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Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer






Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei
mit besonderer Rücksicht auf die Mythologieen und Mysterien des Alterthums
von Dr. Jos. Schauberg, Zürich 1861

B a n d I. - Kapitel XXXIV.



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Wer darf in der Loge, dem Tempel Gottes, weilen?

Eine Lehrlingsansprache beim Winterjohannisfeste.

Meine lieben, neuaufgenommenen Brüder! Die Loge, in welche Sie nun eingetreten sind, ist das Symbol der Welt, ja bezeichnet im Sanskrit wörtlich die Welt. Die Lehrlingsaufnahme erscheint daher als die symbolische Auf-




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nahme zum Weltbürger, als die symbolische Einführung in die Welt und die Maurerei selbst stellt sich damit vom ersten Anfange als eine weltbürgerliche oder kosmopolitische Einrichtung dar. Die Maurerei will den Menschen zum Weltbürger erziehen und bilden durch den Glauben und die Liebe zu dem Einen Gotte aller Menschen, und wenn Sie heute diesen Glauben und diese Liebe nicht gewonnen haben und stets vermehrend pflegen, stehen Sie trotz Ihrer Aufnahme noch vor des Tempels Pforten, porro fanum, sind Profane. Bei dem Eingang in die Loge erblicken Sie zwei Säulen, wie solche Säulen, Pyramiden und Obelisken einstens in Phönizien und Aegypten vor oder auch in vielen Tempeln standen. Vor dem, 1000 J. v. Chr. von dem Könige Salomo mit grosser Pracht zu Jerusalem neu erbauten Tempel standen, mit dem Namen, welche dieselben noch heute bei den Maurern tragen, gleichfalls zwei derartige Säulen, die, gleich den übrigen Geräthen des Tempels, durch den tyrischen Baumeister und Erzgiesser Hiram aus gegossenem Erze angefertigt waren. Diese Säulen haben eine doppelte symbolische Bedeutung, zunächst eine kosmogonische oder physikalische und sodann eine ethische, sittliche oder moralische. Im kosmogonischen oder physikalischen Sinne, in ihrer blossen Naturbedeutung, verkünden die zwei Säulen den ewigen Wechsel und Kampf zwischen Finsterniss und Licht, Nacht und Tag, Winter und Sommer, Kälte und Wärme, Ruhe und Bewegung, Tod und Leben, welche das Leben und das Gesetz der Schöpfung und der Welt bilden. Die beiden Säulen in ihrem einfachsten und natürlichsten Sinne sind der Morgen- und der Abendstern, die Sonne und der Mond, die unzertrennbaren Zwillingsbrüder oder Dioskuren, welche in unabänderlichem Gange und Wechsel den Tag und die Nacht, das Licht und die Finsterniss herauf- und hinabführen. Deshalb stehen auch sehr bezeichnend in der Loge den beiden Säulen die aufgehende Sonne und der untergehende Mond gegenüber, wie den beiden Kugeln auf den Säulen selbst die Bedeutung beigelegt werden darf, dass sie den ewigen Umschwung und Kreislauf von Nacht und Tag, Licht und Finsterniss, Sonne und Mond, Auf- und Niedergang andeuten sollen. Den verwandten Gedanken




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drücken auch die maurerischen Feste der Winter- und der Sommersonnenwende, des neugeborenen Christus und des sterbenden Johannes, sowie der Lehrling im Gegensatze zu dem Meister aus. Aber die beiden Säulen deuten nicht allein auf den kosmogonischen oder physikalischen Dualismus, welche das Welt- und Naturleben bilden und hier als das ewige Welt- und Naturgesetz mit einander ringen, sondern auch noch mehr auf den ethischen oder sittlichen Dualismus zwischen dem Guten und dem Bösen, dem Reinen und dem Unreinen, dem Wahren und Falschen, dem Rechten und Unrechten, welche das Leben eines jeden einzelnen Menschen, wie der ganzen Menschheit tragen und ausmachen. Indem der Maurerlehrling durch die ethischen Säulen des Guten und des Bösen in die Loge geleitet wird, steigt nach den Vorstellungen des Alterthums und besonders der Aegypter, des Zendvolkes und der Inder, seine Seele aus dem Himmel, wo sie bisher bei Gott wohnte, aber gegen ihn fehlte, zu ihrer Busse und Reinigung hinab in den irdischen Kampf des Guten und Bösen, um sich in diesem Kampfe als ein siegreicher Streiter für das Gute gegen das Böse zu bewähren und sich die Rückkehr, die Wiederaufnahme in den Himmel, in das ewige Licht und Leben zu erwerben. Der neugeborene Mensch erscheint als ein Sohn des lichten Himmels- und der dunklen Erde; der Kampf zwischen dem Himmlischen und Irdischen in dem Menschen ist sein Erdenloos und Leben, und der Mensch kehrt als reiner Geist, als Licht, erst dann in den Himmel und in das Licht zurück, wenn er alles Irdische überwunden und abgestreift hat. Der irdische Leib muss zerfallen und vergehen, damit die göttliche Seele, der Geist unsterblich fortlebe. Die beiden Säulen bei dem Eingange in die Loge und in das Leben verkünden, dass dem Menschen auf Erden zwei Wege geöffnet seien, von denen der rechte Weg zum Lichte, zum Guten, zu Gott und in seinen Himmel, nach dem ewigen Osten und Leben führet, der linke aber zur Finsterniss, zum Bösen in die Hallennacht und Höllenqual. Welchen dieser zwei Wege der Mensch wählen und ziehen wolle, ist ihm freigegeben; jedoch die Maurerei ruft dem Lehrlinge warnend und liebend zu, dass er den rechten und




