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Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer






Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei
mit besonderer Rücksicht auf die Mythologieen und Mysterien des Alterthums
von Dr. Jos. Schauberg, Zürich 1861

B a n d I. - Kapitel IX



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Der Spiegel.

Der bei den Maurern im Gesellengrade erscheinende Spiegel ist ein sehr wenig beachtetes und noch weniger besprochenes, aber dennoch ein vielsinniges und zugleich dem grauesten Alterthume entstammendes Symbol. In den Encyklopädien von Gädike und Lenning, sowie in den Schriften von Krause ist auch nicht ein Wort über das Symbol des Spiegels gesagt.

Indem der zum Gesellen zu befördernde Maurerlehrling vor den Spiegel geführt wird und darin nach Entfernung des ihn verhüllenden Vorhanges sein eigenes Bild, - sich selbst wie er ist, erkennen und betrachten soll, wird ihm als die besondere Aufgabe des Gesellen, des Maurers und des Menschen die Selbsterkenntniss und durch diese die Vervollkommnung seiner selbst bezeichnet. Der Spiegel ist somit nur eine andere GestaItung des cubischen Steines mit dem darauf liegenden Winkelmasse, welches dirigit obliqua. Der Geselle soll sich selbst zum eubischen Steine, zum brauchbaren Steine in dem grossen Baue der Menschheit durch Ablegung und Entfernung seiner Fehler und Gebrechen formen, aber, um die Fehler und Gebrechen ablegen und entfernen zu können, muss er dieselben zuerst kennen und so wird die Selbsterkenntniss die Bedingung und das Mittel der Selbstvervollkommnung. An sich selbst muss der Geselle das Winkelmass anlegen, muthig in die geheimsten Falten seines Herzens und seines Geistes blicken, wenn es hier Licht und besser werden, wenn er selbst ein Anderer und Vollkommenerer werden soll. Sich selbst in seinen Mängeln zu erkennen und zu verbessern, ist nunmehr die maurerische Mess- und Baukunst. Dieses ver-





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kündet dem Gesellen der Buchstabe G, die Geometrie, in dem fünfeckigen flammenden Sterne, in dem pythagoräischen Pentalpha. Der Maurergeselle, welcher treu und fleissig die Messkunst oder Geometrie übet, - welcher niemals das Winkelmass anzulegen unterlässt, wird in seinem Herzen und Geiste stets mehr gesund werden und in diesem Sinne ist auch dem Maurergesellen wie einst dem Pythagoras der regelmässig in sich selbst zurückkehrende fünfeckige Stern das Symbol des sittlichen und geistigen Wohlbefindens und Wohlverhaltens (Hugiea). Die Maurerei ist nicht allein die sittliche Messkunst, sie ist auch die sittliche Gesundheitslehre. Die Masonen sind auch die Therapeuten, die Seelenärzte, die Pfleger und Stärker des Gemüthes und des Geistes. Das Mittel zur Erlangung dieser Gesundheit, gleichsam die Gesundheit selbst ist das Winkelmass, das rechte Mass in allen Dingen, sit modus in rebus, - moderatio. Moderatio bezeichnet hier aber weniger die Tugend der Mässigung als die Kunst des rechten Lebensmasses, des geraden und rechtwinkligen Lebensschrittes, - der rechten Richtung - in Gedanken, Worten und Werken, - die sittliche und geistige Geometrie. Den rechten Schritt und das rechte Mass, die Gesundheit des Herzens und des Geistes kann nur finden und sich erhalten, wer beständig prüft, welchen Weg er wandele, - der das Unmässige erforscht und meidet, - der die Krankheiten seiner selbst kennet und heilet, wirklich ein Therapeute ist. In dem vorgehaltenen Spiegel soll der Maurer seine Seelen- und Geisteskrankheiten erkennen, um sie heilen und gesund werden zu können; der nach der Gesundheit verlangende Kranke stellt in dem Spiegel, in der Selbsterkenntniss sich die Diagnose. Wie durch den Spiegel die Maurerei den Menschen zur Erkenntniss seiner selbst, zur Erkenntniss seiner Gebrechen und Schwächen und damit zur Selbstvervollkommnung, zur Tugend und Gesundheit leiten will, ebenso will sie dieses durch die Kammer des stillen Nachdenkens und das auferlegte Stillschweigen bei dem Lehrlinge und Gesellen erreichen. So soll auch schon der Aufnahme in die ägyptischen Mysterien ein achtzehntägiges Stillschweigen, welches man die Reinigung der Seele nannte,





