften und jeder sinnlichen Regung sich die möglichste Ruhe zu verschaffen. Dieser Wunsch des Inders nach Ruhe in diesem und in jenem Leben beruht in dem heissen Klima Indiens wenigstens theilweise auf einem natürlichen Bedürfnisse, auf natürlicher Trägheit und Mangel an Thätigkeit. 1) Jene indische Vorstellung von der Seligkeit als der ewigen Ruhe ist indessen auch den Christen nicht ganz fremd. Den Völkern unter dem nicht erschlaffenden und regern Himmel des Nordens, besonders dem Zendvolke ist dagegen die Seligkeit das Erschauen des ewigen Lichtes, das Lichtund Geistsein, das Abstreifen des Irdischen und Menschlichen und das Gott ähnlich Werden. Auch der Maurer




    1) Lassen, indische Alterthurnskunde, I. S. 412.



geht nicht zur ewigen Ruhe ein, wo alles Leiden und alles Leben aufhört, sondern aus dem dahinfallenden Leibe des Maurers steigt seine freigewordene Seele zu dem ewigen Himmelslichte hinauf, wo jede Finsterniss und jeder Irrthum schwindet. Die Seligkeit des Maurers ist das ewige Leben bei Gott, das ewige Sein in dem Lichte, ein ewiger Morgen oder Osten in dem Himmel. Die Aufgabe des Maurers in diesem Leben ist ebenso nicht das Ertödten des Fleisches und jeder Sinnlichkeit, ist nicht ein langsamer Selbstmord, sondern das unablässige Suchen des Lichtes oder der Reinheit in Gedanken, Worten und Werken. Der Mensch ist Licht, stammt aus dem ewigen Lichte und soll durch ein lichtvolles Leben und Sterben wieder zu dem Lichte zurückkehren. Schon der Vendidad, das zoroastrische Gesetzbuch des Zendvolkes, sagt in dieser Hinsicht: "Wie der Mensch rein und des Himmels würdig erschaffen ist, so wird er wieder rein durch das Gesetz der Ormuzddiener, das die Reinigkeit selbst ist, wenn er sich reinigt durch die Heiligkeit des Gedankens, durch die Heiligkeit des Worts und durch die Heiligkeit der That. Siehe da das Gesetz. Das Gesetz der Ormuzddiener nimmt alle schlechten Gedanken, Worte und Handlungen in ähnlicher Weise hinweg, wie der starke, schnelle Wind den Himmel von der rechten Seite her reinigt." -

In verwandtem Sinne lautet die Inschrift auf dem Denkmale der Meister: Deponens aliena, ascendit unus, d. h. um in das ewige Licht aufgenommen zu werden, um als reiner Geist aufzusteigen, um der Unsterblichkeit theilhaftig zu werden, muss die Seele zuvor von allem Irdischen, Fremdartigen, Bösen und Unreinen befreit und gereinigt sein. Die Seelenreinigung, die Tugend, das Gute und Reine, oder das Licht in Gedanken, Worten und Werken, ist der einzige Weg und die einzige Pforte, auf welchem und durch welche der Mensch in das ewige Licht, zu Gott und in den Himmel zu dringen vermag. Der Mensch ist unsterblich, heisst genauer und strenger aufgefasst, dass der Mensch durch ein reines Leben, durch seine guten Thaten, durch sein lichtvolles Sterben sich selbst unsterblich machen müsse. Das gute Leben soll das Denkmal des wahren Meisters sein, - nur wenn er dieses Denkmal sich gesetzt, wird