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geraden Weg nach dem Lichte im Osten wählen und wandeln solle. Der Maurerlehrling ist der Pilgrim, dem Schiller zurufet:

"Wandle, rief's, der Weg ist offen,
Immer nach dem Aufgang fort,
Bis zu einer goldnen Pforten
Du gelangst, da gehst du ein;
Denn das Irdische wird dorten
Himmlisch, unvergänglich sein."

Die Lehrlingsaufnahme führt nicht schon wirklich in das Himmelslicht, der Maurerlehrling ist noch kein reinerer und besserer Mensch; die Lehrlingsaufnahme ist blos das Symbol und die Lehre des Lebens, welches der Mensch leben, und des Weges, den er gehen müsse, wolle er dereinstens in das Licht und zu Gott einzugehen hoffen. Der Maurerlehrling soll und wird ein reinerer und besserer Mensch, ein unvergängliches Licht werden, wenn er dem Rufe und Gebote des Meisters in dem Himmel oben folgt, wenn er nach der Mahnung Zoroasters stets lichtvoll, rein und gut denkt, spricht und handelt. Der Maurer wird sicher das Licht finden, wenn er es redlich und beharrlich sucht, und es so suchen zu wollen, haben alle Maurer feierlich gelobet und geschworen. Die beiden Säulen vor dem Eingange in die Loge und in die Welt sind der gute und der böse Genius, welche nach dem Glauben vieler Völker des Alterthums dem Menschen bei seiner Geburt als seine Lebensbegleiter und Lebensführer beigegeben werden und die gleichsam um seine Seele streiten. Der gute und der böse Genius des Menschen ist indessen blos das Symbol der ihm freigelassenen Wahl der zwei Schicksalswege des Guten und des Bösen, des in ihm selbstliegenden guten und bösen freien Willens und Geistes. Den bösen Genius, den bösen Willen und Geist in sich selbst soll der Mensch durch den guten bekämpfen und überwinden; - die Sonne, das Gestirn des Tages, soll aufgehen, und der Mond, das Gestirn der Nacht, soll untergehen, - die Nacht soll dem Tage, die Finsterniss dem Lichte, das Böse dem Guten weichen. Die Maurerweihe ist die Weihe zum heiligen und unablässigen Streite für das Licht gegen die Finsterniss, und zum Symbole dieser Weihe wird dem Maurer-




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Lehrling ein Schwert gereicht und umgegürtet. Meine lieben, neu aufgenommenen Brüder, treten Sie muthig hinaus in das wilde, tobende und stürmende Leben, kämpfen und streiten Sie, überwinden Sie mit dem Schwerte des Lichts, der Tugend und der Wahrheit das Böse, das Laster und die Falschheit in und um sich, dann wird im Tode die weisse Schürze Sie schmücken und das ewige Licht und Leben wird Ihr Lohn sein. Sie werden siegreich streiten, wenn Sie immer so gerade und unerschrocken vorangehen, als Sie heute Ihren Führern gefolgt sind, - wenn Sie Ihrem guten Genius nicht untreu werden, - wenn Sie die Worte des Meisters nicht vergessen. Den guten Genius, Gott und sein Gesetz, tragen Sie in der eigenen Brust und in dem eigenen Geiste; erfüllen Sie die Stimme Ihres Gewissens und den Rath Ihrer Vernunft, wenn Sie das Gute üben und das Böse lassen, wenn Sie Gott dienen wollen. Die Wahl zwischen den beiden Schicksalswegen des Menschen ist zugleich die Wahl zwischen dem Seelenfrieden und der Seelenpein, welche den guten und den bösen Handlungen des Menschen auf dem Fusse folgen und sich lohnend und strafend an ihn anklammern, dass er selbst durch den Tod ihnen nicht zu entrinnen vermag. Schon nach dem chinesischen Confucius ist das von dem Menschen zu erstrebende höchste Gut der Friede der Seele, sowie die ihn bedingende tugendhafte Gesinnung und das tugendhafte Handeln; den Seelenfrieden erreicht, tugendhaft ist gesinnt und handelt, wer stets in der rechten Mitte beharrt, d. h. den geraden Weg geht und nach keiner Seite davon abschweift. Auch die ganze indische Philosophie, ja selbst die Religion der Inder beruht auf der Sehnsucht nach der Ruhe und dem Frieden der Seele, weshalb der Inder die Seligkeit blos in der ewigen Ruhe, in der Vernichtung und Aufhebung des fühlenden und leidenden Ich sucht. Der Erkenntniss wird blos insofern Werth beigelegt, als sie zu der Ruhe, jenem höchsten Gute, führt. Dieses höchste Gut, nirvana, besitzt, wer in der Gottheit verwehet ist; denn nirvana ist abgeleitet von va, wehen. - Bei den Griechen sind die Gewissensruhe und die Gewissensbisse zu dem schönen Bilde der Erynien, der strengen und unerbittlichen Straf-