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vorausgegangen sein. 1) Dem Forseti, Forasiszo, dem bei den Gerichten vorsitzenden Sohne des Gottes Baldur, ist auf Helgoland ein Brunnen geweiht, aus dem man das Wasser nur schweigend schöpfen durfte; man soll nachdenken, ehe man richtet oder um zu richten. 2) Ebenso soll der Maurerlehrling und Geselle schweigen, um reden zu lernen, - sich selbst erkennen, um handeln zu lernen und besser zu werden. In dem Tempel des Apollo zu Delphi stand an der Wand "Erkenne dich selbst, Nichts allzusehr" d. h. durch die Selbsterkenntniss erstrebe das rechte Mass, modus et moderati. Besonders lehrte auch Pythagoras, dass der Mensch beständig auf sich achten solle, um innerlich und äusserlich ein würdiger Mensch zu sein und sich als sittliches Kunstwerk zur Wirklichkeit zu bringen; der pythagoräische Bund war ein Versuch zur praktischen Ausführung dieser Lehre und ein gleicher Versuch ist der Maurerbund. Das Stillschweigen und die Selbsterkenntniss waren und sind dabei nicht selbst der Zweck, sondern blos das Mittel zum Zweck, was Br. Goethe sehr wahr dahin ausdrückt:

"Wie kann man sich selbst kennen lernen? Durch Betrachtung niemals, wohl aber durch Handeln. Versuche deine Pflicht zu thun und du weisst gleich, was an dir ist."

In gleichem Sinne sprach Goethe: "Die Arbeit macht den Gesellen." - Auch das Gebot des Pythagoras, Morgens beim Aufstehen die Pflichten des Tages zu überdenken und Abends vor dem Schlafengehen sich Rechenschaft zu geben, wie sie erfüllt worden seien, - was habe ich gefehlt, was recht gethan, was pflichtwidrig, verfehlt?, ist ein sich täglich vorzuhaltender maurerischer Spiegel. Die Parsen sollen gleichfalls, wie der Sad-der Bundeheschi vorschreibt, am Abende, ehe sie einschlafen, nochmals sämmtliche Thaten , die sie den ganzen Tag über vollbracht haben, durchdenken und prüfen, ob sie gesündigt haben




1) Kauffmann et Cherpin, histoire philosophique de la Franc-Maconnerie, p. 114.
2) Simrok, deutsche Mythologie, S. 344.



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oder nicht. 1) Möglicher Weise könnte das pythagoräische Gebot dem parsischen nachgebildet sein.

Höher aufgefasst, ist der Spiegel, in welchem der Maurergeselle sein eigenes Bild suchen und erkennen soll, ein Memento mori, - der warnende Zuruf, dass er dort nach seinen Thaten hier werde gerichtet und gemessen werden, dass ein ewiger Richter und ein ewiges Winkelmass sei. Nach den indischen Vorstellungen bedient daher der Todtenrichter Yama sich eines Spiegels, in welchem er die guten und die bösen Handlungen des Menschen erblickt und prüfet, um ein gerechtes Urtheil über sie zu fällen. 2) Der Spiegel, in hier der Todtenrichter Yama blickt, bevor er sein Urtheil fällt, ist wohl die Seele des Verstorbenen und zu Riehtenden selbst, indem sie das getreue Spiegelbild seines vorausgegangenen guten oder schlechten Lebens ist und sein muss, - der Zustand und die Beschaffenheit, in welchem die Seele des Menschen aus diesem Leben scheidet. ihr jenseitiges Schicksal und Sein bestimmt, - der Sterbende sein eigener Todtenrichter ist. In diesem Sinne ruft auch Jesaja 3, 10:

Saget, dem Gerechten gehet es wohl:
Denn die Frucht seiner Thaten wird er geniessen.
Wehe! dem Gottlosen geht es übel:
Denn sein eigenes Thun wird ihm vergolten.

An den Spiegel des indischen Yama erinnert auch der in den deutschen Sagen von dem Basilisken vorkommende Spiegel. Der Basilisk wird nämlich getödtet, indem man ihm einen Spiegel vorhält, damit er bei seinem eigenen Anblick durch die entsetzlichen Augen des Spiegelbildes sterbe. 3) Auch der Licht- und Sonnenheld Perseus überwindet in ähnlicher Weise mit Hülfe eines Spiegels, den er von der Lichtgöttin Athene erhalten, die grässliche schlummernde Medusa 4) So wird auch die im Todtenreiche ankommende Seele gerichtet, getödtet und belebt,




1) Spiegel. Avesta II, Einleitung S. L.
2) Müller, Glauben der alten Hindus, S. 245.
3) Schwartz, Ursprung der Mythologie, S. 53 Anm.
4) Furtwängler, Idee des Todes, S. 70.



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indem sie in dem von dem ewigen Richter vorgehaltenen Spiegel ihr eigenes hässliches oder schönes Bild und vorangegangenes Leben erblickt. Aehnlich, wie hier dem Gesellen zugerufen wird, wird der Ewige dem Verstorbenen dort zurufen: "Hebe den Vorhang von dem Spiegel und du wirst dich selbst erkennen, dein eigenes Urtheil lesen." Nunmehr könnte daher der dem Maurergesellen vorgehaltene Spiegel auch in dem Sinne gedeutet werden, dass der Geselle sein Leben und seine Seele spiegelrein erhalten und nicht durch das Böse und Unreine verdunkeln möge.