Unsterblichkeit ihn lohnen; nur der Meister, welcher recht gelebt hat und gestorben ist, wird wieder aus dem Grabe zum ewigen Leben erwachen. Nicht das Wort, die That allein sprengt die Grabesdecke und erweckt die Todten. In dem memento mori und bei dem Denkmale der Meister empfängt daher der Maurer die ernste Mahnung an das letzte Gericht, - an die Belohnung des Guten und die Bestrafung des Bösen, welches hier der Mensch gethan. Das letzte Gericht ist das Loos, welches den Menschen nach seinem Tode zufolge seiner eigenen guten oder schlechten Thaten in diesem Leben trifft und nothwendig treffen muss, weil es ein Gutes und ein Böses gibt, - jenes den Lohn, dieses die Strafe in sich selbst trägt. Dass das Gute belohnt und das Böse bestraft werde, drückt nur aus, dass das Gute gut und das Böse bös sei, dass das Licht zum Lichte und die Finsterniss zur Finsterniss führe, dass das Göttliche und Himmlische allein zu Gott und in den Himmel aufgenommen werden könne. Durch seine freie That fällt der Mensch sich selbst das letzte Urtheil, bereitet sich das Leben dort durch das Leben hier, - hat in der eigenen Wahl den Weg zu zweien Schicksalen, zum Himmel und zur Hölle, offen. Dass der sterbende Mensch durch seine guten Handlungen sich selbst in die Unsterblichkeit hinüberführe, wird in dem Zendavesta ausserordentlich schön also dargestellt.

"Nach der Loslösung von dem Körper empfindet die Seele des Gerechten einen Wohlgeruch und erblickt ein jungfräuliches Lichtwesen, rein, wie das Reine in dieser Welt. Die Seele des Gerechten spricht zu ihm: "Wer bist du? Unter allen Wesen, die mit Leibern umgeben sind, habe ich niemals ein reineres als dich gesehen." Das jungfräuliche Lichtwesen antwortet: Ich bin dein eigenes Gesetz; - ich bin, was du Reines gesucht hast, dein reiner Gedanke, dein reines Wort, dein reines Wirken; - ich bin von dir selbst, - der du einem reinern Gesetze folgtest, so lange du im Leben warest. Dem zufolge, was du gethan hast, bin ich jetzt so vortrefflich, so heilig, so rein, von so edlem Dufte, siegend, über alle Furcht hinaus; deinem Streben zufolge, wornach du das Gute suchtest im guten Denken, im guten Reden und guten Handeln, bin





ich jetzt rein, von edlem Dufte, über alle Furcht hinaus. - Die Seele des Gerechten thut dann einen Schritt und setzt sich an den Ort des reinen Gedankens; die Seele des Gerechten thut einen zweiten Schritt und setzt sich an den Ort des reinen Wortes; die Seele des Gerechten thut einen dritten Schritt und setzt sich an den Ort der reinen That; die Seele des Gerechten thut einen vierten Schritt und geht damit in das Urlicht ein."

Diese Lehre des alten Zendvolkes ist auch die einzige die erste und die letzte Lehre der Maurerei, sie will des Menschen Geist durch das Licht seines Lebens und Sterbens in das Urlicht zurückgeleiten. Auf dem Denkmale der Meister löst die Seele des Gerechten sich von dem Leibe, von dem Staube los und steigt durch ihre eigenen Thaten, durch ihr eigenes reines Gesetz, als zum Lichte durch sich selbst geworden, zum Urlichte empor. Das weisse Kleid, welches der Maurerlehrling, der Lehrling der Weisheit als das Symbol seines Strebens nach der Reinheit der Gedanken, Worte und Werke empfängt, muss in dem Grabe des Maurermeisters in der That und Wahrheit das Kleid, das Wesen seiner Seele sein, damit diesem reinen Lichtwesen der Himmel sich öffne. Der Lehrling und Geselle suchen das Licht auf Erden; der Maurermeister muss es in dem Himmel finden, wenn nicht die Finsterniss ihn auf die Erde, in dem Grabe bannen soll. Das Licht in sich selbst soll in dem Leben hier der Maurer pflegen und treu bewahren, dann wird nach dem Tode ihn das ewige Licht und Leben umfangen. Das Licht allein, der reine Geist, das reine Ich ist unvergänglich und ewig, lebt unsterblich wie das Denkmal der Meister spricht. Deponens aliena, unus ascendit; also die Seele, der Geist, das individuelle Wesen, der Eine dauert fort. 1) Die Unsterblichkeit des Geistes ist dem Maurer nicht das indische Vergehen und




    1) Besonders hatten auch die alten Kelten den Glauben an die individuelle Fortdauer des Menschen nach dem Tode, an das himmlische Leben als einer blossen Fortsetzung des irdischen und auf diesem Glauben beruhen die keltischen Todtenbestattungsgebräuche, wornach der Todte auch für das künftige Leben mit Allem versehen wurde, was er hier bedurft und geliebt hatte (Mittheilungen der antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Bd. III, S. 69 ff.).