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und Rachegeister der Unterwelt und des Herzens, gestaltet worden, die bei Schiller singen:

"Wohl Dem, der frei von Schuld und Fehle
Bewährt die kindlichreine Seele!
Ihm dürfen wir nicht rächend nah'n,
Er wandelt frei' des Lebens Bahn!"

So wandeln Sie frei und unbefleckt von Schuld und Fehle Ihre Lebensbahn; bewahren Sie die weisse Schürze die kindlichreine Seele, das Gewissen, vor allem Bösen und Schlechten, damit der himmlische Frieden und das himmlische Licht Ihnen bleiben und werden möge. Das Schwert, welches jetzt nur das Symbol des gegen das Böse von Ihnen zu kämpfenden Kampfes ist, werde in Ihrer Hand zum Symbole des errungenen Sieges, zum strahlenden Ruhmeszeichen, wie die iranischen Lichtgötter das Schwert zum Symbole tragen, dass Sie die bösen Geister, die Feinde der Ordnung in der Natur und unter den Menschen durch das Licht besiegen. 1) Das Schwert in der Hand Gottes ist das Schwert der strafenden Gerechtigkeit, welches die Bösen und Ungerechten schlägt, - der furchtbaren Macht, die richtend im Verborgenen wacht. Deshalb fahren die Erynien in ihrem warnenden Gesange fort:

"Doch wehe, wehe, wer verstohlen
Des Mordes schwere That vollbracht,
Wir heften uns an seine Sohlen,
Das furchtbare Geschlecht der Nacht!"

Daher gedenken Sie stets des Richters über dem Sternenzelte, der das Verborgenste sieht und ahndet. Nicht der ist ein Maurer, welcher die weisse Schürze und das Schwert trägt, sondern nur Der, welcher siegreich das Böse in und ausser sich bekämpft und überwindet, der das Licht in Gedanken, Worten und Werken errungen hat, der auf dem Pfade der Gottheit und nach dem göttlichen Gebote wandelt und handelt. Wer böser und unreiner Gedanken, Worte und Werke ist, sollte nimmer der Loge, dem Tempel Gottes, nahen und darin weilen. Nachdem David die Bundeslade auf den Berg Zion in den Tempel gebracht hatte, rief er zu dem Ewigen empor:




1) Lassen, indische Alterthumskunde, I. S. 839 u. 842.



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"Jehovah, wer darf weilen in deinem Zelte,
Wer wohnen auf deinem heiligen Berge?"

Jehovah antwortet David in dem 15. Psalm also:

"Wer unsträflich wandelt und Gerechtigkeit übt
Und Wahrheit redet aus seinem Herzen;
Wer nicht Verläumdung trägt auf seiner Zunge,
Böses nicht dein Andern zufügt,
Und Schmähung nicht erhebt wider seinen Nächsten;
In dessen Augen verachtet der Verworfene,
Aber der die Gottesfürchtigen ehrt,
Schwört zum eig'nen Schaden, und 's nicht ändert;
Wer sein Geld nicht gibt auf Wucher,
Noch Bestechung annimmt wider den Unschuldigen.
Wer so thut, wird nimmer wanken."