Bedenke, dass ein Gott in deinem Leibe wohnt, Und vor Entweihung sei der Tempel stets verschont.

singt ein indischer Brahmane oder Rückert. Zufolge dem parsischen Bundehesch, Kap. 31 , werden nach der Auferstehung alle Menschen so rein sein wie ein Spiegel.

Auch der baktrische Tschemschid, wie der griechische Dionysos, haben einen Spiegel, in welchem die irdische Welt sich spiegelt, und die täuschenden und eitlen Bilder dieses Spiegels sind es, welche die himmlischen Seelen in das irdische Leben und die irdische Lust verlocken und herabführen. 1) In den dionysischen oder bacchischen Mysterien war daher der Spiegel ein vielgebrauchtes Symbol und wird in Grossgriechenland oder Unteritalien in den Gräbern der Eingeweihten auf Vasen gefunden. Die dionysischen Mysterien sollten und wollten die Eingeweihten aus der eitlen und täuschenden Sinnenwelt in das himmlische Reich und Leben zurückführen und der Spiegel in den Gräbern der Eingeweihten kann wohl nur andeuten, dass sie den Schein und die Täuschung überwunden und das ewige Licht und die Wahrheit wiedergefunden haben. Dem Spiegel, in welchen der Maurergeselle bei dem Beginne seines Wanderlebens blickt, darf mithin auch die Bedeutung beigelegt werden, dass er dem Gesellen eine Warnung sein solle, sich vor Täuschungen und leerem Scheine zu bewahren und stets nur der Stimme des ihn durch das Leben begleitenden guten Genius, dem Gotte




1) Menzel, Odin, S. 42 u. 78; Creuzer, Symbolik, Ill. S. 391 ff., S. 425 ff. u. S. 500.



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in der eigenen Brust zu folgern. Der Spiegel ist das Symbol des Irdischen und Vergänglichen, des glänzenden und doch eitelen Scheines, welchem der Eingeweihte entsagen und entgehen soll; ein täuschendes und sinnverwirrendes Spiegelbild, welches der Mensch sich selbst erträumt und vorspiegelt, ist das ganze irdische Sein und Leben und nur dort ist Wirklichkeit und Wahrheit.

Ob in den Mithramystrien der Spiegel gleichfalls als ein Symbol gebäuchlich gewesen sei, wissen wir nicht, jedoch steht es nach dem oben von dem parsischen Tschemschid und dem indischen Yama Bemerkten mit Wahrscheinlichkeit zu vermuthen. Ist diese Vermuthung begründet, haben die Maurer durch Vermittlung der Römer und der römischen Baucorporationen das Symbol des Spiegels erhalten.

Dass nach der Voluspa bei Urds Brunnen die Asen täglich Gericht halten, deutet Menzel, Odin S. 117, dahin, dass die Asen das Urtheil über der Menschen Thun aus dem Spiegelbild des Jüngstvergangenen im ewigen Quell des Gewordenen oder der Geschichte schöpfen.

Auch die schöne Mythe des griechischen Jünglings Narcissus darf hierher gezogen werden, indem er, sein Bild im Spiegel einer klaren Wasserquelle am Helikon erblickend, sich, von Sinnentäuschung verlockt, in sich selbst verliebt und über diese Liebe zu Tode härmt. Diese einfache Mythe ist unendlich sinnreich und lehrt auf das Lebendigste, dass der Mensch nicht in den Spiegel der Welt blicken und durch dessen eitele Bilder sich täuschen und verlocken lassen dürfe; die Täuschung und Verlockung ist todbringend. Der Mensch muss den Schleier der Täuschung, der indischen Maja zerreissen und nur die innere Wahrheit suchen und umfassen. Das eitele Bild des Spiegels ist ein vorübergehendes und augenblickliches und und überdauert unsere Täuschung nicht, doch unvergänglich und ewig, ist das Wahre, Gute und Schöne, sie sind die einzigen stützenden Pfeiler der Welt und der Menschheit. Nach Furtwängler, die Idee des Todes, S. 76, Anm. 11, wäre schon dem Namen nach der sich täuschende, der in den Wasserspiegel blickende Narcissus der dem Tode Verfallene, der Tod selbst, von dem Sanskritischen





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nark = Todesdunkel, woher im Griechischen = Todeserstarrung. Die Sinnentäuschung - und Sinnenverblendung ist eine verzehrende Flamme, ein tödtliches Gift der Seee und des Lebens. 1) Der maurerische Mysterienspiegel ist vielleicht auch den Eleusinien entlehnt oder kommt dort wenigstens im ähnlichen Sinne vor, indem der Myste sein Bild in dem Spiegel erblicken und dadurch zur Wahrheit geleitet werden sollte. 2)




1) Anders deutet die Mythe des Narcissus Furtwängler, a. a. O., S. 77, Anm. 16.
2) Furtwängler, a. a. O., S. 76, Anm. 14.