Verwehen der Seele in der ewigen Ruhe, in der allgemeinen Weltseele, in dem Aufhören des Ichs, sondern das unsterbliche individuelle Fortleben in dem ewigen Lichte. Das indische Büsser- oder Waldsiedlerleben, d. i. das Streben durch die Vernichtung alles sinnlichen Lebens und aller sinnlichen Begierden reiner Geist zu werden, mit Brahma wieder vereinigt zu sein, ist nur eine Art Selbstmord, die Tödtung und Aufhebung des Ich bei lebendem Leibe. Das Wiedergeborenwerden ist die eigentliche Höllenstrafe der Inder und nur das Aufhören, das Verschwinden des Ich ohne Wiedergeburt die Seligkeit. Die ganze Lehre des Buddha beruht darauf, dass der Mensch durch Besiegung und Tödtung alles sinnlichen und geistigen Lebens, der Begierden, Leidenschaften und Vorstellungen aufhören solle zu fühlen und zu denken, um in das Nichts einzugehen, um nicht fortzudauern, um nicht wiedergeboren zu werden. 1) Das eigentliche Denkmal des Maurermeisters ist daher er selbst, seine der Himmelsheimath zufliegende Seele; was von uns übrig bleibt, nimmt der gütige Himmel auf und ist in ihm allein wieder zu finden. Der Unsterblichkeitsglaube des Maurers schliesst desshalb auch die feste Hoffnung des Wiedersehens der Seinen, der Brüder in sich. Auch der szufitische Dichter Feridoddin singt:

An dem Auferstehungsmorgen giebt's dereinst ein Wiedersehen.

Ja, die Maurerbrüder sehen sich sicher in dem Lichte wieder, wenn sie lichtvoll gelebt haben und gestorben sind; die Bruderkette reichet, wie die Maurer glaubend beten, durch das Geisterreich; die Guten, die Lichter, die Geister bleiben ewig sich verbunden und verschwistert. Von dem Denkmale der Meister aus den Himmelslüften herab rufen die Dahingeschiedenen den Zurückgebliebenen tröstend zu, dass wir dereinst uns wiedersehen dürfen und wiedersehen werden, wenn wir nicht von dem Lichtgesetze, nicht vom Winkelmass und Zirkel weichen. Wer dem Maurerbunde zugeschworen und den Schwur durch ein lichtvolles Leben und Sterben besiegelt, bleibt den Brüdern in Zeit und Ewigkeit untrennbar verbunden. Es ist der höchste und




 "  1) Dunker, Geschichte des Alterthums, II. S. 182 ff.



geistigste Gedanke des unsterblichen Geistes, sich im irdischen und himmlischen Leben treue Gefährten, Brüder sein zu wollen. Bei den Indern und bei den Hebräern schon heisst desshalb sterben nur, zu seinen Vätern eingehen, - zu seinen Vätern und Stammgenossen, zu seinen Brüdern versammelt werden, und in ähnlichem Sinne betrachteten die Römer das Sterben. Die dem Alterthume, dem Morgenlande angehörende Verehrung der Verstorbenen, der indischen Väter und der römischen Manen, ist die Verehrung des Lichtes des Himmels, in welches die Verstorbenen uns vorangegangen sind.

Das Schönste, was hienieden uns erscheinet,
Ist immer noch mit rohem Stoff verwebt.
Ihr, die nach dem, was ewig uns vereinet,
Nach Freundschaft, die unendlich dauert, strebt,
Nach einem Wiederfinden all' der Seinen,
Die man vor uns und einst nach uns begräbt,
Durchdringt die Wolke, die das Grab umdüstert:
Die Edeln bleiben ewig sich verschwistert.
Hoch über Sternen, kennet das Vertrauen
Den Sammelplatz dess, was siel; hier verlor;
Nichts trennt die Geister - Eine hehre Halle
Die Welt des Herrn, fasst und umfängt uns Alle.

Maurer fliegt von euren Sitzen, reicht die Hand zur Bruderkette und schwöret es, bis zum Urlichte der Tugend und dem Bunde treu zu sein.