Meine lieben, neu aufgenommenen Brüder! Hören Sie bei dem Eintritte in die Loge, in das Maurerleben, diese Worte Jehovah's und lassen Sie von ihnen als Ihrem guten Genius bis zum Grabe sich begleiten. Wanken Sie niemals und wandeln Sie unsträflich Ihren Weg in der Ausübung der Gerechtigkeit, der Wahrheit und der Liebe zu Gott und den Menschen. Heute an dem Tage der zurückkehrenden Sonne feiert die Christenheit das Geburtsfest Christi, des Gottes mit der siegreichen Kreuzesfahne des Lichtes und der Liebe. Die christliche Fahne des Lichtes und der Liebe werde Ihnen auf Ihrem Maurerwege vorangetragen; das Licht und die Liebe Christi sei Ihr Ziel, damit es Ihr einstiger Lohn werde; wie Christus die Sünde und den Tod überwunden hat, überwinden auch Sie. Erringen Sie sich den Himmel durch ein christliches Leben und Sterben.

Die Weihnachtsfeier bestand ursprünglich und besteht noch jetzt aus drei Festtagen, von denen der erste die irdische Geburt Christi feiert, der zweite den irdischen Tod oder die himmlische Geburt der Promärtyrers Stephanus, des Ersten, welcher durch seinen Tod dem Herrn folgte, - und der dritte den Evangelisten, "der an des Herrn Brust lag." Das Verhältniss der beiden ersten Festtage bezeichnete die alte Kirche dahin: "Heri natus est Christus in terris, ut hodie Stephanus nasceretur in coelis" (gestern ward Christus auf Erden geboren, damit heute Stephanus in dem Himmel geboren würde). Hierdurch wollte die




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Kirche nur aussprechen, dass der Mensch allein durch Christus, durch ein christliches Leben und Sterben in den Himmel eingehen könne; wer die S.ünde und den Tod überwinden und den Himmel erreichen will, muss nach dem Vorbilde und der Lehre Christi leben und sterben. Daher betrachten auch die Maurer die Bibel als das erste der drei grossen Lichter, welches unsern Glauben leiten und regeln, uns zu dem wahren Lichte führen soll.

Der dritte Weihnachtstag wurde vielleicht schon in dem 4. Jahrhundert Johannes dem Evangelisten gefeiert. Dieser Tag reiht sich sehr schön und sinnvoll in den Weihnachtskreis ein. Jedes wahre Märtyrerthum, jedes wahrhaft christliche Leben und Sterben beruht auf der Liebe zu dem Heilande; ein Christ ist, wer den Heiland liebt. Die Liebe zu Christus, die unbedingte Hingabe an ihn tritt in keinem der Apostel herrlicher zu Tage, als in dem Jünger Johannes, was das neue Testament mit dem höchst sinnigen Bilde bezeichnet: "Der an des Herrn Brust lag." Indem die Maurer das Fest Johannes des Evangelisten, des grossen Jüngers der Liebe, feiern, wählen sie ihn zu ihrem Vorbilde, geloben sie, den Herrn gleich ihm zu lieben und auch an seinem Herzen zu ruhen. Meine Brüder alle, so lieben Sie den Herrn aus allen Ihren Kräften und mit Ihrem ganzen Herzen, ruhen Sie treu und unauflöslich an seiner Brust, dann werden Sie das Licht und den Himmel finden, dann wird über Ihrem Grabe die siegreiche Fahne der Liebe flattern und werden alle Schrecken der Sünde und des Todes überwunden sein, - dann werden Sie zu dem ewigen Leben auferweckt werden. Die Maurer sind Christen, weil sie das Licht und den Himmel suchen; wer aber Christus liebt, liebt Gott und alle Menschen, indem in der ungetheilten Liebe zu Gott und den Menschen die ganze Lehre Christi eingeschlossen liegt. Wenn ich daher gleich David frage:

"Jehovah, wer darf weilen in deinem Zelte,
Wer wohnen auf deinem heiligen Berge?"

antwortet mir Johannes der Evangelist:

"Wer gleich mir aus seinem ganzen Herzen
Und aus seiner ganzen Seele den Herrn,
Gott und die Menschen liebt."




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Johannes verschied gleichsam mit den Worten: "Kinder, liebet euch unter einander!" Das Gebot der Liebe war sein letzter Todesseufzer. Die Menschen, die Kinder Gottes, wird lieben, wer den himmlischen Vater verehret und liebet. Der Tag Johannes des Evangelisten sei uns ein wahrer Tag der Liebe zu Gott und den Menschen. Weil wir in dem Tempel Gottes weilen und auf seinem heiligen Berge wohnen, wollen und sollen wir den Andern nicht nur kein Böses zufügen, sondern ihnen in dem reichsten Masse Gutes thun. Was der Mund geschworen. "Unsere Mitmenschen nach dem hohen Vorbilde Christi als Brüder zu lieben," besiegele nun die That: ein Christ und Bruder ist, wer brüderlich das Seine mit den Armen theilt. Der schönste Tempel Gottes, den Gott sich selber bauet, ist der Mensch, in dem ein Herz voll Liebe und voll des Mitleids schlägt; der darf in Gottes Tempel wohnen, der selbst ein Gottestempel ist.